Solches wär ganz richtig, sprach der Bäck im Tore, und der Bader Gasteiger, welcher in seiner Raschheit nichts erwarten konnte, machte mit allem schuldigen Respekt dem Abte klar, daß der erbetene Zuschuß an Grund und Vieh für den guten Magister höchst notwendig sei.
Er habe nichts dagegen, erwiderte Gotthardus. Aber die vier Kirchenpröpste, so von ihren zu fernst auf dem Berg gelegenen Höfen jederzeit das Neue spinnefeind ansahen, taten den Einwurf, daß der Winkler ohnedem genug geschenkt bekäme, und der alte Berghammer, welcher törrisch war, glaubte, es ginge gar von einem neuen Schulbau die Red, schüttelte aus diesem Grunde eigensinnig den Kopf und stieß einen Brummler nach dem andern aus.
Wegen was sie alsdann das viele sündteure Schulgeld blechen müßten, frug der Bauer im Strasserberg, wo sie doch aus purer Gutwilligkeit dem Schulmeister was zu verdienen gäben; denn die gedruckten Bücheln und die spitzfindige Gelahrsamkeit brächten oft Schaden an Leib und Seele, und mancher hätte sich mit solchem Zeug den hölledigen Teufel auf den Buckel geladen.
Pater Isidor und der Pfleger, welche soeben mit einem Stoß Schriften ins Zimmer traten, fanden, daß der Diskurs sich hitzig anließ, und es nahm sie gar nicht wunder, daß der Prälat aus seiner nachdenklichen Miene plötzlich auffuhr und mit Gereiztheit frug, ob denn in Gottes Namen keine Belege vorhanden seien über das tatsächliche Einkommen des Magisters.
»O gewiß«, sagte der Pfarrer gelassen. Er war ein herzensguter Mensch, dem niemand böse sein konnte und der in seiner abgeklärten Stille von keinem nennenswerten Kummer bedrückt war, jedem das Seinige gönnte und sich selbst auch. So hatte er denn zufolge seiner besonderen Eigenschaft, alle Geschäfte mit wenig Aufwand abzumachen und zu vereinfachen, soweit es anging, die Dokumente des Pfarrarchives mitgeschleppt und damit den Lauf der Handlung wesentlich gefördert. Er suchte, ordnete, hielt jedes Blatt weit von sich, laut die Überschriften lesend, und zog endlich unter dem Faszikel Schulsachen die Abschrift eines Steuerbekenntnisses hervor. Nach dieser von Raimund Winkler selbst aufgestellten Fassion betrug das Einkommen jährlich 157 Gulden 16 Kreuzer österreichischer Konventionsmünze, wovon 15 Gulden 16 Kreuzer als Grundertrag festgesetzt waren, die Naturalien beliefen sich im Geldwert auf 35 Gulden 70 Kreuzer. Das Schulgeld für etwa 90 Kinder, denn so wenig waren ihrer nur mehr durch den großen Abzug der Knappenfamilien, machte 106 Gulden 20 Kreuzer aus, wenn ihm, was gar selten der Fall war, 1 Gulden 18 Kreuzer für jedes Kind pünktlich ausbezahlt wurden.
Abt Gotthardus legte das Blatt nach zweimaliger Überprüfung auf den Tisch. Und Pater Isidor nahm es fort, fragend, ob man nunmehr die Sache als erledigt betrachten und mit der herrschaftlichen Zusage rechnen dürfe, zumal er nicht ohne Interesse daran beteiligt sei. Der Prälat schaute sehr verwundert auf. Konnte aber nicht umhin, bei seiner Bejahung zu lächeln, indem er, wie gesagt, ein Menschenkenner war und füglich erriet, daß Pater Isidor in Anbetracht seiner zunehmenden Tonsur sich ein bescheidenes irdisches Profitchen herausgenommen habe. Nur welches … das wußte er zur Stunde noch nicht. Er richtete sein Wort itzt an die erbgesessenen Öblinger und frug, welche von ihnen beim Magister als Grenznachbarn anrainten und dahero gewillt wären, demselbigen einige Klafter Land gegen rechtlichen Umtausch mit dem Stifte abzutreten.
Da rührte sich abermals keiner. Sie hingen so zäh an Grund und Boden und steiften sich, als werde ihnen die Haut abgezogen. Endlich suchte Sebastian Zedler fürsichtig herauszubringen, was etwa dabei zu verhoffen wäre.
Gotthard schaute den Pfleger an, und dieser antwortete zögernd: ein Stück vom Dienerfelde, sofern der Stralz als Pächter desselben nichts dagegen habe.
Der Stralz sagte weder ja noch nein. Und der Gasteiger sagte, wann seine Alte einverstanden sei, alsdann ließe er aufs Jahr mit sich reden. Weiter nichts.
Die gewichtigen Kirchenpröpste wurden dafür um so gesprächiger. Sie behandelten den strittigen Punkt mit vieler Umständlichkeit, immer auf das gleiche hinzielend, daß sie nämlich, falls es auf sie ankäme, sicher keine Wiese verschenken wollten, denn ihnen habe auch niemand keine geschenkt.
Raimund Winkler gab ihnen bittere Blicke. Von der gesunden Selbstsucht dieser Bauernnaturen tief verletzt, nahm er die Sache viel ernster, als sie eigentlich war. Er hätte ihnen irgendein grobes Wort breitlachend ins Gesicht sagen sollen. Allein das konnte er nicht. Nein, ganz im Gegenteil, es nahm sein Wesen wieder den strengen, abgekehrten Zug an. Er krümmte die Finger zitternd unter dem langen verschlissenen Tuchärmel und bat den Prälaten, alsogleich den Vertrag aufsetzen zu dürfen, in selbigem er für die Genehmigung seiner Wünsche und Bedürfnisse auch zu entsprechender Gegenleistung sich verbinde, welche, so hoffe er, den Zorn seiner Widersacher einigermaßen besänftige.
Ja, der Magister redete sich tiefer und inbrünstiger in seinen gewiß berechtigten Groll und schrumpfte nach Art empfindsamer Menschen in sich zusammen, weil andere ihn verdemütigt hatten. Sein Schriftstück fiel auch ganz in diesem Sinne aus. Während er nun in dem schweren, ehrwürdigen Stuhle des Abtes saß, indem sonst nur Bänke an der Wand herumstanden, und während die weiße Gänsefeder in widerspenstigen Schnörkeln über den Bogen floß, frug Gotthard die übrigen, ob sie vielleicht Anbot, Bitte oder Beschwerde fürzubringen hätten.
»Hm?« frug der Berghammer zurück.
Der Kurschmied Zedler explizierte ihm die Geschicht, worauf er bedächtig seine Zufriedenheit äußerte und die Versicherung beifügte, daß er mit Verlaub der geistlichen Obrigkeit auch weiterhin betläuten wölle, maßen sein Schlaf itzt rar werde und sein Gehör, das leider schon schwach und unverläßlich, gerade den Glockenruf wohltätig empfände.
Der Prälat kannte den Dorfrichter seit einer Reihe von Jahren, ohne jemals eine Veränderung an ihm wahrgenommen zu haben. Das schüttere braune Haar, von nicht allzuviel weißen Fäden durchzogen, die stoppeligen, immer frischroten Wängelein, die Augen lebendig und hell, nahezu ein bißchen argwöhnisch, wie man’s bei Schwerhörigen öfter trifft, und seine Rüstigkeit ließen den Mann als Sechziger gelten. Aber Gotthard, der langjährigen Bekanntschaft ingedenk, sagte, ihn beim Rockknopf fassend und seine Stimme dem Ohre nähernd: schätzungsweise müßte der Berghammer schon ein hoher Siebziger sein.
»Stark, stark!« entgegnete der Greis nickend. Just am Großen Frauentag hätt er das sechsundachtzigste Lebensjahr hinter sich gebracht.
Das wäre ganz richtig, sagte der Bäck im Tore.
Und der Bader Gasteiger meinte zuversichtlich, daß Lunge, Herz und Leber auch das hundertste übertauchten. Aber, weil es ihm soeben durch den Kopf führe, warf er plötzlich hin … mit dem bedauernden Beisatz, daß seine Rede sich zwar schlecht zu dem erquicklichen Thema reime … Aber, er wisse auch ein altes Bäuerl, Hochsattler benannt und in der Sölk wohnhaft, so geberg, daß es mit der Haue das Feld umbrachen und mit Steigeisen zur Mahd gehen müsse. Das besagte Bäuerl habe ihm des mehrern schon zu verstehen gegeben, daß die Hirsch und Rehe viel Getreid wegfräßen, sowann es auf dem Gumpeneck einen Augustschnee hat.
Das machte der Bader dem Abte zu wissen, mit offener Bitte, daß die Herrschaft Gstatt den Wildschaden zahle, wenn man auch nicht genau eruieren könne, wessen die Hirsch und Reh gewesen. Und gemäß seiner Ehrlichkeit, sagte er zuletzt noch, daß er hiemit beim Hochsattler einer Dankesschuld sich entledigen möchte, weil derselbe alljährlich im Spätsommer den Hollerschnaps und den Kranewittern, so zu Medikamenten unerläßlich, ohne jedes Entgelt für ihn brenne und schon etliche Körblein voll Speik, Hauswurz und echten Enzian gepflückt und gedörrt hab.
Читать дальше