»Steig auf! Oder fürchtst dich?«
Das Mädchen gehorchte. Langsam und still fuhren die zwei durch den Walchengraben. Grüne Wellchen und grüne Fische hüpften im Bach. Von den Holzriesen schossen spritzend die Wässerlein. In den Baumwipfeln verrieselte das Himmelsgold wie ein Segen. Und die Blüten des Lattichs flimmerten beidseiten des Weges und sahen aus, als wären sie in lauer Nacht zur Erde getropft, just für den Stralzen und die schöne Jungfrau Constantia. Er hatte die Zügel straff gepackt und gab fürsorglich auf das Pferd Obacht, denn die Straße war schmal und holprig. Lieblich verschüchtert saß sie neben ihm. Das Griesengeld klingelte unter dem Sonntagsspenser. Oder klingelte das Herz? Wie wünschte es doch, daß der Weg zwischen Öblarn und dem Knappendörfel niemals, gar niemals ein Ende nähme.
Von der ersten Bauernkeusche an ging das Steirerwägelchen ruhiger. Das Pferd fand sich von selbst zurecht. Da drückte der Stralz wiederum ihre Hand.
»Wann du von Pürgg heimkommst, gehen wir zum Pfarrer«, sagte er, sonst nichts.
Sie nickte. Alsdann sahen sie von weitem den Kirchturm aus dem überzarten Blust der vielen knospenden Obstbäume ragend. Neben dem Wasserwehr hockte der Kurschmied Sebastian Zedler, item ihr Bruder von der seligen Mutter her, welche zweimal verheiratet gewesen war. Der zwinkerte den Brautleuten zu, ohne sich ansonsten zu rühren, sintemal bei seinem Fischzeug ein Mordstrumm Forelle angebissen hatte. Auch eine Schar Kinder trafen sie, welche jenseits der Enns Seidelbast sowie Palmbuschen und Schneeglöckchen gepflückt hatten. Diesseits der Brücke, dicht vor seinem Hof und Wurzgarten, lud er sie ab, nahm ein Sträußel Buchsbaum vom Hut und reichte ihr’s.
»Nit einmal ein Nagerl hab ich, daß ich dir’s schenken kunnt!«
Das Mädchen roch lange daran, obgleich es nicht geduftet hat, und sagte:
»Will’s in ein Geschirrl stecken, daß es weiterwachst.« Wirklich wanderte sie desselben Tages zu ihrer Goden nach Pürgg. Und als die drei Wochen fürüber waren, hielten sie Hochzeit. Eine zweite Köchin hatte der Stralz gedingt, extra wegen der Prügelkrapfen und der Schnürlkrapfen. Und der Kurschmied Zedler hatte auf der Walchenbrücke eine Maut hergerichtet, daß die Brautleut sauber zahlen mußten, sobald sie, verbunden durch das Ehesakrament, alsdann heimwöllten. Kaleschen, Kutschen und Leiterwagen fuhren auf, mit Bändern und Blumen hochgeschmückt. Spielleut mit Flöte, Klarinette, Trompete, Flügelhorn, Geige, Baßgeige und Bratsche marschierten hinter dem Hochzeitlader. Und aus der Höhe vergossen alle vier Glocken ihren Wellenschwang.
Die Jungfrau Constantia Sorger war so schön und glückselig, daß die alten Mütter im Dorfe gerührt vor sich hinschluchzten. Und daß die ledigen Dirndeln, welche auch ein Ringel erwünschten, dicht bei ihr vorüberstreiften und nach abergläubischer Sitte den Buckel am seidenen Brautkleid wetzten … Und daß die Musikanten es hienach im ganzen Ennstal erzählten, wie die blonde Knappentochter wär dahingerauscht in faltigem Taft, welcher vom dunklen Violett in den braunen Ton verwitterten Kupfers schillerte. Ein Halstuch mit böhmischen Perlen habe sie getragen und nach dem Brauttanz eine golddurchwirkte Drahthaube, von runden Myrten und Rosmarin weiß-grün gekränzet. Bewundernswert sei auch das Muster auf ihren schneeweiß gestrickten Ärmeln und Strümpfen gewest, am allerliebsten aber das wehende Fürtuch von der Farbe blasser Herbstzeitlosen.
Die Hochzeit der Constantia Sorger, verehelichte Stralzin, dauerte drei Tage. Und als diese verflossen waren, betraf sie auch die Freude, daß der Graf Johann Gottlieb Stampfer, zwar nicht in Person, wohl aber durch das Bergamt, den Vater Johannes Sorger zum Hüttenschreiber ernannte, mit viereinhalb Gulden Wochenlohn und der Anwartschaft auf den Verweserposten. Er übersiedelte alsbald von seiner vereinsamten Keusche in das Werksgebäude heraus, und Frau Constantia erblickte in diesem Umstand Gottes weise und gnädige Absicht, denn schon im zweiten Monat ihrer Ehe brach eine große Heimsuchung über die Gegend, namentlich über die Walchen, herein. Item, es hatte von den Tauern allen Schnee zu einem erschrecklichen Hochwasser zusammengeschwemmt, wie es seit Menschengedenken nicht geschehen war. Heftige Wasserstürze verheerten Schacht und Gruben, vornehmlich das Dreifaltigkeitslager und den Thaddäus-Unterbau. Der Bach riß alle Brücken mit. Baumstämme schwammen von den Angern heraus wie Halme.
Und eine Sandmure schob sich durch das enge Quertal und bedrohte das Dorf mit einem Schaden, welchen weder Mensch noch Vieh hätte angleichen können.
Die gottesfürchtigen Leute, soweit sie katholisch waren, nahmen ihre Zuflucht zum heiligen Johannes von Nepomuk und zimmerten augenblicks ein Bildstöckel, damit er sie vor weiterer Not und Fährnis behüte. Die junge Stralzin steckte überdies jeden Abend dem Patron eine Kerze an, der ebendort wachte, wo der Weg zwischen dem Bachbett und ihrem Wurzgarten zum Berghammer führt. Sooft sie auch hinaustrat, gar alleweil lauerte der liebtolle Jager unter dem Brückenschluf des Tenns … und fluchte … und lockte.
Sie tat, als höre sie nichts, betete schnell ein Vaterunser für seine arme Seele.
Am Abend vor Fronleichnam, als bereits die Straßen und Höfe gekehrt und die schmächtigen Birken vor den Häusern eingesteckt waren, als der Bäckenhansei auf seinem Waldhorn viel andächtig das »Tantum ergo« übte, sah sie ihn zum letzten Male. Er stand hinter der Rosenstaude des heiligen Nepomuk, hatte die Händ um einen Zaunpfahl gepreßt und war so bleich und stumm wie ein Martyrer in Todespein. Nicht ein Atemhub entrann seinen Lippen.
Die junge Frau bemerkte solches Leid gar wohl. Lange fing ihr der Schwamm kein Feuer; als sie mit dem Zündstein anschlug, so bebte sie in Unruh. Denn es geschieht, daß der Mensch, wechselnden Stimmungen unterworfen, manchmal die Leidenschaft und Begier eines andern voll Abscheu von sich stößt, manchmal aber zufolge der eigenen Sehnsucht begreift.
Schier versonnen tat sie die aufgerafften Schürzenzipf voneinander, und ein Schopf bunter Feldblumen fiel raschelnd auf die Betbank. Die alten Buschen, die schon seit etlichen Tagen mit einem leisen, traurigen Geruch hierselbst welkten, streute sie in den Bach. Und aus den Krügen, Hönigtiegeln und geschliffenen Kaffeebechern wusch sie den grünen Pflanzenschleim.
Wie Frau Constantia das zweitemal von der Uferstiege zurück gegen die Holzfigur des verschwiegenen Beichtvaters kam, den der böhmische Wenzel ertränkt hat, lag hierorts ein unbeschreiblich schönes Gesträuß blutroten Almrausches. Sogleich erriet sie, wer es gebracht hatte, und meinte kindlich, er wäre, vom lieben Gott erleuchtet, seiner sündhaften Liebe Herr geworden.
Weit gefehlt! Er hatte sich etwas Unheimliches in den Kopf gesetzt. Aber sie wußte es nicht, trat zu ihm und sprach ihn zum erstenmal seit Lichtmeß freundschaftlich an.
»Jager, geh heim!« sagte sie. »Morgen ist Feiertag. Da tragen sie das hochwürdigste Sakrament fürbei. Drum muß ich anheut den Patron zieren mit Buketten und Kranzgewind.«
Er rührte sich nicht.
Und Frau Constantia verrichtete ihre Arbeit weiter. Sie legte zart die blassen Sumpfvergißmeinnicht in einen Zinnteller und drückte nassen Moorsand auf die Stengel. Sie wässerte die violetten Glocken, die weißen Maßliebchen und die blauen Schwertlilien ein. Und nachdem sie damit fertig geworden war, zog sie ein Knäuel Leinengarn aus dem Kittelsack, schnitt Rosmarin, Flieder, Buchs und derlei Gezweig im Garten und band beim Schein der Kerzen einen runden Kranz. Ab und zu jedoch spähte sie neugierig nach dem Jager. Es war schon sehr dusend. Kaum ein Schatten hob sich vom Rasen ab. Die Sterne hingen draußen in der Sommernacht. Gleich verwehten Funken taumelten Johanniskäfer ins hohe Gras. Die Straße war leer. Narzissen, Almrausch und Rose dufteten. Und aus dem zerbrochenen Dachfenster des Bäckenhansei rann wie eine Himmelswelle das Tantum ergo.
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