„Oh, Scheiße!“
„Jetzt nicht dein Ernst?!“
Müller nickt traurig.
„Oh, Mann!“
Müller grinst. „ M BB 1218 .“
„Danke, du Spaßvogel.“
„Gibst du mir Bescheid, wenn ihr was rauskriegt über das Opfer?“
„Logisch, Hubert.“
Josef notiert sich die Autonummer und fährt ins Präsidium.
Dort hat er keine Gelegenheit, das Kennzeichen zu überprüfen, denn in seinem Büro wartet bereits Dr. Aschenbrenner. „Ich hab’s mir schon mal gemütlich gemacht“, begrüßt er Josef.
„Kaffeechen?“
„Danke, nein. Wo kommen Sie jetzt her?“
„Aus der Quiddestraße.“
„Seit wann sind wir für Unfall mit Fahrerflucht zuständig?“
„Seit gestern. Das war kein Unfall, das war Vorsatz. Der Typ wurde vorsätzlich umgefahren.“
„Ich rede von heute.“
„Ein ganz ähnlicher Fall. 20 Meter vom gestrigen Tatort weg. Wieder keine Bremsspuren. Das ist kein Zufall.“
„Hirmer, die Wohnungsschlüssel bitte.“
„Bitte?“
„Die Wohnungsschlüssel von diesem Wiesinger.“
„Die hab ich wieder …“, – er greift in die Jackentasche – „oh, die hab ich doch tatsächlich mitgenommen.“
„Hirmer, ich hab bereits mit Müller telefoniert. Ich hab auch versucht, Sie zu erreichen. Warum gehen Sie nicht ans Handy?“
„Lautlos gestellt.“
„Lautlos. Gutes Stichwort. Wir ziehen uns lautlos aus der Nummer raus.“
„Warum?“
„Da spielen die großen Jungs.“
„Was soll das heißen?“
„Dass der Staatsschutz übernimmt.“
„Was will denn der Staatsschutz bei der Sache? Haben wir es hier mit politisch motivierter Kriminalität zu tun?“
„Die werden ihre Gründe haben und sie uns nicht unbedingt erläutern wollen. Hirmer, Sie kümmern sich bitte ausschließlich um den U-Bahnschubser.“
„Aber es gibt doch Parallelen zwischen den zwei Fällen!“
„Ach, kommen Sie! Zufällig derselbe Ort, dieselbe Todesart. Ich sag’s Ihnen, dieser U-Bahnschubser war ein Einzelgänger.“
„Und dieser Wiesinger?“
„Hirmer, nochmal: Finger weg! Müller hat von seinem Chef die gleiche Ansage bekommen. Wir sind weisungsgebunden. Kümmern Sie sich um den U-Bahn-Heini, den anderen übernehmen die Kollegen vom Staatsschutz. Und falls die unsere Unterstützung brauchen, werden sie auf uns zukommen.“
„Ich freu mich schon.“
Als Aschenbrenner sein Büro verlassen hat, sinkt Josef in seinen Bürostuhl. So ein Mist! Werden sie einfach aufs Abstellgleis geschoben, vom Ermitteln abgehalten. Lässt er sich das gefallen? Er denkt nach. Staatsschutz? Was ist dieser Wiesinger für ein Typ, was hat er gemacht? Und warum interessiert sich jemand außer ihnen noch für einen ‚Unfall mit Fahrerflucht‘? Das stinkt doch zum Himmel!
Das Wort ‚lautlos‘ arbeitet in seinem Kopf. Nein, er wird sich nicht aus dem Fall zurückziehen, sondern geräuschlos daran weiterarbeiten. Mit den Kollegen. Es kann doch nicht sein, dass Asche es ernst meint damit, dass die Übereinstimmungen bei den beiden Fällen nicht zu beachten sind. Das ist eins der Kernprinzipien ihrer täglichen Arbeit: auf Strukturen achten, Parallelen, Widersprüche. Es liegt doch auf der Hand: Die beiden Personen sind nach demselben Muster, wahrscheinlich von demselben Auto mit demselben Fahrer überfahren worden. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht war es im ersten Fall ein Irrtum, eine Verwechslung. Aber warum? Über den U-Bahnschubser wissen sie schon ein paar Details. Über das neue Opfer noch gar nichts. Er tippt die Autonummer des schwarzen Mercedes in die Suchmaske. Kein Treffer. Alles klar. Oder eben nicht. Presse war das jedenfalls nicht. Staatsschutz? Wer ist dieser Carsten Wiesinger, dass die hier anrücken? Ob das sein echter Name ist? Er gibt den Namen in seinen Computer ein. Im Melderegister findet er ihn unter der Adresse in der Quiddestraße. In der Polizeidatenbank haben sie nichts zu ihm. Josef geht nach nebenan, um sich mit den Kollegen zu besprechen.
Josef hat sich in seinem Büro vergraben. Hat weiter recherchiert zu Carsten Wiesinger. Google zeigt viele Treffer. Zu viele. In München und im ganzen Land. Der Name ist nicht gerade selten. Bilder? Alles Mögliche, nichts Passendes. Schließlich entdeckt Josef den Gesuchten aber doch noch: auf Fotos der Homepage einer politischen Vereinigung in München. Die BMB, die „Besorgten Münchner Bürger“, eine rechte Protestpartei.
Josef kennt die BMB bislang nur vom Hörensagen. Das ist die dunkle Seite der Politik. Jetzt hat er zumindest einen Anhaltspunkt, warum sich der Staatsschutz in den Fall einmischt. Klar, die sind an der rechten Szene dran. Aber welche Rolle spielte Carsten Wiesinger bei dieser Partei? War er ein strammer Rechter, der beobachtet wurde? War er ein Informant? Oder gar ein V-Mann? Alles pure Spekulation. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Wiesinger Opfer eines simplen Unfalls mit Fahrerflucht ist, geht für Josef gegen Null. Er grübelt weiter. Könnte es ein Attentat gewesen sein? Von radikalen Linken? Oder ist Wiesinger als V-Mann aufgeflogen und ein Opfer von Rechten, denen nicht geschmeckt hat, dass er sie ausspioniert? Josef informiert sich genauer über die BMB und stellt fest, dass diese inzwischen eine feste lokalpolitische Größe sind. Mit guten Chancen, bei der nächsten Kommunalwahl ein zweistelliges Ergebnis einzufahren. Er staunt. Diese politische Entwicklung hat er verpennt. „Nicht gut, wenn man in der eigenen Stadt nicht Bescheid weiß“, murmelt er.
Er recherchiert weiter, liest über die großen Erfolge der Partei mit ihrem radikal konservativen Programm. „Wenn das eine heimatliche Politik sein soll, na danke! Eklig“, findet Josef nach der Lektüre des Parteiprogramms. Neben einigen verständlichen Kritikpunkten an der zum Teil verfehlten Sozialpolitik der Stadt beinhaltet das Programm an vielen Stellen offene Stimmungsmache gegen Ausländer und Flüchtlinge. Und natürlich die Forderung nach einer Asylobergrenze. ‚Damit sind sie zumindest nicht alleine‘, denkt Josef. ‚Was es aber nicht besser macht.‘
Als er den Computer runterfährt, fühlt er sich irgendwie beschmutzt, klebrig, ungut. So als wäre er auf Pornoseiten unterwegs gewesen. War er noch nie. Vielleicht sollte er das einfach mal machen, um zu wissen, was los ist in der Welt da draußen. Nein, das macht er nicht, er sieht schon genug Dreck im echten Leben.
Genug für heute. Er beschließt, zu Fuß heimzugehen, um seinen verwirrten Kopf ein bisschen auszulüften. Vielleicht findet er unterwegs noch einen offenen Blumenladen? Könnte er seiner Frau eine Freude machen. Er sieht auf die Uhr. Es ist kurz nach acht. Keine Chance. Am Hauptbahnhof? Aber da lungern jede Menge unguter Typen rum, verchecken Drogen, warten auf Gelegenheitsjobs aller Art. Hat er jetzt keine Lust drauf. Kein Wunder, wenn die Leute nach mehr Sicherheit schreien und sich einreden lassen, dass das etwas mit der Flüchtlingssituation zu tun hat. Ist das die Logik? Am Hauptbahnhof waren schon immer unangenehme Leute aus aller Herren Länder. Ach, er weiß es doch auch nicht. Nein, heute keine Blumen mehr für seine Frau. Einfach möglichst schnell nach Hause.
Am nächsten Morgen unterrichtet Josef seine Kollegen über seine Nachforschungen zu Carsten Wiesinger. Und über die BMB. Der einzige im Team, der die Gruppierung näher kennt, ist Harry. ‚Kein Wunder‘, denkt Josef, denn er kennt Harrys politische Haltung – links, ökologisch, antifaschistisch. Die Partei stellt ein klares Feindbild für ihn dar.
„Das ist eine der vielen kleinen nationalkonservativen Protestparteien, die diese elende Neiddebatte schüren“, erklärt Harry gerade. „Dass uns die Flüchtlinge alles wegnehmen und wir kriegen nix. Dass der Islam eine Gefahr für Deutschland ist. Dass mit den Flüchtlingen der Terror kommt. Diese ganzen Sprüche.“
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