Sie las nicht. Sie blickte nur immerzu auf das undeutliche Bild von göldenen Schnörkeln und rotseidenen Blumen, die so kunstvoll auf das Papier gepreßt waren. Sie blickte ganz stumpf und gebrochen.
Da küßte der Bursch sie inbrünstig ab.
Die Jungfrau Constantia wehrte sich mit erhobenen Armen, stieß ihn von sich, daß er taumelte, und schlug hinter ihm die Tür zu … Das feuchte Holz gloste auf dem offenen Herd. Und der Rauch drückte sich in die Küche. Denn es blieb immer der Südwind so um Lichtmeß.
Am Fest der heiligen Barbara waren es sechs Jahre gewesen, daß ihr Andreas Stralz das Heiraten geheißen hatte. Barmherzige Mutter Anna und hilfreicher Antoni von Padua! Sie hatte treu gewartet, und im Knappendörfel wie zu Öblarn draußen konnt ihr niemand nichts Übles nachreden. Um Neujahr ist auch der jüngste von seinen sechs Brüdern frei geworden und hat, weit auswandernd, sich in Amerika drüben seßhaft gemacht. Und das Haus ist leer …
Die schöne Jungfrau Constantia schluchzete plötzlich hellauf. Indem sie jedoch das Mus in der Pfanne mit zornigen Stößen zerstampfte, wurde ihr Weinen unhörbar wie auch der schwere Schritt des Herrn Vaters. Er stund auf einmal hinter ihr und fragte mit seiner tonlosen Stimme:
»Was ist’s mit dem Türhaken?«
Sie zuckte die Achseln.
Dann sagte er:
»Ich bin hungrig.«
»Es ist anbrennt.«
Der Knappe wies auf das halb verkohlte Briefchen. Seine Tochter aber schupfte es schnell zur Glut hin, daß es sich also gleich zu einer Flamme einrollte.
»No?«
»Ach nix … ein Zettel …«, murrte sie, » … ein Papierfetzen.«
»Du!« sagte Johannes Sorger rauh. »Du, was hat denn der Lotter draußen? Er lehnt beim Holzzaun und gafft.«
»Er hat mir ein Bussel geben«, sprach sie leise.
»So …?«
»Und ich hab ihn hinausgerennt«, sprach sie laut. »Ansonst wär er wohl noch herinnen.«
Da drehte sich der Knappe jählings um und ging in die Kammer. Als die Stanzi wieder allein war, schlich sie ans Fenster und spähte ein bißchen durch den Fürhangschlitz; denn sie war noch sehr jung und sehr neubegierig.
Richtig! Da lauerte der Jager; die Augen zugekniffen, wachsgelb im Gesicht. Schnitzelte mit einem Weidmesser in der Rinde des Ahornbaumes.
Und am zweiten Tage, nachdem es dusend geworden, stund er wieder dort. Am dritten Tage aber nicht mehr … Es gab einen langen Fasching jenes Jahr. Die blonde Knappentochter hatte sich krank geweint; sonst wäre sie jeden Sonntag bei Predigt und Hochamt gewesen, um es zu hören, wann der Stralz von der Kanzel verkündigt werde. Es bereitete ihr schon eine bitterböse Lust … die Grübelei und das Warten, daß ihr Vater endlich die Botschaft heimbrächte …
Allein es trug sich nichts dergleichen zu. Und sie fühlte sich immer kränker vor Trutz und Liebe und Unruh. Sonst wäre sie gewiß nach Öblarn hinaus und hätte auf dem Tanzboden alle Schuhe zerrissen in den drei Narrennächten bis zum Aschermittwoch. Unglaublich viel sinnierte sie in der beschaulichen Fastenzeit.
Am Schmerzhaften Freitag, welchen Datums ihr Vater Hutmann geworden ist, stund sie vom Marodenbett urblitzlich auf und sagte, sie wäre jetzt wieder gesund. Sie scheuerte das kleine Haus von oben bis unten, rieb das Geschirr mit Zinnheu und Sand, damit es blank wie ein Augapfel spiegle, und begoß die welken Fuchsien am Fensterbrett, die ihr Vater vergessen hatte. Dies alles geschah mit völlig totem Herzen nur ihm zulieb, weil sie sich insgeheim schuldig fühlte. Denn am Ostermontag wollte die Stanzi dem guten Menschen einreden, daß ihre Frau Goden in Pürgg sie geladen hab. In Wirklichkeit aber wollte sie auswandern … weit, weit fort. Wohin, das wußte sie selbst noch nicht.
Heftigen Gemütes, wie sie war, entschloß sich die Stanzi schon zu Palmare. Die gelben Schwefelkrusten rauchten. Der Dunst stieg. Feinstes Grün wagte sich aus dem Almboden. Pestwurz und Buschwindröschen wuchsen den Bach entlang und die dunkelgelben Sterne des Lattich.
»Ein warmes Frühjahr«, seufzte die Jungfrau Constantia, indes sie die kleinen Fensterflügel zögernd aufschlug. Dann machte sie sich zur Abreise fertig und sprach gar schüchtern und verzagt:
»Pfüat Gott, Herr Vater, hiaz muaß ich gehen.«
Er war ganz arglos. Dadurch wurde sie noch trauriger, und während sie mit den Fingern in den Weihbrunn tupfte, überwältigte sie eine trostlose Reue. Ihre herben Mundwinkel zuckten, ihre braunen Augen wurden heiß und blind. Allein sie ließ solches nicht merken und ging mit großen Schritten.
Wohin? … wohin?
Ein einziger Gedanke surrte in ihrem Kopf wie ein schweres Rad immer rundherum:
Wann doch der Weg zwischen Öblarn und dem Knappendörfel niemals ein Ende nähm!
In den Angern erwachte sie ein wenig aus ihrer Stumpfheit. Bergleute torkelten an ihr vorbei, und im Wirtshaus klang eine Harfe. Da mußte sie wehmütig denken, daß mit einem Tanz all ihr Herzeleid begonnen habe. Und sie eilte … eilte. In einem rehledernen Säckchen am Halse klimperten fünf Taler. Sie waren ihr Griesengeld. Die goldlichen Zöpfe sanken auf den Spenser herab, der Kopf schmerzte. Bis ins Mark war sie müd. Und als sie ein Fuhrwerk hörte, kam ihr der Wunsch: Wann ich doch hinfallet und nichts mehr wüsset von mir. Der Mensch, der kommt, möchte mich wohl aufklauben und zu meinem Vater bringen. Ich bräucht alsdann nit selber gehn und wär doch daheim.
Sie fiel aber nicht hin. Das Leben war auch nach der Krankheit wunderbar stark in ihr. Das Fuhrwerk befand sich schon nahe, und nun erkannte sie, daß der Stralz darin saß. Sie wurde zunderrot im ganzen Gesicht und schritt mit einem Male kerzengrad.
»Grüß dich!« sagte er.
Sie dankte ihm nicht.
»Wohin denn?« fragte er, das Roß anhaltend.
Sie ging weiter. Da sprang er vom Wagen.
»Stanzi, bleib doch stehen ein bissel!«
»Was hast gesagt?«
»Du tuast mir alles zufleiß.«
»Wüßt nit … warum.«
»Hast im Sinn auf Öblarn?«
»Weiter.«
»Auf den Mitterberg?«
»Das kümmert dich nix.«
»Das kümmert mich wohl«, sagte der große blonde Mensch ohne Erregung.
Da antwortete sie schon weniger trutzig:
»Nach Pürgg hab ich im Sinn.«
»So weit? Es kostet dich grad ein Wörtel. Soll ich umdrahn?« Sie schwieg.
»Ich führ dich mit meinem Wagerl. Willst?«
»Kunnt mir einfallen.«
Andreas Stralz war mit einem Satz wieder auf dem Wagen, schnalzte und sprengte davon. Das Mädchen tat einen schwachen Seufzer und wußte lange nicht, ob ihr zum Lachen oder zum Weinen sei. Sie wanderte talaus mit ihrem Wanderpack. Und weilen sie schon beim Schrabachkreuz war, galoppierte der Stralz so wild und rasselnd hinterher, als wäre ihm das Roß durchgegangen. Schier keine Zeit hatte sie auszuweichen.
»Wart!« schrie er befehlend und riß am Leitseil, daß der Hengst sich bäumte. Dann sagte er ruhig: »Ich hab mir’s überlegt.«
Erst jetzt schaute ihn das Mädchen ordentlich an und bemerkte, daß er sich sauber ausstaffiert hatte mit einem neuen Hut und einer Joppe von schönem, lichtgrauem Perlloden. Die Hosen waren unter den Knien mit langen propern Lederbändlein zugebunden. Die Modelstrümpf waren blau wie der Enzian.
»Zu meinem Halter wöllt ich in die Starzen«, sagte er.
Da lächelte sie fein.
» … und auf dem Rückweg bei euch zusprechen …«
»Wir ziehen unser Kitzel selber auf«, erwiderte sie gar unschuldig, wußte jedoch ganz gut, daß ihm darum nicht zu tun war.
»Ach geh, bin ich ein Viehhandler, daß du so redst?«
»Nein, das bist nit.«
»Was nachher?«
»Halt mich nit auf! Hab nit Zeit.«
Es glänzte was wie Glimmerschiefer in seinem linken Auge. Am rechten nämlich war er blind. Sich neigend und ihre Hand innig umfassend, sprach er mit seltsamer Gleichmütigkeit:
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