Wieso der Name „Anna-Seghers“-Schule
Der Genosse Lehrer und seine Kirche
Jugendweihe oder Konfirmation?
„Theater, Theater … “
„Parteilichkeit“
Von Freunden nah und fern
Bedenken beim Schreiben
Begegnung
Kummer und Leid
Die „ Akte W … “ 1978/79 (15)
IV. In den achtziger Jahren
„Lohnt(e) es sich …?“
An der Grenze des Möglichen
Wechseln – in eine andere Schule
„Mein Schlesierland … “ – nun Polenland
Schülerbefragung
Ein Disziplinarverfahren
Von antifaschistischer Erziehung in der Schule
Trabi-Geschichten
Anmerkungen zum Deutschunterricht
Zum Geographie-Unterricht …
Skrupel im Geschichtsunterricht
Die Ohrfeige
„Glasnost“ und „Perestroika“ auf dem Wege …
Der heiße Sommer 1989
V. Während des politischen Umbruchs 1989/90
Gotha, im November 1999
Gotha, im November 1999
Gotha, im November 1999
Gotha, im Dezember 1999
Quellenverzeichnis/Literaturangaben
Heinz Scholz bei der Übergabe des 2. Bandes im Verlag Rockstuhl in Bad Langensalza
In Fortführung meines ersten Buches „Mein langer Weg von Schlesien nach Gotha “ … ist der in diesem Buch vorliegende Bericht über „Mein Leben und Arbeiten als Lehrer in Gotha 1950 – 1990“ als Fortsetzung meines im ersten Buch begonnenen Lebensberichtes zu verstehen.
Sommerferien 1969 – Fahrradtour mit meinem Sohn. Siehe Seite 141 ff.
Es handelt sich also auch bei den schriftlichen Aufzeichnungen in diesem zweiten Buch um einen subjektiven Erfahrungsbericht – auf der Basis subjektiver Wahrnehmungen und Erinnerungen sowie persönlich aufbewahrter Dokumente, Zeitungen, Fotos und Belege, niedergeschrieben mit dem Bemühen, einen authentischen Einblick in meine Lebens- und Arbeitswelt als Lehrer in der DDR zu geben – und das möglichst ehrlich und redlich, nach bestem Wissen und Gewissen.
Im Vergleich zu dem großen Biographien und Autobiographien, verfasst oder in Druck gegeben von prominenten bzw. populär bekannten Persönlichkeiten, handelt es sich bei meinen autobiographischen Aufzeichnungen um den Lebens- und Erfahrungsbericht eines einfachen Menschen! Selbst aufgeschrieben und eigenverantwortlich verfasst, betrachte ich diesen als eine der vielen Lebensgeschichten „kleiner Leute“. So verstehe ich mich als schlichter Zeitzeuge, der denkt, dass manches historische Geschehen aus dem Großen und Ganzen der jüngsten Geschichte vielleicht anschaulicher und verständlicher werden kann durch die subjektiv erzählten Geschichten der kleinen Leute!
Gotha im Juni 2008 Heinz Scholz
I. In den fünfziger Jahren
Als „neuer“ Lehrer in der Löfflerschule zu Gotha
Es war Ende Mai 1950, etwa 6 Wochen vor den Sommerferien, als ich das erste Mal das kasernenartige Backsteingebäude der Löfflerschule in der Roststraße betrat. Durch eine verschrammte graue Flügeltür gelangte ich in den dunklen Korridor im Erdgeschoss, wo ich mich gleich rechts im Büro beim Schulleiter, Herrn Paul Kühnlenz, als junger Lehramtsanwärter vorzustellen hatte.
Tage zuvor, bei meiner Anmeldung im Schulamt zwecks Einweisung, hatte mir der amtierende Schulrat Linde, ein älterer ehemaliger kommunistischer Lehrer aus Zeiten der Weimarer Republik (mit Thälmannmütze), in resolutem Ton aufgetragen, am 1. Juni 1950 in der Löfflerschule zu Gotha den Unterricht als Geschichtslehrer aufzunehmen. Ich fände dort ein tüchtiges Lehrerkollegium vor, aber stark bürgerlich durchsetzt, und von mir – als SED-Genosse – erwarte er, dass ich den Schulleiter Kühnlenz im Sinne unseres Staates und der Politik unserer Partei tatkräftig unterstütze. Ich versprach das zu tun.
Der Genosse Kühnlenz erwies sich als ein freundlicher, sympathischer Mann, Ende dreißig. Er begrüßte mich äußerst erfreut, was mich irgendwie wunderte, mir aber bald verständlich wurde, als er mir meine Aufgaben unterbreitete. Anstelle des bisherigen in den „Westen gegangenen“ Geschichtslehrers der Schule hätte ich hauptsächlich Geschichte zu unterrichten in den oberen Klassenstufen, dazu in zwei 8. Klassen Staatsbürgerkunde und in einer 4. Klasse Heimatkunde. Und diese „Vierte“ müsste ich nach den Sommerferien, im fünften Schuljahr, als Klassenlehrer übernehmen.
Es sei dazu gesagt: Die Löfflerschule war, wie nach damals geltender Bildungsstruktur benannt, eine „Grundschule“ für die Klassen 1 bis 8 mit etwa 800 Schülern insgesamt.
In den nachfolgenden Wochen gewöhnte ich mich ein. Die Mädchen und Jungen in den mir anvertrauten Klassen reagierten freundlich und folgsam. Ich fühlte mich von ihnen gut angenommen. Auch im Lehrerkollegium hatte man mir Wohlwollen entgegen gebracht. Im Laufe der ersten Monate begriff ich, was der Schulrat unter bürgerlich durchsetzt verstand: Ein Großteil der Schüler kam aus dem „Westviertel“, einem Wohngebiet, in dem bis in die Nachkriegsjahre hinein vorwiegend „gut bürgerliche“ Familien ihren Wohnsitz hatten. Aus diesen Kreisen des Bildungsbürgertums besuchten zahlreiche gut motivierte, gut erzogene, leistungsfähige Mädchen und Jungen unsere Löfflerschule. Zum anderen, was wohl den Schulrat noch mehr störte, stammten mehrere Lehrerinnen der Schule aus bürgerlichem Haus, wenngleich sie fast alle wie ich in den Nachkriegsjahren durch eine Neulehrerausbildung Lehrer geworden waren. Trotz gradueller Unterschiede im vorangegangenen Bildungsweg waren also diese Kolleginnen und Kollegen der Löfflerschule bis auf wenige Ausnahmen allesamt „Neulehrer“ wie ich, allerdings hatten sie mir schon zwei–drei Jahre Berufserfahrung voraus.
Wir „ Neulehrer“ in der DDR
Ich denke, der Typus „Neulehrer“ war einmalig und kann als ein typisches Charakteristikum des Schulwesens in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und im ersten Jahrzehnt der DDR bezeichnet werden.
Da ein Großteil der Lehrerschaft aus NS-Zeiten im Zuge der Entnazifizierung 1945/46 entlassen worden war, wurden im Eilverfahren, meist in einjährigen Schnellkursen, „neue“ Lehrer ausgebildet. Der Begriff „Neulehrer“ war geläufig und wurde auch öffentlich so verwendet, weil die Schulbehörden mit dieser Bezeichnung das „neue, fortschrittliche, antifaschistische“ Schulwesen kennzeichnen wollten.
Ich selbst, wie schon gesagt, zählte zu diesen Neulehrern. Und so wie ich, in einem Jahreslehrgang 1949/50 an der Pädagogischen Fachschule in Langensalza, sind zwischen 1946 und 1951 viele junge Frauen und Männer mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen an verschiedenen Pädagogischen Fachschulen im Schnellverfahren zum Neulehrer ausgebildet worden.
Die meisten der männlichen Neulehrer-Studenten waren nach Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft, andere jüngere unmittelbar nach ihrem Abitur in diese Neulehrerausbildung gelangt. Unter den Frauen waren es mehrfach Alleinstehende, oft Soldatenwitwen mit Kindern, die die Chance nutzten, in einen für sie günstigen Beruf mit sicherem Einkommen hineinzuwechseln. Manche dieser Neulehrer-Studenten waren durch öffentliche Aufrufe geworben oder von Volkseigenen Betrieben, in denen sie gearbeitet hatten, zum Neulehrer-Studium „delegiert“ worden. Vor allem Arbeiterkinder oder selbst Angehörige der Arbeiterklasse wurden bevorzugt. Die neu gegründete Lehrergeneration sollte, zur Mehrheit aus der Arbeiterklasse rekrutiert, dem „Staat der Arbeiter und Bauern“ in verschworener Treue dienstbar sein.
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