Und noch etwas ist interessant: Es braucht scheinbar nicht viel Überzeugungskraft, um es wirklich zu wagen. Manchmal ist es nur ein Gespräch oder ein Buch, das einem die letzten Zweifel wegwischt und plötzlich ist man über Nacht gereift: aus dem Träumen wird Planen.
Trotzdem werde ich immer wieder von der Wucht überrascht, mit dem das Buch »Sabbatical auf See« zum Loslassen inspiriert. Nicht selten erhalte ich heute Danksagungen aus allen Ecken der Welt, dass sie es schlussendlich doch geschafft haben, einen Ausstieg auf Zeit zu wagen. Das freut mich sehr und gibt mir die Kraft weiterzuarbeiten, um anderen zum Sabbatical auf See zu verhelfen.
Schon längst habe ich den Wiedereinstieg aufgegeben und stattdessen meine Passion zum Beruf gemacht: Ich arbeite heutzutage nur noch mit dem Ziel, Menschen zum Fahrtensegeln zu bringen und ein dafür geeignetes Schiff für die große Fahrt auszurüsten. Zwar habe ich meinen Ingenieursberuf an den Nagel gehängt, das technische Verständnis und die Pädagogik kommen mir aber trotzdem noch zugute. So bin ich zu einem Royal Yachting Association (RYA) Yachtmaster Ocean Instructor erkoren worden und habe eine Hallberg-Rassy 46 gekauft, die ich Regina Laska nenne. Auf diesem bequemen Blauwasserschiff können nun Interessenten mitsegeln, die an der Schwelle zwischen Träumen und Planen stehen; sei es für Leute mit begrenzten Segelerfahrungen, die das Leben an Bord erst einmal testen wollen oder für diejenigen, die schon so weit fortgeschritten sind, dass sie die international anerkannte Yachtmaster-Prüfung ablegen wollen.
Für mich ist Fahrtensegeln eine Lebenseinstellung, die mit einem Sabbatical sehr gut in Einklang zu bringen ist. Das seglerische Können ist dabei viel leichter zu erlernen als die sozialen Komponenten und die Entdeckerlust, die für ein Sabbatical viel mehr gefragt sind. Es gibt so viele Möglichkeiten, das Fahrtensegeln interessant, erlebnisreich und persönlich erfüllend zu gestalten. Gerade das ist das Besondere: Fahrtensegeln bietet die größtmögliche Freiheit, die eigene Individualität in Harmonie mit anderen Menschen, Natur und Umwelt auszuleben. Genau das ist es, was wir daran so lieben.
Leon Schulz
Das Buch »Sabbatical auf See” – Eine Familie setzt die Segel (erschienen im Delius Klasing Verlag), das so manchem zum Sabbatical verholfen hat, gibt es in jeder besseren Buchhandlung oder im Internet bei Amazon. Mehr Informationen, auch zum Mitsegeln, unter www.reginasailing.com
Eine Familie wagt das große Abenteuer, verkauft all ihren Besitz und segelt für fünf Jahre um die Welt, um ausgerechnet in Deutschland »Schiffbruch« zu erleiden …
Der Atlantik ist das Ende aller Ausreden. Vor uns liegen 5 000 Kilometer Wasser. Bis zu den Kanarischen Inseln hatten wir uns von Bremen an der Küste entlang gehangelt. Aus Frust über unser bequemes aber langweiliges Leben als Kleinfamilie hatten wir uns die Frage gestellt, wie wir denn »eigentlich« gerne leben würden. Der Wunsch meiner Frau Carola war ein naturverbundenes Leben auf einem Bauernhof. Ich wollte einfach mal ein paar Jahre auf einem Schiff leben und aus Deutschland raus. Die Entscheidung fällt durch meine Frau: »Lieber ein verrücktes Leben auf einem Boot, als ein verzweifelter Mann in einer schönen Wohnung an Land.« Wir wollen die Zeit bis zur Schulpflicht der Kinder nutzen (damals 3 Jahre und 18 Monate alt). Verkaufen all unseren Besitz und tauschen Job und Versicherungen gegen ein kleines Boot und eine Reisekasse von 50 000€.
»Wollt ihr das Leben eurer Kinder aufs Spiel setzen?« ist die nicht sehr ermutigende, aber typische Reaktion unserer Umgebung. Selbst mein segelbegeisterter Vater wiegt bedenklich den Kopf: »Die See ist ein großer Gleichmacher …« Das er Recht behalten wird, merken wir erst sehr viel später. Auf den Ozeanen der Welt trifft man tatsächlich nur eine bestimmte Sorte Menschen: Die, die ihre Träume zu verwirklichen versuchen. Die Bedenkenträger bleiben zuhause. Nur unser Hausarzt ist begeistert: »Was, um die Welt fahren wollt ihr? Ist ja toll.« Dabei wollten wir zu Anfang der Reise gar nicht um die Welt segeln, sondern nur zwei Jahre raus aus Deutschland. Er stattet unsere Bordapotheke für alle erdenklichen Notfälle aus. Wir sind keine Draufgänger, eher vorsichtige Menschen, und die Beschäftigung mit all den Dingen, die auf dem Meer passieren könnten, lässt uns mehr als einmal an unserem Entschluss zweifeln. Wir suchen uns ein älteres, sehr seetüchtiges und stabiles Schiff aus, kaufen neben der üblichen Sicherheitsausrüstung noch ein Satellitentelefon, um notfalls auch mitten auf dem Atlantik einen akuten Blinddarm per Fernanleitung operieren zu können. Am Ende brauchen wir auf der ganzen Reise aber nur ein paar Klammerpflaster.
Nun ist die Angst wieder da: Wir liegen startklar am Pier in La Gomera, bis unters Dach ist das Boot vollgepackt mit Lebensmitteln und Wasser für die kommenden vier Wochen auf dem Atlantik. Die Verantwortung lastet schwer auf meinen Schultern. Habe ich das Recht, meine Familie einer solchen Belastungsprobe auszusetzen? Woher nimmt meine Frau nur ihr Vertrauen in mich und das Schiff? Die Kinder bleiben gelassen: Segelt man halt mal über den Atlantik.
Sie hatten sich von uns allen am schnellsten an das Leben auf einem Schiff gewöhnt. Falls wir mal gerade nicht vor einem der vielen schönen Strände ankern, die auf der Reise als Ersatz für die heimische Sandkiste herhalten müssen, vertreiben die zwei sich die Zeit auf unserem ca. 10 Quadratmeter großen schwimmenden Zuhause mit Knetwachs, Malstiften, Papier und vielen selbsterzählten Geschichten. Wir gestehen ihnen das Recht auf Langeweile zu, und so erschaffen sie aus dem Wenigen, was an Bord Platz findet, immer neue Reiche der Fantasie. Radio, Gameboy oder Fernsehen gibt es nicht, dafür ferne Horizonte, fremde Länder und Zeit im Überfluss.
Dann bläst der Passatwind alle Gedanken ans Umkehren davon. Die Wellen türmen sich für uns Ostseesegler zu beeindruckender Größe auf, und bald rauschen wir durch eine gewaltige, schäumende Wasserwelt. Das Land ist längst hinter dem Horizont verschwunden, und unser Boot zieht stetig vom Wind getrieben nach Westen. Die Tage verschwimmen, und wir verlieren das Gefühl für die Zeit. Manchmal hängt eine schimmernde Goldmakrele an der Angel, dann unterbricht ein Festessen den geruhsamen Bordalltag.
Nachts funkeln die Sterne unwirklich klar über uns, und unter uns glüht das Meer grünlich in unserem Kielwasser. Delfine kommen regelmäßig zu Besuch, und selbst an den Schlafmangel, bedingt durch das notwendige Wachegehen auch in der Nacht, gewöhnen wir uns nach einiger Zeit. Tagsüber ist wegen der Kinder an Schlaf nicht zu denken. Nachts ist alle zwei Stunden Wachwechsel. Ich kann in meiner ersten Wache kaum die Augen aufhalten, aber sobald ich in der Koje liege, bin ich hellwach. Fühle mich ausgeliefert. Es fällt mir schwer, Vertrauen in meine Frau zu haben. Ständig habe ich Angst, dass sie vergisst, den Sicherheitsgurt zu benutzen. Wir leben ganz existenziell: Nur wer Vertrauen hat, kann wirklich schlafen, wenn der andere Wache geht! Als nach 22 Tagen auf See die Karibikinsel Martinique am Horizont auftaucht, ist für alle an Bord klar: Wir fahren weiter in den Pazifik!
Wie auf einer Perlenschnur reihen sich paradiesische Inseln aneinander: Galapagos, Marquesas, Tahiti, Huahine, Tonga, Neuseeland. Doch selbst mitten in der größten Schönheit bin ich unzufrieden. Die große Freiheit nagt an mir. Ich vermisse meinen Job, leide unter der scheinbaren Sinnlosigkeit meines Daseins, dem selbstgemachten Druck, glücklich sein zu müssen, jetzt, wo ich im Paradies angekommen bin. Nun bin ich nur noch Kapitän, Ehemann, Vater. Im Buch »Die Gabe der Seenomaden« von Milda Drüke heißt es: »Nicht das Schiff ist eng, es ist die innere Enge der Menschen, die sie nicht an Land zurücklassen, ihre Weigerung im Verhalten des Partners den Spiegel zu sehen, ihre Neigung, Schuld grundsätzlich bei den äußeren Verhältnissen zu suchen, wo es doch gar nicht um Schuld, sondern um eigene Verantwortung geht.«
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