Weinreben in China
Die Weinrebe (Vitis) ist eine der ältesten und vielfältigsten Pflanzengattungen überhaupt in den gemäßigten Zonen Nordamerikas und Eurasiens. Dass gerade auch in China der Traubenwein am Anfang der Fermentationsgeschichte steht, ist nicht verwunderlich, da auf dem heutigen chinesischen Territorium spätestens seit dem Tertiär über 40 Arten wilder Weinreben heimisch sind, d. h. weit über die Hälfte aller Arten weltweit. Rund 30 Vitis - Arten kommen sogar nur in China vor (s. Kasten S. 14). Einige von diesen einheimischen Vitis -Arten sind für die genetische Forschung interessant, wie z. B. die nur in Ostasien wachsende Vitis amurensis , die nach dem chinesischrussischen Grenzfluss Amur benannt und in Nordostchina sehr weit verbreitet ist. Bis heute werden dort Rotweine, sogar Eisweine, nur aus dieser Rebe produziert. Sie ist v.a. wegen ihrer Reblaus- und hohen Kälteresistenz (bis –40 °C bzw. –50 °C) für Rebneuzüchtungen interessant. Deshalb wird sie sowohl in China als auch international bei den einschlägigen Zuchtforschungszentren für Kreuzungen genutzt. Dies gilt auch in unterschiedlichem Maß für die meisten anderen Wildreben, die Resistenzen gegen verschiedene Krankheiten, gegen Kälte oder – eher im Süden – gegen feucht-warmes Klima aufweisen. Bereits in den 1950er-Jahren wurden an verschiedenen Forschungseinrichtungen Untersuchungen und Kreuzungsversuche unternommen, die neue Varianten von Tafeltrauben sowie Trauben für die Weinherstellung hervorbrachten. Seit einigen Jahren wird die diesbezügliche und für die Zukunft vielversprechende Forschung mit Versuchsanbau sowohl an den landesweiten Instituten als auch in größeren Weinbetrieben in China mit modernen Methoden vorangetrieben.

Abb. 1:Ältester Wein der Menschheit: 9.000 Jahre altes Grab in Jiahu mit Karaffe als Beigabe.
Die Wildreben werden in der Volkstradition allgemein als »Bergwein«. ( shanputao ) oder »wilder Wein«. ( ye putao ) bezeichnet. Auch gibt es eine ganze Reihe von historischen und regionalen Bezeichnungsvarianten, die oft die botanische Identifizierung schwierig machen, wie z. B. »Katzenauge«. ( maoyanjing ) oder »Rote Bergziege«. ( shanhongyang ) für die Vitis adstricta Hance . Bereits in der ältesten chinesischen Literatursammlung, dem Buch der Lieder ( Shijing ) mit Gedichten und Liedern aus der Zeit vom 10. bis zum 6. Jh. v. Chr., werden mindestens zwei Arten einheimischer Wildreben beschrieben: gelei (Vitis flexuosa Thunbergii ), die sich im Süden an Bäumen hochrankt, und yingyu (Vitis adstricta Hance , auch Vitis bryoniifolia ) in der heutigen Provinz Shaanxi in Zentralchina, deren Beeren im Sommer gegessen werden können. Beide Reben sind heute noch in mehr als der Hälfte der Provinzeinheiten Chinas, auch im subtropischen Süden, in Gebirgswäldern und Tälern auf 100 bis 2.500 m Höhe verbreitet. Die Beeren sind klein, säuerlich und bei der Reife im Spätsommer und Herbst dunkelrot. In mehreren traditionellen, teils Jahrhunderte alten Medizinhandbüchern werden sie, zusammen mit den Blättern, Ranken und Wurzeln, als Heilpflanzen beschrieben.
Auswahl charakteristischer einheimischer chinesischer Weinsorten, die auf Grund ihres Namens teilweise auch auf ihr Verbreitungsgebiet hinweisen:
Vitis bashanica |
Vitis ruyuanensis |
Vitis chunganensis |
Vitis shenxiensis |
Vitis fengqinensis |
Vitis wenchouensis |
Vitis hui |
Vitis wuhanensis |
Vitis jinggangensis |
Vitis xunyangensis |
Vitis longquanensis |
Vitis yenshannensis |
Vitis luochengensis |
Vitis yunnanensis |
Vitis menghaiensis |
Vitis zhejiang-adstricta |
Vitis mengziensis |
Vitis amurensis |
Der Wissenstransfer entlang der Seidenstraße
Im Westen des eurasischen Kontinents wurden die ältesten, etwa 6.000 – 8.000 Jahre alten Spuren der Herstellung von Traubenwein in Nordwest-Iran und im Kaukasus, im heutigen Georgien und Armenien, nachgewiesen. Diese und weitere erst in jüngerer Zeit erschlossene Fundorte reichen vom Vorderen Orient über Zentralasien bis ins ferne China und zeigen erstaunliche Parallelen in der Produktion und Verwendung alkoholischer Getränke. Neuere archäologische Forschungsergebnisse und auch genetische Analysen deuten darauf hin, dass bereits in der Steinzeit Menschen auf dem gesamten eurasischen Kontinent weite Entfernungen zurücklegten. In den prähistorischen und bronzezeitlichen Jahrtausenden bildete sich ein weitgespanntes west-östliches Netzwerk heraus, das seit dem 19. Jh. als Seidenstraße apostrophiert wird, und welches dem geistigen und materiellen Austausch zwischen einer beispiellosen Vielfalt von Völkern und Kulturen, Religionen und Weltanschauungen, Sprachen und Schriften über enorme geographische und zeitliche Dimensionen hinweg diente. Für die Verbreitung zivilisatorischer Errungenschaften über ganz Eurasien finden sich viele Beispiele, wie etwa die Kultivierung von Getreide und anderen Nutzpflanzen, Keramik- und Bronzekunst, Domestizierung von Tieren, Nutzung von Rad und Wagen, Kriegsführung und Waffentechnik, Fertigung von Textilien und Schmuck usw.
Obgleich es hierzu noch relativ wenige Forschungsresultate gibt, deuten immer mehr Fakten darauf hin, dass die Entdeckung und Nutzung der Fermentation und die Produktion alkoholischer Getränke bei diesem Wissensaustausch keine Ausnahme bilden. Die sog. Eurasische Hypothese geht von der Prämisse eines kulturwissenschaftlichen Diffusionismus auf der Grundlage von Kulturkontakten und -austausch aus. Im engeren Kontext unserer Fragestellung konzentriert sie sich auf die synchrone Entwicklung von Fermentationstechniken und -knowhow sowie überhaupt auf das damit zusammenhängende Entstehen einer »geistigen« Wein- und Alkoholkultur. Diese Hypothese ist eine Herausforderung für das seit jeher tradierte, allseits präsente Stereotyp der Entstehung der Weinkultur in Nahost und ihrer Verbreitung von dort aus über den Mittelmeerraum und Europa.
Entsprechende Entdeckungen besonders im Kaukasus und im Nahen Osten offenbaren schon seit längerem, dass die Herstellung von Traubenwein eng verstrickt ist mit dem Entstehen der frühesten Kulturen.
Die Ausgrabungen von Jiahu
Die Einzigartigkeit der noch längst nicht abgeschlossenen Ausgrabungen von Jiahu im Osten des eurasischen Kontinents besteht darin, dass sie schon jetzt in prototypischer Weise einen relativ umfassenden Einblick in die Uranfänge menschlicher Zivilisation und ihre vielfältigen Wirkfaktoren und Zusammenhänge erlauben. Außer der eingangs erwähnten Feststellung des ältesten fermentierten Getränks traten weitere Superlative zu Tage. Beeindruckend sind die außerordentlich frühen Töpfereien und die große Fülle an bereits erstaunlich kunstvoll gestalteten Keramikgefäßen. Diese dienten nicht nur zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und zum Kochen (Dreifußkessel), sondern v.a. auch der Produktion, Lagerung und dem Konsum alkoholischer Getränke. Hierzu gehören amphorenartige, bauchige Krüge und karaffenförmige Gefäße mit engem Hals und teils auch mit Keramikstöpseln, die in späteren Epochen in nahezu identischer Gestalt erwiesenermaßen für den Alkoholkonsum genutzt wurden (Abb. 2). Sie wurden auch als Beigaben in den zahlreichen Gräbern gefunden und ähneln den Beisetzungsritualen Jahrtausende später, die den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod in der Ahnen- und Götterwelt widerspiegeln. Dass dabei magische Kulte im Mittelpunkt standen, zeigen die Funde von bisher über 30, aus Flügelknochen des rotgekrönten Mandschurenkranichs geschnitzten Flöten, den ältesten Musikinstrumenten Chinas (Abb. 3), sowie von zahlreichen Schildkrötenpanzern, die mit Kieselsteinen gefüllt und als rituelle Rasseln verwendet wurden. Der rotgekrönte Mandschurenkranich ( Grus japonensis , chinesisch: dandinghe ) spielt seit jeher in Kunst und Mythos Chinas und Japans eine zentrale symbolische Rolle. Diese Kranichart ist auch für den eigenartigsten und komplexesten Balztanz bekannt. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Kraniche bereits bei den Jiahu-Siedlern als heiliges Tier verehrt wurden. Der Balztanz sowie die Musik auf den Knochenflöten dürften damit in enger Beziehung zu den Zeremonien von Schamanen gestanden haben, in deren Gräbern die Flöten gefunden wurden. Es ist anzunehmen, dass diese Instrumente von den Schamanen in Verbindung mit dem Konsum bewusstseinserweiternder Getränke und beschwörenden Tänzen eingesetzt wurden, um die Verbindung zum Jenseits herzustellen.
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