Da fühlte Constantia Stralzin sich tief im Herzen erbaut. Die Schönheit der lieben Welt mit ihren Sternen, Blüten und Tierlein überrieselte sie. Die sanfte Musik glich einem Wiegenlied. So stand sie eine Weil in lauterer Seligkeit, mit der starken, schweigenden Lust der Erde verwebt, und konnte niemandem feind sein, auch dem armen, verrückten Jager nicht. Und sie sprach gegen den Rosenstock:
»Wia lau der Abend ist …«
Der Bursch gab keine Antwort.
Da machte sie einen Schritt auf ihn zu, bog die Dornranke beiseite und sagte scheu:
»So liabla … wia alles blühet …«
»Mir ist nichts liabla, seit mir der Stralz ins Gäu ist kömmen«, trutzte er verbissen.
Sein Elend machte sie verzagt. Beinahe schuldbewußt, konnte sie sich ihres Glückes plötzlich nicht mehr freuen.
»Uns is halt nit aufgesetzt gewesen«, tröstete sie ihn bekümmert.
Er legte sich solche Rede anders zurecht und lachte heiß.
»Stanzi, es ist nie zu spat. Brauchst nur mit mir gehen. Oh, das wär mir das Schönst.«
»Um Gottes willen, sei still, du Lotter«, stieß sie hart heraus, aber nimmer so herrisch wie sonst.
Ein Knecht stapfte vom Stall gegen die Brücke. Es war indes über beiden die Nacht vergossen. Sie hielten den Hauch an und mieden jegliches Wort. Endlich sagte der Jager zitternd: »Warum hast mich hiaz verleugnet? … Warum tust so heimlich? … Hättest ihm angeschafft, daß er mich hintan jagt von deinem Gartel wie einen fremden Hund!«
»Glaubst, ich fürcht mich?« entgegnete sie unsicher.
»Was verschonst mich alsdann?« höhnte er unterdrückt und, nicht mehr fühlend, was er tat, langte er in den Rosendorn, riß, rupfte und fetzte daran, bis Constantia Stralzin ihm endlich die zermalmten Zweige wegnahm und sagte:
»Schind dich nit aso!«
Da war’s um ihn geschehen. Er schlug die Arme um ihren Leib und küßte sie. Und sie erduldete es ohne Abwehr. Empfing seine Lieb wie einen Föhnsturm und wie ein Feuer. Und erlosch darin. Niemand weiß, wie lange sie stund, an sein Herz geschmieget, und wie oft sie ihm ihren warmen Mund geschenkt hat. Rose, Narzisse und Almrausch dufteten fein und schwer. Die Fünklein flogen. Die Kerze brannte zuckend herab. Und der hölzerne Beichtvater verweilte auf seinem Blumenaltar, schloß die Lippen schmal zusammen und schaute nicht durch das Fensterchen.
Frau Constantia konnte wie im Traume sich nicht finden noch fassen. Manchmal hob sie ein wenig die Lider. Und wußte nur, daß sie eine solche Stunde niemals erlebt hatte, denn ihr Eheliebster war anders geartet. Schließlich sagte sie müde:
»Laß mich gehen.«
Er gab nicht nach, drückte ihren Kopf sachte an seine rauhe Lodenjoppe und fragte:
»Weißt es jetzund, wie gern ich dich hab?«
Wiederum hörten sie jemands Gang …
Er hatte die Stirn auf ihrem goldwelligen Haar. Und kosete sie. Bald nachdem der Schritt verklungen, wispelte er heiser:
»Ich bin hinter dem Stralzen dreingepirscht … Das Maul voll Schaum und den Finger auf dem Büchsenhahn … Aber die Kugel hat gefehlt, und die Pratzen ist bockstarr geworden, die wöllt an seine Gurgel fahren. So viel unsinnig ist mein Haß.«
»Jager …«, mahnte sie leise und flehentlich.
Er gab nicht nach.
»Stanzi, aber hiaz bist mir sicher. Und mit seinem kalten Einaug soll er nachgluren, wann ich dich in meiner silbernen Kutschen auf Gstatt führ. Die Liab gerat auch so … ohne Pfaff und Segen.«
»Jager!«
Doch er hielt sie fest.
»Morgen auf die Nacht kauf ich das Schloß.«
»Mein Gott …«, stöhnte sie.
»Und am Samstag klopf ich. Machst mir auf?«
»Na!«
»Noch alleweil nit …?« fragte er mit einem verrückten Lacher.
»O du … weil ich dich hab gebusselt und gehalst … bin ich gewiß, du wirst noch mein eigen.«
In der Finsternis irgendwo … rief Andreas Stralz ihren Namen. Da wimmerte sie:
»Jager, laß mich gehen, sonst schrei ich.«
»Geh nur«, sagte er zähe. »Anheut magst mir wohl entrinnen.«
Dann packte er sie nochmal mit seiner ganzen Kraft. »Ich hab es geschwuren, und kostet’s mich Leben und Seligkeit«, redete er mit knirschendem Gebiß, »ich hab es geschwuren, dein erstes Kind gehört mein!«
»Nit!« keuchte sie auf und taumelte aus seinen Armen nach dem Hofe.
Er aber tat, wozu seine unheimliche Begier ihn lockte. Er bestieg noch in der geweihten Nacht von St. Martin aus den Grimming.
Und drei Burschen, welche das Abenteuer lockte, gaben ihm das Geleit … Im Lärchenwald schrie am lichten Morgen dreimal der Kauz. Und solches war absonderlich. Im Föhrenwald lief ihnen ein Gamskitzlein voraus, das hatte einen Blattschuß und brach doch nicht zusammen. Als jedoch vom Tal, unsäglich fern und fein, der Klang der großen Glocke heraufwehte, war das weidwunde Kitz jählings verschwunden. Von nun an mochte keiner mehr spaßieren, und jedem war heimlich bang.
Immer schneller stiegen sie bis ins Knieholz. Das breit gefingerte Laub der weißen Nieswurz blieb tief unter ihnen. Noch eine verdorrte Zwergkiefer fanden sie. Dann war der Boden nackt …
Wieder ein Laut, als schlüge eine Glocke. Da schaute der Jüngste zurück und bemerkte mit scharfem Auge den langen Zug von Betern. Gleich einem nickenden Blumenstern erschien ihm jede Fahne und der brokatene Himmel wie ein Rosenblatt. Dieser Anblick bewegte ihn so gnädig, daß er eiligst umkehrte.
Der Jager stieß einen Juchzer aus, daß es von den Wänden widergellte. Es klang abscheulich.
Und als sie tausend Schritte höher waren, brach ein lockerer Stein vom Felskamin und kugelte in Gestalt eines Totenkopfes schaurig tosend bei den Mannsbildern vorüber. Da machte der zweite gegen alle Gewohnheit ein Kreuzzeichen und schlich davon. Der dritte nur ging mit dem Jager bis zum Tore.
Es war in Wirklichkeit nicht geheuer …
Spät am Abend erst kam er leichenblaß und gehetzt ins Dorf. Und als sie ihn fragten, spähte er im Verschnaufen nach jeder Seite, wischte sich zitternd über das Gesicht und sprach:
»Es ist wahr! Weit offen stund das steinerne Grimmingtor. Und Pracht und Prunk gab es zu sehen, wie sich keiner von euch einbilden mag. Gold, Silber und Demantbrocken. Wer weiß was noch für Raritäten. Glaubet mir, mit der Schatztruhen, so zunächst in der Höhlen gewesen ist, mit der allein kunnt ich Herzog von Steiermark werden …«
»Und der Jager …?« haben sie gefragt.
»Erschröcket nit!« stammelte der Bursch. »Der Jager ist halt hineingegangen. Und sintemal die Zeit dahinstreicht, will ich ihn rufen … Es verschlagt mir die Red … Und dann … höre ich von weit her einen krachenden Böllerschuß …
Das letzte Evangel, denk ich bei mir selber.
Im nämlichen Augenblick ächzet was … staubet was … fliegt der Schotter von der Wand, und für meiner ist das Steintor zugefallen …«
Ob die Geschichte wahr ist?
Muhme Maria hat mir erzählt. Ich meine diejenige, welche ist nach Jaffa und Jerusalem gereist. Der Mond, über den Goldputz der Haube, über zerbröckelten Rosmarin und seidene Brauttracht rieselnd … der Mond hat mir erzählt. Und die alte Schäferuhr im Glasgehäuse hat eine liebe Stimme, wenn es dusend geworden ist.
Vielleicht ist es wahr?
Vielleicht auch, daß ich mich verhört habe, denn ich bin ganz gewiß kein Sonntagskind …
Frau Constantia erlebte in der folgenden Zeit noch manches Unverhoffte, doch wenig also Seltsames mehr. Sie hatte das verborgene, liebreiche Schicksal der Hausfrau und Mutter, wurde breit und stattlich und vergaß voll Eifer und Geschäftigkeit gar bald des tollen Jagers, welcher für sie in Ungnad sein Leben gelassen hatte. Unmerkbar mäßigte sie auch das jähe, aufbrausende Naturell, insonderheit und ausnahmslos ihrem Eheliebsten gegenüber; weil dieser sie in den sieben Jahren des Brautstandes an seinen strengen Willen gewöhnt hatte und weil er durch eine frühe Verantwortung für Besitz und Geschwister ein ruhiger und reifer Mann geworden war.
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