Der Rundgang kann entweder beim Jüdischen Museum in der Dorotheergasse oder beim Museum Judenplatz begonnen werden. Dort steht auch das Shoah-Mahnmalvon Rachel Whiteread, das eine Bibliothek mit nach innen gewandten Büchern darstellt und der 65 000 Juden aus Österreich gedenkt, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden und daher keine Geschichten mehr erzählen können.
Direkt unter dem Mahnmal liegen die Ausgrabungender ersten jüdischen Gemeinde Wiens. Das einst florierende jüdische Viertel wurde in der „Wiener Geserah“ 1420/21 auf Befehl des Habsburgers Herzog Albrecht V. ausgelöscht.
Das virtuelle Museum führt aber nicht nur zu den Gedenkorten der Judenverfolgungen, sondern auch zu Orten jüdischen Alltagslebens, etwa zum Hotel, in dem der Kaffeehausliterat Peter Altenberg wohnte, zur Wohnung, in der Wiens erster Weihnachtsbaum – von einer Berliner Jüdin in die Stadt gebracht – stand, oder in das Geschäft, in dem Alma Mahler-Werfel einzukaufen pflegte.
Jüdisches Museum
Dass die jüdische Geschichte nicht nur auf die Jahre von 1938 bis 1945 eingeengt wird, ist ein Anliegen der Museumspädagogin Hannah Landsmann vom Jüdischen Museum in der Dorotheergasse.Während die App die verschiedenen Orte des Geschehens zeigt, erfährt man bei Exklusivführungen in kleinem Kreis (maximal vier Personen) vertiefende Informationen: Wie ging es den Rückkehrern aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern? Was löste den Konflikt zwischen Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal aus? Was hat es mit dem Hafer auf sich, der im Museum ausgestellt ist?
Unten links: Fahrrad von Theodor Herzl
Landsmann und ihre Kollegen nehmen sich für die Besucher gerne viel Zeit. Die Exklusivführungen finden auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten statt und bieten die Möglichkeit, mit den Mitarbeitern einen Dialog zu führen, statt nur einem Frontalvortrag zuzuhören. Nach dem Museumsbesuch lädt das Museum die Besucher zu einem Gespräch bei Kaffee und Kuchen ein. „Ich bin auch zuständig für Entschleunigung“, sagt Landsmann lachend. Für jene, die es eilig haben, gibt es eine dreißigminütige Führung mit den Museumshighlights. Dieser Besuch führe aber manchmal dazu, dass man wiederkommt, wie Landsmann betont. Die Besucher können sich einen Multimediaguide ausborgen, der Interviews mit Zeitzeugen ebenso enthält wie Bilder der Shoah, Stimmen zu Festtagen und Alltagsleben. „Der Multimediaguide beinhaltet auch viele Objekte, die wir im Museum nicht ausstellen können“, sagt Landsmann.
An Liebespaare wendet sich die Führung „Unsere Stadt zu zweit“: Hier sieht man zum Beispiel einen Hochzeitsring mit einem Haus als Aufsatz oder erfährt die berührende Geschichte, wie eine Überlebende eines Konzentrationslagers sich in einem DP-Camp (Lager zur Unterbringung von sog. Displaced Persons nach Ende des Zweiten Weltkriegs) in ihren Hebräischlehrer verliebte und ihn heiratet, inklusive Hochzeitsfoto und dreistündiger Hochzeitsreise zu den Krimmler Wasserfällen. Ein weiteres Programm lädt Besucher ein, in jedem der drei Stockwerke zuerst je drei Objekte zu fotografieren und sich beim gemeinsamen Rundgang die Geschichte der ausgewählten Gegenstände von den Vermittlern erklären zu lassen.
Die Idee, das Museum durch die App in die Stadt hinauszutragen und den Ausstellungsstücken und Geschehnissen einen Ort zu geben, sowie die Führungen im Museum selbst ermöglichen einen vielschichtigen Einblick in die jüdische Geschichte, die uns umgibt.
Jüdisches Museum:Dorotheergasse 11, 1010 Wien. Kostenlose Führungen mehrmals im Monat. www.jmw.at
Downloadlink zur App: www.jmw.at/app/jewishvienna
Museum Judenplatz:Judenplatz 8, 1010 Wien
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Innere Stadt | Wiener Staatsoper
Die Wiener Staatsoper wird als „Erstes Haus am Ring“ bezeichnet. Ob das stimmt, kann man zwischen September und Juni erleben – auch mit kleinem Geldbörsl. Zum Besuch sollte man sich aber sicherheitshalber einen Schal mitnehmen.
Die Wiener Staatsoper gilt als eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt, und das kommt nicht von ungefähr. In der Spielzeit von September bis Juni werden – weltweit einmalig – über 60 Opern- und Ballettinszenierungen in mehr als 300 Vorstellungen gezeigt. Außerdem gastieren hier jedes Jahr große Opernstars und Dirigenten. Kein anderes Haus weltweit richtet einen Staatsball aus – und kaum eines bietet mehr Stehplätze.
Neue Bekanntschaften
Der Herr am Stehplatzeingang der Staatsoperführt ein strenges Regiment. Kartenkäufer müssen sich in Zweierreihen anstellen, Ausscheren ist nicht erlaubt. Wer seinen Platz verlässt, verliert ihn. Drei Stunden vor Verkaufsbeginn wird eine unscheinbare Seitentüre aufgesperrt. Opernfans mit knappem Budget stehen oft schon seit den frühen Morgenstunden an, um sich eine der 567 Stehplatzkarten zu sichern. Einige Profis bringen einen Klappstuhl und Jausenbrote mit. Jeder, der einen Stehplatz will, muss sich selbst anstellen, denn pro Person wird nur eine Karte verkauft. So kann der geplante Opernbesuch schon bis zu zehn Stunden dauern. Allerdings lernt man viele Menschen kennen, Touristen aus aller Welt, Opernliebhaber und Musikstudenten. Eine Dame erzählt, sie gehe dreimal die Woche in die Oper, ein Herr, dass er 1956 das erste Mal einen Stehplatz genommen habe und seither fast täglich komme. „Wir sind eine Stehplatzbande“, sagt ein Dauerbesucher lachend.
Zwischen 3 und 4 Euro kostet eine Stehplatzkarte. Den günstigen Preis erkauft man sich allerdings mit Geduld und Disziplin: Kaum hat man die Karte ergattert, wird man in die nächste Schlange gestellt, bis jemand die Tür zu den Stehplätzen aufmacht, danach ist – Schulter an Schulter – abermals Warten angesagt. Allerdings erfährt man von den Stehplatzveteranen Details zur Aufführung und so manches Gerücht um die Sänger. Und die Qualität der Aufführungen ist sowieso Weltklasse.
Für wahre Aficionados gibt es auch eine Stehplatzberechtigungskarte, die das Anstellen am Abend erspart – die Karten sind damit tagsüber ganz normal im Foyer erhältlich. Jene, die lieber sitzen, können sich für zehn Euro in Logen die hinteren Sitze kaufen. Dort hört man gut, allerdings ist die Sicht eingeschränkt. Noch günstiger, nämlich gratis, sieht man die Opernaufführungen in den Monaten April, Mai, Juni und September: Über vierzig Vorstellungen werden auf eine Großleinwandvor der Oper übertragen.
Wer hingegen an Details zum Haus interessiert ist, kann an einer Führungteilnehmen und erfährt dabei etwa, dass das Gebäude – ähnlich wie das Burgtheater – bei den Wienern anfangs überhaupt nicht gut ankam. Das 1869 eröffnete Haus, damals noch „k. k. Hof-Operntheater“, sehe aus wie ein „in der Verdauung liegender Elefant“ und sei ein „Königgrätz der Baukunst“, womit man auf die verheerende Niederlage des kaiserlichen Heeres gegen die Preußen von 1866 anspielte. Die Kritik kam auch vom Kaiser selbst, einer der Architekten der Oper, Eduard van der Nüll, soll sich 1868 wegen der Schmähungen erhängt haben. Dies hat den Kaiser so schockiert, dass er sich ab nun zu Kunstdingen nur mehr mit dem bekannten Satz „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ geäußert haben soll. Schon bei der Eröffnung war die Kritik am Bau aber vergessen, die erste Vorstellung am 25. Mai 1869 mit Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart war ein großer Erfolg.
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