Inez Maus
ANGUCKALLERGIE UND
ASSOZIATIONSKETTENRASSELN
Mit Autismus durch die Schulzeit
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2014
Aus Rücksicht auf die beteiligten Personen wurden die Namen im Buch geändert.
Gebrauchs- und Handelsnamen sowie Warenbezeichnungen wurden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus der Bezeichnung einer Ware mit dem für diese Ware eingetragenen Warenzeichen kann also nicht geschlossen werden, dass diese im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten ist.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
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Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Coverbild „Heimat“ (Zeichnung von Benjamin, 9 Jahre)
Abdruck des Gedichtes auf Seite 39mit freundlicher Genehmigung von
Prof. Dr. Dr. h. c. Otfried Siegmann
Umschlaggestaltung: Tino Hemmann
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Ein Kind entdeckt die Welt.
Das geht nicht ohne Liebe, Zuwendung, Verständnis und Unterstützung. Für die meisten Menschen ist das Erleben einer weitgehend spontan, unmittelbar und intuitiv sich im alltäglichen Zu- und Miteinander immer wieder neu herstellenden Nachvollziehbarkeit, Entsprechung, Übereinstimmung zentraler Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens, die sich zwischen dem eigenen Selbst- und Welterleben und den Sicht- und Erlebensweisen der anderen sowie zwischen dem eigenen Handeln und dem Handeln der anderen Menschen ergibt. Eine besondere Bedeutung haben dabei immer die ersten, die frühen Beziehungserfahrungen. Hier entstehen und entfalten sich Selbstsicherheit, Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit.
Benjamin ist anders.
Ausgehend von ihren Erinnerungen und Tagebuchnotizen eröffnet uns die Autorin einen Zugang zur Entwicklung ihres Sohnes Benjamin von der Einschulung bis zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses und seinem Übergang in die gymnasiale Oberstufe. In sehr konkreter Weise schildert sie, welche Schwierigkeiten Benjamin hat, sich in unserer Welt zu bewegen, das Handeln, die Absichten, die Wünsche der Menschen, mit denen er alltäglich zu tun hat, zu verstehen. Genauso konkret wird geschildert, wie die Menschen, die alltäglich mit Benjamin zu tun haben, Schwierigkeiten haben, sein Verhalten, sein Denken, sein Fühlen zu verstehen. Benjamins sehr spezifische, „andere“ Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung sowie die daraus resultierenden Verhaltens-, Lern- und Kommunikationsweisen waren für ihn selbst und für alle, die mit ihm zu tun hatten, eine große Herausforderung.
High-Functioning-Autismus.
Die Diagnose trifft Benjamins Mutter „wie ein Schlag mit dem Holzhammer.“ „Ich hatte mir doch tatsächlich eingeredet, dass diese […] von einer Fachärztin für Kinderheilkunde vermuteten autistischen Züge von allein wieder verschwinden würden.“ „Ich hatte mich einer trügerischen Sicherheit hingegeben und Benjamin als so eine Art Grenzgänger gesehen, der jederzeit das eine oder andere Land betreten konnte. […] Nun hatte Benjamin also das schwierige Land betreten und mir verschlug es wieder einmal die Sprache. Ich hatte so viele Fragen und konnte keine einzige herausbringen, ich hatte unendlich viele Tränen und musste sie alle unterdrücken. […] Ich fühlte mich plötzlich wie in einer Sackgasse, obwohl sich eigentlich genau genommen nichts geändert hatte. Den Problemen wurde doch lediglich ein Name gegeben.“
Schlüsselbedeutung für Benjamins konstruktive Entwicklung, für seinen gelungenen Weg ins Leben hat dabei das konsequente, beharrliche und nicht nachlassende Bemühen seiner Mutter, ihren Sohn immer wieder neu zu verstehen und zu unterstützen. Dies und ihre Fähigkeit, die eigene Rat- und Orientierungslosigkeit sowie die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit auszuhalten, war und ist letztlich nichts anderes als Ausdruck ihrer Liebe zu ihrem Kind. Psychologen nennen das eine stabile und gute Bindungserfahrung ermöglichen.
Das, was sich in den Jahren vor der Einschulung von Benjamin bereits andeutete, zeigte sich auch während seiner gesamten Schulbesuchszeit, nämlich: Fachleute sind, weil sie Fachleute sind, nicht notwendig kompetent im Umgang mit Kindern, die „anders“ sind. Bemerkenswert ist, dass dort, wo Lehrerinnen und Lehrer bereit und fähig waren, sich neugierig, offen und lernbereit auf Benjamin einzulassen, sie auch einen Zugang zu den Stärken seiner Persönlichkeit erhielten. Hierdurch ermöglichten sie Benjamin Normalität in seinem schulischen Alltag. Ähnliches gilt auch für die Therapeuten, Psychologen und Ärzte, die mit ihm zu tun hatten.
Menschen mit einer autistisch strukturierten Persönlichkeit entwickeln notwendig andere Erlebensweisen und andere Lebensformen als Menschen mit neurotypisch strukturierter Persönlichkeit. Alle Menschen sind anders. Den Mitmenschen in seinem Anderssein zu akzeptieren und mit ihm „im schwierigen Land“ zusammen zu leben, ermöglicht Normalität für alle.
„Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln“ ist ein gutes und lesenswertes Buch. Es kann helfen, Normalität zu ermöglichen.
Dipl.-Psych. Pieter Smessaert
Psychologischer Psychotherapeut
Cover
Titel
Impressum
Prolog
Der Superwunsch
Der, die, das – was?
Ein auf der Spitze stehendes Dreieck
Marburg
Die Zeit der Weltfragen
Silly und Kira
Der Höhlenolm
Ein Fledermausdetektor
Stromausfall
Drosophila
Ein Schneeball
Mäuse
Epilog
Dank
Glossar
Literatur
Quellen
Benjamins Zitatenschatz
Weitere Informationen
Jeder Tag bringt Freude und Leid. Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.
Johann Wolfgang von Goethe
An einem kalten, trüben Wintertag bin ich gerade dabei, das angenehm warme Konferenzzimmer eines komfortablen Hotels zu verlassen, als ich von zwei Frauen abgefangen und um ein Gespräch gebeten werde. Schnell stellt sich heraus, dass beide in einer Wohneinrichtung für schwerbehinderte Menschen arbeiten. Sie bitten mich um Ratschläge zum Umgang mit einem jungen Mann mit Autismus, der nicht spricht und in seinem Verhalten als schwierig beschrieben wird. Völlig erstaunt frage ich meine Gesprächspartnerinnen, warum sie auf die Idee kämen, ich könnte ihnen weiterhelfen. Sie antworten mir, dass sie aus dem, was ich während der Fortbildung über die ersten sechs Lebensjahre meines Sohnes erzählt habe, schließen, dass sein heutiger Entwicklungsstand dem ihres Klienten entsprechen müsse.
Nun erfahre ich Folgendes: Der junge Mann, der diesen beiden Frauen offensichtlich am Herzen liegt, aber auch viele Probleme bereitet, kam im Alter von knapp sechs Jahren, nicht sprechend und mit autistischen Symptomen, in die Wohneinrichtung. Vieles von dem, was ich zuvor berichtet hatte, war den Betreuerinnen auch von der Mutter ihres Klienten bei dessen Aufnahme in die Einrichtung mitgeteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Mutter aber physisch und psychisch nicht mehr in der Lage gewesen, ihren Sohn weiterhin zu Hause zu betreuen.
Plötzlich habe ich das Gefühl, in einem Paralleluniversum zu stehen. Wäre der Weg dieses jungen Mannes auch Benjamins Weg gewesen, wenn wir eine andere Richtung gewählt und ihn mit drei oder auch mit sechs Jahren in eine der uns empfohlenen Ganztagsbetreuungen gegeben hätten? Niemand wird diese Frage jemals beantworten können, aber mich überläuft an dieser Stelle ein eisiger Schauer und ich verspüre gleichzeitig einen der seltenen Momente, wo ich restlos davon überzeugt bin, dass wir das Richtige für unseren Sohn getan haben – trotz der vielen, jahrelang andauernden Zweifel.
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