Martin Kowalski - Aber ich will etwas getan haben dagegen!

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"Aber ich will etwas getan haben dagegen!" – damit bezog sich Gudrun Ensslin auf den fehlenden Widerstand im Nationalsozialismus und rechtfertigte so ihren Kampf in der Stadtguerilla. Wie sehr die rebellierende Generation der 68er jedoch selbst immer noch dem faschistischen Denken verhaftet blieb und wie wenig Distanz sie zu ihren Eltern gewinnen konnten analysiert Autor Martin Kowalski genau. Aus einer Perspektive ist die RAF vor allem auch als ein postfaschistisches Phänomen zu sehen.

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„Aber ich will etwas getan haben dagegen!”

Die RAF als postfaschistisches Phänomen

Aber ich will etwas getan haben dagegen - изображение 1

Martin Kowalski

„Aber ich will etwas getan haben dagegen!”

Die RAF als postfaschistisches Phänomen

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche - фото 2

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

ISBN (eBook, epub): 978-3-940621-49-8

Redaktion: Cornelia Siebeck

Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung:

Stefan Berndt – www.fototypo.de

Satz und Layout: Benedict Leicht

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin/2010

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen,

der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe

und der Übersetzung, vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhalt

„Die Konflikte auf die Spitze treiben…“ – 40 Jahre nach Gründung der RAF

„Unter dem Pflaster liegt der Strand!“ – Die Revolten der 1960er Jahre und die bundesrepublikanische Linke

„Man kann mit Leuten, die Auschwitz gemacht haben, nicht diskutieren.“ – Der Tod Benno Ohnesorgs und die Radikalisierung der Studentenbewegung

„Napalm ja, Pudding nein.“ – Von der Spaßguerilla zur Stadtguerilla

„…ungeeignet, eine ihren Zielen angemessene Praxis zu entwickeln.“ – Krieg gegen den Staat oder ‚Marsch durch die Institutionen‘

„Unsere Isolation jetzt und das Konzentrationslager demnächst…“ – Eine kleine Geschichte der RAF

„Die Angst vor dem Faschismus überwinden, um seine Wurzeln zu vernichten!“ – Der Faschismusbegriff der RAF

„…eine nachholende Résistance.“ – Pathos des Widerstands und Märtyrertum

„Praxislos sind programmatische Erklärungen nur Geschwätz.“ – Primat der Praxis und Avantgardismus

„Wir haben diese Struktur in unseren Zusammenhängen nicht aufgelöst.“ – Autoritarismus, Menschenhass, Antisemitismus

Die Rote Armee Fraktion und die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft – Ein vorläufiges Fazit

Anmerkungen

„Die Konflikte auf die Spitze treiben…”

40 Jahre nach Gründung der RAF

„Die Rote Armee aufbauen!“ forderte die 29-jährige Gudrun Ensslin 1im Sommer 1970: Aus bloßen Protesten sollte ein ‚bewaffneter Kampf‘ werden. Keine vier Jahre zuvor hatte der studentische Aktivist Rudi Dutschke 2, ebenfalls Jahrgang 1940, zur Bildung einer außerparlamentarischen Opposition (APO) aufgerufen: gegen die Große Koalition und deren antidemokratisehe Notstandsgesetzgebung. 3Vor allem aber bot die APO Raum für ein Gefühl der Empörung angesichts der saturierten Wohlstandsgesellschaft, die auf den Trümmern des ‚Dritten Reichs‘ entstanden war.

Während in Vietnam und anderswo Krieg und Elend herrschten, hatte man es sich in der Bundesrepublik und West-Berlin längst wieder bequem gemacht. Man ging seinen täglichen Pflichten nach, konnte sich nach den Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit wieder etwas leisten und stellte lieber keine kritischen Fragen – nicht zur jüngsten deutschen Vergangenheit, nicht zu deren Kontinuitäten in der bundesrepublikanischen Gegenwart und schon gar nicht zu Ursachen und Folgen von Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg im Rest der Welt.

„Ohne Provokation werden wir gar nicht wahrgenommen“, hatte Rudi Dutschke 1966 konstatiert 4. Jetzt erklärte Gudrun Ensslin, die das vermeintlich wirkungslose Protestieren der APO-Aktivisten satt hatte, öffentlich den Krieg gegen den Staat: „Um die Konflikte auf die Spitze treiben zu können, bauen wir die Rote Armee auf.“ Die Pfarrerstochter appellierte an die „Genossen“, sich und anderen bewusst zu machen, „dass die Revolution kein Osterspaziergang sein wird!“ Der von Ensslin verfasste Aufruf in der linksradikalen Zeitung agit 883 5gilt als Gründungsdokument der RAF. Die Massen sollten folgen: Ob Hauptschüler, Arbeiter und kinderreiche Familien oder die von Krieg und Ausbeutung geplagten Menschen in der ‚Dritten Welt‘ – im Kampf gegen ‚den Imperialismus‘ würden sie in absehbarer Zeit als revolutionäres Kollektivsubjekt „die Führung übernehmen“.

Die RAF konzipierte sich in Abgrenzung zur APO als revolutionäre Avantgarde. Ihr Diskurs oszillierte dabei von Anfang an zwischen paranoider Defensive und gnadenloser Offensive. So schrieb Ensslin einerseits aus der Perspektive der ‚Opfer‘, die ihr Ohnmachtsgefühl überwinden wollten: „Was heißt: Die Konflikte auf die Spitze treiben? Das heißt: Sich nicht abschlachten lassen. Deshalb bauen wir die Rote Armee auf.“ Andererseits schwelgte sie in Machtphantasien und drohte unverhohlen: „Die Konflikte auf die Spitze treiben heißt: Dass die nicht mehr können, was die wollen, sondern machen müssen, was wir wollen.“ 6Ein Jahr später veröffentlichte die RAF mit dem ‚Konzept Stadtguerilla‘ ihr erstes Strategiepapier, 7kurz darauf ein ausführliches Positionspapier, in dem der Zusammenhang von ‚Kapitalismus‘, ‚Imperialismus‘ und ‚Faschismus‘ sowie eine daraus vermeintlich resultierende Notwendigkeit von „bewaffnetem Kampf“ und „Terror gegen den Herrschaftsapparat“ theoretisch erläutert wurden. 8

Im Mai 1972 folgte mit der so genannten ‚Mai-Offensive‘ eine erste Welle von Bombenanschlägen auf zwei Einrichtungen der US-Armee, ein Polizeigebäude, den Springerverlag und einen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes. Kurz darauf wurden die Mitglieder der ‚ersten Generation‘ um Gudrun Ensslin, Andreas Baader 9und Ulrike Meinhof 10verhaftet. Ihre Nachfolger sahen sie fortan als Ikonen, die es zu befreien galt – nach ihrem kollektiven Selbstmord 1977, der in der Szene zum ‚Mord‘ umgedeutet wurde, schließlich auch als Märtyrer. Das „Projekt RAF“ wurde nach dem Tod der Gründergeneration mit verschärfter Brutalität fortgesetzt. Bis zur Auflösung im März 1998 wurden unter dem Label ‚RAF‘ diverse Banküberfälle und insgesamt 25 Anschläge und Anschlagsversuche verübt, 11bei denen 34 Menschen getötet wurden. 12Auch auf Seiten der RAF kamen im vermeintlichen Kampf „gegen Herrschaft und für Befreiung“ 1326 Menschen meist bei Fahndungsaktionen der Polizei ums Leben.

Vier Jahrzehnte nach Gründung der RAF scheinen Begriffe wie ‚Revolution‘ und ‚Guerilla‘ in der westlichen Welt obsolet, zumindest als dezidiert politische Konzepte. Stattdessen begegnen sie uns in der Sphäre des Konsums. Branchen und ‚Märkte werden Revolutioniert‘, Waren mittels ‚Guerillamarketing‘ 14beworben. Mao und Ho Chi Minh sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Che Guevara hingegen ziert heute nicht mehr nur die Wände alternativer Jugendzentren und Wohngemeinschaften, sondern prangt als eines der meistreproduzierten Konterfeis der Welt auf T-Shirts großer Bekleidungsketten, Leihautos oder Fußmatten. Nichts scheint mehr übrig zu sein von der Aufbruchstimmung der späten 1960er Jahre, als es sinnvoll erschien, die Welt verändern zu wollen – notfalls mit allen Mitteln.

Die RAF und ihre Protagonisten wiederum sind beliebte Motive des Kulturbetriebes geworden. In zahlreichen Kunstwerken, Büchern und Filmen wurde der Kampf der RAF nicht selten historisch und politisch dekontextualisiert, trivialisiert und konventionellen Dramaturgien angepasst. Christopher Roths Film ‚Baader‘ (2002) etwa zeigt Andreas Baader und Gudrun Ensslin als junges Liebespaar à la Bonnie und Clyde. In schnellen Autos, schicken Klamotten, die Knarre griffbereit, ziehen sie aus, um die Welt zu verbessern. Sie haben Geld im Überfluss, rauchen viel und tragen coole Sonnenbrillen. Als Ensslin ihren Geliebten in einer Szene fragt, ob ihre Kinder in einer gerechteren Welt leben würden, erwidert Baader: „Klar, weil wir der Welt so lange auf die Fresse hauen, bis sie verstanden hat, dass der Wille zur Freiheit stärker ist als der Wille zur Unterdrückung.“ Wild und draufgängerisch entfliehen die beiden dem grauen Alltag und bieten zumal jugendlichen Zuschauern einige Identifikationsmöglichkeiten.

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