1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Wirklich?«
»Gwen rief mich gestern Abend aus Wyoming an … ich konnte sie dazu bewegen, dass sie sich wenigstens dazu bereit erklärte … und ich hatte eine furchtbar deutliche Vorahnung, dass ich sie … dass ich sie niemals wiedersehen würde.« Sie schien im Begriff, wieder die Beherrschung zu verlieren, riss sich aber zusammen. »Was mich noch zusätzlich ängstigt, ist, dass ich nie Vorahnungen habe. Nachdem ich bei der Polizei war, ging ich direkt zu Hermione. Sie war nicht gerade ermutigend.«
»Was hat sie gesagt?« Stoner fühlte, wie ihre Alarmglocken zu läuten begannen.
»Dass Gefahr besteht. Große Gefahr. Sie hatte irgendeine Art Verbindung zu Bryan. Ich weiß nicht genau, wie diese Dinge funktionieren.«
»Ich auch nicht. Aber sie funktionieren.«
»Sie glauben wohl nicht, dass sie nur taktvoll sein wollte, oder?«
»Das bezweifle ich stark. Takt ist nicht gerade ihre Art.« Stoner betrachtete das Muster auf dem Teppich. »Was könnte ich Ihrer Meinung nach für Sie tun?«
»Fahren Sie hin und, nun, behalten Sie die Dinge im Auge.«
»Ich soll sie bespitzeln?«
»Das ist ein sehr hässliches Wort. Aber gut, ja, bespitzeln Sie sie.«
»Mrs. Burton«, sagte sie, »ich wüsste gar nicht, wie ich das anstellen sollte.«
Die ältere Frau wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Aber natürlich wissen Sie das. Hermione sagt, Sie sind ein helles Köpfchen.«
»Nicht so hell.« Hinter Büschen verstecken? In Torwegen lauern? Durch Fenster spähen? Sie hatte diese Art Dinge nicht getan, seit sie zehn war.
»Sie könnten ihnen ganz zufällig über den Weg laufen. Machen Sie sich beliebt!«
»Mich beliebt machen?«
»Freunden Sie sich mit ihr an. Ich bin sicher, Sie würden meine Enkelin mögen.«
»Das würde ich sicher, aber …«
»Und ich weiß, dass sie Sie mögen würde. Vielleicht können Sie die Wahrheit ans Licht bringen.« Sie fixierte Stoner mit einem sehr direkten Blick. »Sie braucht sehr dringend eine Freundin, Stoner.«
»Aber was ist, wenn Sie sich in ihm getäuscht haben?«
Mrs. Burton lächelte. »Ich wäre nur zu gerne bereit, mich in Grund und Boden zu demütigen, Asche auf mein Haupt zu laden und auch einen Schwiegerenkel zu akzeptieren, der mir unsympathisch ist.«
Stoner lugte auf Gwens Bild und verscheuchte ein winziges Fünkchen von Erregung. Rational. Hier ist Rationalität angebracht. »Kann ich mir etwas Zeit nehmen, um darüber nachzudenken?«
»Wir müssen schnell handeln. Selbst jetzt könnte es schon zu … ach, Himmel!«
»Ich will es überschlafen«, warf Stoner hastig ein. »Vor morgen früh kann ich … könnte ich sowieso nichts unternehmen. Inzwischen, falls Sie … äh … etwas von ihr hören, würden Sie mich anrufen?«
»Unverzüglich.« Sie stand auf. »Ich muss gehen. Falls es üble Neuigkeiten geben sollte, will ich sie nicht von meinem Anrufbeantworter entgegennehmen.«
Sie gingen zusammen zur Tür. »Als ich in Ihrem Alter war, übermittelte man schlechte Nachrichten grundsätzlich persönlich. Es wäre unvorstellbar gewesen, so etwas telefonisch zu machen. Heutzutage ist alles möglich, nicht wahr?«
»Möchten Sie, dass Marylou Sie nach Hause begleitet?«, fragte Stoner, während sie den Mantel der Frau aus dem Garderobenschrank zog.
»Ach, das ist eine wunderbare Idee. Sie würde sicherlich jedem Raubmörder den Verstand zu Pudding reden, nicht?« Sie streifte ihre Handschuhe über. »Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir helfen. Hermione hatte mir versichert, dass Sie mich nicht im Stich lassen würden.«
Stoner hatte das Gefühl, dass sich die Wände auf sie zubewegten. »Ich überlege es mir. Das ist alles, was ich im Moment sagen kann.«
»Ich würde selbst rausfahren, wissen Sie, aber das würde überhaupt nichts nützen.«
»Überhaupt nichts. Es muss jemand sein, den sie nicht kennen.«
»Und was könnte ich schon im Gebirge ausrichten?«
»Um ehrlich zu sein, Mrs. Burton, ich glaube, Sie wüssten sich in jeder Situation zu helfen.«
»Sie sind wirklich entzückend, Stoner«, die Frau tätschelte Stoners Wange.
»Darf ich das Bild bis morgen behalten?« Sie versuchte, ihre Befangenheit hinter einem flegelhaften Grinsen zu verbergen. »Vielleicht hilft es mir, zu einem Entschluss zu kommen.«
»Aber natürlich. Und Sie werden es doch auch brauchen, nicht wahr, um sie zu erkennen.«
» Wenn ich …«
Mrs. Burton seufzte. »Oh, ich wünschte, ich hätte unrecht. Ich möchte so gerne, dass sie glücklich ist.«
»Sicherlich möchten Sie das.«
»Ich habe mich bis jetzt so abscheulich benommen. Glauben Sie, sie wird es mir je verzeihen?«
»Sicherlich wird sie das.«
»Die Liebe treibt uns zu seltsamen Dingen.« Sie prüfte, ob sich der Hausschlüssel in ihrer Handtasche befand.
»Ja, das ist sicher wahr.«
»Aber was gibt es sonst schon.« Sie berührte Stoners Arm. »Ich glaube, ich bin jetzt bereit für Marylou.«
Als sie weg waren, drehte sich Stoner zu ihrer Tante um. »Glaubst du, es ist so schlimm, wie sie sagt?«
»So schlimm, wenn nicht noch schlimmer.«
Stoner rammte ihre Hände in die Hosentaschen. »Um Himmels willen, Tante Hermione, in was hast du mich da reingezogen?«
Allein in ihrem Zimmer lehnte sich Stoner an das geöffnete Fenster und starrte in den nachtdunklen Hinterhofgarten hinaus. Die hohen, schmalen Häuser, die Schulter an Schulte um den winzigen freien Platz herumstanden, löschten die Straßengeräusche fast völlig aus. Wenn sie angestrengt lauschte, vermeinte sie ein Knistern und Knarren von den Weinranken her zu hören, die heimlich in der Finsternis wuchsen. Sie seufzte tief und gestattete sich einen unwürdigen Gedanken.
Sosehr sie Marylou und Tante Hermione auch liebte – und sie liebte sie mit jeder Faser ihres Herzens –, fühlte sie sich doch manchmal inmitten des Gewusels und der zwanglosen Lässigkeit sehr allein. Manchmal sehnte sie sich danach, für ein Stündchen eine zu haben, die Angst vor Fremden hatte, die ein Telefon nicht einfach klingeln lassen konnte, der Sonnenuntergänge die Sprache verschlugen, die mürrisch war, wenn sie nicht ausgeschlafen hatte, die in Kaufhäusern Beklemmungen bekam und auf Berührung unbeholfen reagierte – kurz, eine, die einfach ganz normal neurotisch war. Sie seufzte wieder. Es war wirklich ein unwürdiger Gedanke.
Stoner knipste die Nachttischlampe an und studierte das verwackelte Foto. Da war etwas in den Augen der Frau … Irgendwie auf der Hut, sich bewusst, dass ein Bild von ihr gemacht wurde, und das Wissen als nicht angenehm, eher unbehaglich empfindend. Das , dachte Stoner, war ein Gefühl, das sie verstehen konnte.
Sie fühlte ein merkwürdiges Prickeln in den Fingerspitzen und wischte sich die Hände an ihrem Pyjama ab. Was um alles in der Welt sollte sie mit der Situation anfangen? Es war lächerlich, solche Sachen gehörten in eine Seifenoper oder einen Spätfilm. Normale Menschen liefen nicht durch die Gegend, heirateten des Geldes wegen und ermordeten ihre Ehefrauen. Nicht im wirklichen Leben. Na ja, jedenfalls nicht im wirklichen Leben, wie sie es kannte. Und bei alledem schien es hier noch nicht einmal um besonders viel Geld zu gehen. Ja, wenn die Rede von Millionen wäre … wobei sie sich eigentlich gar nicht wirklich vorstellen konnte, dass es Leute mit Millionen gab, schließlich war Dallas doch wohl eine Erfindung des Fernsehens … also, wenn es um Millionen ginge, wäre es möglich. Denn wenn du bereit bist, die eine Unmöglichkeit zu glauben, kannst du auch die andere für bare Münze nehmen.
Aber selbst wenn Unmögliches Wirklichkeit wäre, wie konnte sie diesen Job annehmen? Sie war nicht besonders gerissen, sie kannte sich mit dieser Art Angelegenheiten überhaupt nicht aus, und sie besaß nicht einmal einen Trenchcoat. Es war besser, die Sache einem Profi zu überlassen. Einem Privatdetektiv. Das würde sie Mrs. Burton raten. Stoner war besser dran – sie alle waren besser dran –, wenn sie zu Hause blieb und sich an das hielt, was sie am besten konnte. Flugtickets ausstellen.
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