Horst Bosetzky - Skandal um Zille

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Berlin liegt Heinrich Zille zu Füßen. Mit seinen Zeichnungen hat der Maler liebevoll wie kein anderer den Alltag der einfachen Leute abgebildet. Fasziniert von Leben und Werk des Künstlers, geht im Jahre 1928 ein junger Schriftsteller daran, das Drehbuch für einen biographischen Zille-Film zu verfassen – einen der ersten Tonfilme der Welt. Da berichtet eine Berliner Boulevardzeitung, der kränkelnde „Pinselheinrich“ zeichne seit Jahren nicht mehr selbst, sondern lasse seine Bilder von dem Malerfreund Max Liebermann anfertigen.
Horst Bosetzky entwirft in seinem Roman „Skandal um Zille“ ein lebensnahes und farbenfrohes literarisches Porträt des beliebten Berliner Malers – von seiner entbehrungsvollen Kindheit über seinen mühseligen künstlerischen Aufstieg bis zu jenen Jahren, in denen er als „Vater Zille“ fast einem Stadtheiligen gleichkam. Eine beeindruckende Hommage an Heinrich Zille und sein „Milljöh“.

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Horst Bosetzky

Skandal um Zille

Roman

Jaron Verlag

Originalausgabe

1. Auflage 2013

© 2013 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin

1. digitale Auflage 2013: Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-955529-202-5

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel Horst Bosetzky Skandal um Zille Roman Jaron Verlag

Impressum Originalausgabe 1. Auflage 2013 © 2013 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin 1. digitale Auflage 2013: Zeilenwert GmbH ISBN 978-3-955529-202-5

Zitat Je mehr ich erfahre über ihn, desto mehr verwächst er mit mir … Stefan Heym, Der König David Bericht

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Abspann

Literatur

Je mehr ich erfahre über ihn, desto mehr verwächst er mit mir …

Stefan Heym, Der König David Bericht

Eins

Die Tunneleule war auf dem Bahnhof Kochstraße noch nicht ganz zum Stehen gekommen, da hatte Konrad Kowollek schon die Türen aufgerissen und war hinausgesprungen. Dass er dabei wartende Fahrgäste touchierte und eine schmächtige Frau fast zu Boden riss, interessierte ihn wenig. Tempo war angesagt, und wer in Berlin lebte, sollte nicht jammern, wenn es hektisch wurde. Außerdem war Kowollek Reporter und genoss damit das Vorrecht, es eilig haben zu dürfen. Der Kampf auf dem Berliner Zeitungsmarkt war hart, manchmal ging es um Sekunden. 148 Tageszeitungen konnte man kaufen, Kowollek hatte sie kürzlich alle durchgezählt. Sein Berliner Boulevard Blatt (BBB) hatte es schwer, gegen die B.Z. am Mittag und eine weitere Zeitung anzukommen, die dreimal am Tag erschien und ausgerechnet den Namen Tempo trug.

Kowollek hastete die schmale Bahnhofstreppe hinauf, überholte mehrere jüngere Männer mit dem Ehrgeiz eines Leichtathleten und fluchte gewaltig, als er auf dem Mittelstreifen der Friedrichstraße warten musste, um etliche Autos und Straßenbahnen vorbeifahren zu lassen. Endlich konnte er die Fahrbahn überqueren und Kurs auf das Geschäftshaus nehmen, in dem sich die Redaktion des BBB eingenistet hatte.

An der Ecke Friedrichstraße und Kochstraße standen einige fliegende Händler, die den Passanten marktschreierisch ihre Zeitungen unter die Nase hielten. »BBB heute: Berliner Schlittschuh-Club trotzt der Eishockey-Nationalmannschaft ein 4:4 ab. – Der Magistrat erlässt Richtlinien für die Verwaltung der öffentlichen Bedürfnisanstalten. – Der dänische Schriftsteller Martin Andersen Nexö liest im Bürgersaal des Roten Rathauses. – BBB, stets das Allerneuste von der Spree!«

Damit kann man doch keinen Blumentopp gewinnen!, dachte Kowollek. Wegen solcher Schlagzeilen kaufte sicherlich niemand eine Zeitung. Kein Wunder, dass sie beim BBB noch immer tiefrote Zahlen schrieben.

Er hetzte die Straße entlang. Nicht ohne einen Blick auf die Litfaßsäulen und die anderen Reklameflächen zu werfen. Überall hingen Plakate, die auf den nächsten Zille-Ball im Sportpalast aufmerksam machten. Am 4. Februar 1928 war es wieder so weit. Kowollek freute sich. Das kam seinem Vorhaben zugute.

Er stürmte am Pförtner ebenso vorbei wie an der Vorzimmerdame des Chefredakteurs. Niemand hielt ihn auf, er konnte sich das erlauben.

»Ich muss dringend zu Herrn Rummler! Ist er da?«

»Ja, er ist in seinem Büro.«

Kowollek klopfte an, wartete jedoch nicht auf das »Herein!«, sondern betrat unaufgefordert das Zimmer.

Reinhard Rummler war es gewohnt, dass seine Reporter wie »des Wahnsinns kesse Beute« wirkten, wie es im Volke hieß. Erich Kästner hatte ihm vor kurzem erzählt, dass er an einem Berlin-Roman sitze, Arbeitstitel Fabian, und ihm auch schon daraus vorgelesen. Einige Sätze hatte sich Rummler gemerkt: Hinsichtlich der Bewohner gleicht Berlin längst einem Irrenhaus. Oder: Man halte hier jeden Menschen, mit Ausnahme der Kinder und der Greise, bevor das Gegenteil nicht unwiderleglich bewiesen ist, für verrückt. Rummler hatte mit seinem Kneifer und dem Schnauzbart à la Kaiser Wilhelm eine gewisse Ähnlichkeit mit Theodor Wolff vom Berliner Tageblatt, einzig dessen zur Tolle aufgetürmten Haare fehlten ihm. Die Frisur des Chefredakteurs vom BBB ließ eher an Hindenburg denken.

»Ich habe eine unglaubliche Geschichte, die wird unsere Zeitung in der Publikumsgunst aufsteigen lassen wie eine Silvesterrakete!«, begann Kowollek das Gespräch.

Rummler rückte ihm einen Stuhl zurecht. »Sie machen mich neugierig! Setzen Sie sich, Kowollek, und schießen Sie los!«

Das ließ sich Kowollek nicht zweimal sagen. »Was ist das Süßeste im Leben? Skandal ist immer das Süßeste! Ich habe etwas herausgefunden, das ungeheuerlich ist. Hier …« Kowollek riss ein Photo aus seiner Aktentasche, das Heinrich Zille und Max Liebermann dicht nebeneinander zeigte. »Das ist der Einstieg für meine Recherchen gewesen.«

»Und?«, fragte Rummler. »Was steckt dahinter?«

»Die größte Kunstfälschergeschichte, die es je gegeben hat.« Rummler lehnte sich zurück. »Erzählen Sie …«

»Es geht um Heinrich Zille, den zurzeit populärsten Berliner, Berlins beste Marke sozusagen. Aber …« Kowollek holte noch einmal tief Luft, ehe er richtig loslegte. »Heinrich Zille kann aufgrund seiner zahlreichen Krankheiten und der Depression seit dem Tod seiner Frau im Jahre 1919 schon lange nicht mehr malen und zeichnen. Seit einiger Zeit liegt er nur noch im Bett und starrt an die Decke. Eine Katastrophe für ihn und für alle, die von der Marke Heinrich Zille profitieren. Denn Zille muss weiterhin seine Bilder verkaufen – wovon soll er sonst leben? Seine Freunde haben eine Idee. Max Liebermann, der ein vielseitig begabtes Genie ist, zeichnet und malt nun oben in Zilles Wohnung in der Sophie-Charlotten-Straße reihenweise Zille-Bilder. Die Texte setzt Hermann Frey darunter, der Schlager wie Immer an der Wand lang und Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt? geschrieben hat. Dieses Gespann ist sagenhaft! Die Welt will betrogen sein! Doch nicht genug damit – es gibt Hinweise darauf, dass Firmen, die mit Zilles Auftritten Geld verdienen, Doppelgänger engagiert haben.«

Rummler war begeistert. »Das ist eine heiße Kiste, Kowollek, bleiben Sie an dieser Geschichte unbedingt dran! Wenn Sie Ihren Verdacht belegen können, kommen wir damit groß heraus. Überschrift: Skandal um Zille! Aber Indizien reichen mir nicht, Kowollek, ich brauche Beweise.«

Selbstbildnis Zwei Heinrich Zille lag auf dem Bett und starrte gegen die - фото 1

Selbstbildnis

Zwei

Heinrich Zille lag auf dem Bett und starrte gegen die Decke. Bekleidet war er nur mit einem Nachthemd und langen weißen Unterhosen. Er war zu müde und zu zerschlagen, um aufzustehen und zu den Freunden im Nebenzimmer zu gehen, aber zu wach, um zu schlafen. Er hätte gern an seinen Sohn Hans geschrieben, der Lehrer war und in Vorpommern lebte, aber die Gicht in den Fingern machte es unmöglich, einen Kopierstift zu halten. Schon seit Ewigkeiten hatte Zille keine Nacht mehr durchschlafen können. Die Krämpfe in den Beinen ließen ihn immer wieder auffahren. Sie waren eine Folge seiner Zuckerkrankheit, ebenso wie der Harndrang, der ihn alle zwei Stunden zwang, zur Toilette zu eilen. Ließen ihn diese beiden Quälgeister einmal in Ruhe, dann plagten ihn Schreckensträume. Manchmal sehnte er den Tod herbei, die Erlösung von allem, dann wieder hing er am Leben, denn an ein Dasein nach dem Tode glaubte er nicht. Frömmigkeit war nie seine Sache gewesen. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein neues Bild zu zeichnen: Er liegt auf dem Sterbebett – der Sensenmann kommt, ihn zu holen. Darunter würde er schreiben: Kein Zweck, mein Herr, der Zille ist unsterblich . Ein wenig verbittert murmelte er, dass Humor offenbar nicht gegen Krankheit und Altern immun mache.

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