Horst Bosetzky
Turnvater Jahn
Ein biographischer Roman
Jaron Verlag
Cover
Titel Horst Bosetzky Turnvater Jahn Ein biographischer Roman Jaron Verlag
Impressum Originalausgabe 1. Auflage 2014 © 2014 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014 ISBN 9783955521721
Vorspiel Eine Szene in der Berliner Hasenheide2011 Vorspiel
1 Der Herr segne dich1785–1791 1
2 Das Strafbuch füllt sich1791–1794 2
3 Als Leiche im Schafgraben?1794–1796 3
4 Jahn, das Alphatier1796–1802
5 Noch ein Rausschmiss 1802–1803
6 Das kleine Glück1803–1805
7 Als Patriot gegen Napoleon1805–1809
8 Leben und Tod1809–1810
9 Ein Mythos wird geboren1810–1812
10 Vor dem Sturm1812–1813
11 Im Lützow’schen Korps1813
12 Das Fahrwasser wird ruhiger1813–1814
13 Schwarz-Rot-Gold1815–1817
14 Zum Abschuss freigegeben1817
18 Turner, auf zum Streite1818
16 »Sie sind verhaftet!«1819
17 Der Prozess1820
18 In der Verbannung1820–1825
19 Im Abseits1825–1838
20 Rückkehr und Abgang für immer1838–1852
Literatur
Originalausgabe
1. Auflage 2014
© 2014 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und
aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 9783955521721
Vorspiel
Eine Szene in der Berliner Hasenheide
2011
Für alle, die in Neukölln aufgewachsen sind, ist die Hasenheide ein vertrauter Ort, mehr noch, eine Art heiliger Hain. Hier sind uns die Modellflugzeuge abgestürzt, die wir als Albert-Schweitzer-Schüler im Fach Werken basteln mussten. Hier habe ich als Leichtathlet der Neuköllner Sportfreunde beim Konditionstraining jeden Winter viele Kilometer keuchend zurückgelegt. Und auf der Wiese am Columbiadamm bin ich, der ich eigentlich ein Angsthase bin, bei den Neuköllner Maientagen in die gefährlichsten Achterbahnen, Kettenkarussells und sonstigen Fahrgeschäfte gestiegen, um meiner ersten Frau als echter Mann zu imponieren.
Kurzum, mit der Hasenheide sind viele Erinnerungen verknüpft, doch heute meide ich sie weitgehend, denn sie ist der wohl verrufenste Drogenumschlagplatz Berlins. Und wahrscheinlich wäre ich auch an jenem Sonnabend, dem 29. Juni 2011, nicht auf die Idee gekommen, sie zu betreten, wenn ich nicht vorher einige Gläser Rotwein konsumiert hätte. In einem Restaurant an der Hasenheide hatte ein früherer Kollege seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert, und einer der Gäste, ein alter Turner, hatte mich gefragt, ob ich wüsste, was an jenem Tag vor genau zweihundert Jahren geschehen sei.
Ich rechnete. »1811 war das … Nein, dazu fällt mir nichts ein.«
»Da hat Friedrich Ludwig Jahn hier in der Hasenheide den ersten Turnplatz Deutschlands eröffnet.«
»Du hast recht!« Ich hätte es wissen müssen, saß ich doch gerade an den Vorarbeiten zu einem Jahn-Roman.
So war es nur allzu einleuchtend, dass ich mich, als mir die Feier zu langweilig wurde, für eine halbe Stunde davonstahl, um dem Jahn-Denkmal in der Hasenheide einen kleinen Besuch abzustatten. Als ich auf das Monument zuging, wurde mir plötzlich seltsam zumute. Blümerant hieß das früher. So richtig übel war mir nicht, eher hätte ich meinen Zustand als »high« beschrieben. Das lag wohl weniger daran, dass ich über verborgene Drogendepots gelaufen war, als vielmehr an dem Rotwein, den ich getrunken hatte. Ich sank auf einen Findlingsblock, starrte zum ehernen Jahn hinauf und erlebte zwischen Traum und Wirklichkeit eine unvergessliche Szene …
Friedrich Ludwig Jahn herrschte mich an: »Sie Lump, Sie wagen es, mir unter die Augen zu treten?«
Ich duckte mich unwillkürlich. »Was habe ich denn Schlimmes getan?«
»Sie wollen einen Roman über mich schreiben, und das ganz sicher in der Absicht, kübelweise Schmutz über mich zu gießen!«
Langsam gewann ich meine Contenance zurück. »Aber es ist doch eine Ehrung, wenn posthum etwas über einen Menschen geschrieben wird. Denken Sie nur an Theodor Fontane, der gesagt hat: Die besten Gardebataillone der Menschheit sind die Toten, die, biographisch wiederbelebt, unter uns wandeln .«
»Was die Herren Ernst Haberkern und Oliver Ohmann über mich zu Papier gebracht haben, reicht völlig aus und kann von Ihnen auf keinen Fall übertroffen werden«, teilte mir Jahn mit.
»Ich werde Ihre Geschichte ganz anders gestalten, denn ich bin ein echter Romanschreiber und lege Wert auf Spannung und Unterhaltung, das heißt, ohne ein bisschen Hollywood will und kann ich nicht auskommen. Was in einer wissenschaftlichen Abhandlung vielleicht zwei Zeilen ergäbe, wird bei mir zu einer filmreifen Szene von mehreren Seiten Länge.«
Jetzt wurde es gleißend hell vor meinen Augen, und ich fühlte mich in ein griechisches Theater versetzt. Links und rechts von Jahn zogen zwei Gruppen von Chorleuten auf, in der griechischen Antike Choreuten genannt. Die Hauptdarsteller waren Jahn und ich.
Das Stück begann. Der sogenannte Turnvater ergriff als Erster das Wort, dröhnend und voller Pathos. »Es wird ein anderes Zeitalter für Deutschland kommen, und ein echtes Deutschtum wird wieder aufblühen. Wir werden schöne Träume verwirklicht finden und endlich aus jahrelangem Schlummer erwachen.«
Der Chor der Jahn-Gegner, der gekleidet war, als komme er gerade von einer Demonstration der Linken zum 1. Mai, sang daraufhin ein vom nationalsozialistischen Regime wie auch der SED-Diktatur missbrauchtes Weihnachtslied: » Es ist für uns eine Zeit angekommen/sie bringt uns eine große Freud. «
Der Anführer des Chores trat vor, entbot den Deutschen Gruß und brüllte dabei: »Heil Hitler!«
Der Chor der Jahn-Freunde, erschienen in klassischer weißer Turnkleidung, konterte mit dem Lied der Deutschen , verfasst von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf der Insel Helgoland, die damals zu Großbritannien gehörte.
Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt,
wenn es stets zu Schutz und Trutze
brüderlich zusammen hält.
Der Riegenführer wollte noch etwas richtigstellen. »Deutschlands Einheit war für Jahn der Traum seines erwachenden Lebens, das Morgenrot seiner Jugend, der Sonnenschein seiner Manneskraft und der Abendstern, der ihm zur ewigen Ruhe gewinkt hat.«
»Von wegen Deutschland!«, kam es von den Gegnern Jahns. »Ein preußisch-deutsches Erbkaisertum hat er angestrebt. Wir, die Republikaner, Arbeiter und Thronvernichter, wir rufen dir zu: Hinweg mit dir, Friedrich Ludwig Jahn, du elender Demokratenfresser!«
»Ach was!«, rief der Chor der Jahn-Befürworter. »Die Feinde Jahns waren die eigentlichen Demokratenfresser der Metternichzeit. Sie haben ihn jahrelang in Festungshaft gehalten und in die Verbannung geschickt – als Dank dafür, dass er die deutsche Jugend mit seinen Leibesübungen wehrhaft gemacht hat und Deutschland so die Befreiungskriege gegen Napoleon gewinnen konnte.«
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