Eine Entscheidungsschlacht steht an, für Ulric von Huysburg gibt es viel zu tun, und die Liebe kommt ihm auch noch dazwischen.
Ulric von Huysburg kam aus dem Harzvorland, wo er auf der Burg Falkenstein einige Tage bei einem Freund zu Gast gewesen war. An einem schönen Frühlingsmorgen ritt er mit seinen beiden Knappen Cuntz und Bogdan-Otto an der Nuthe entlang, meist auf schmalen Pfaden am westlichen Ufer, manchmal auch im seichten Wasser des Flüsschens. Ihr Ziel war Spandow, wo die Askanier dabei waren, auf dem Gelände älterer slawischer Wälle eine feste Burg anzulegen und damit ein Gegengewicht zu Cöpenick zu schaffen, wo der Sprewanenfürst Jaxa residierte. Die Sonne wärmte alle mit ihren schon kraftvollen Strahlen, doch es spross noch kein Grün an den Zweigen, und der Boden war aufgeweicht vom gerade weggetauten Schnee.
Cuntz, der eine Weile in Italien gelebt hatte, fluchte vor sich hin: »Ach, Varus, warum hat die kultivierte Welt aus deiner Niederlage nichts gelernt und sich damals nicht geschworen, ein für alle Mal auf dieses Dreckland aus Morast und Urwald zu verzichten!«
Bogdan-Otto protestierte: »Ich sage dich, die Weiterrrkeit von die Askanierrr tut lügen zwischen die Fluxe Elbe und Odra!« Er war ein Heveller, ein Slawe also, der zum Christentum übergetreten war, und glaubte, der Segen für sein Land komme ausschließlich von Papst und Kaiser. Mit der deutschen Sprache hatte er noch immer seine Schwierigkeiten.
Ulric stimmte ihm zu, denn seinem Geschichtsbild zufolge hatten nur jene Königreiche und Herzogtümer, die auf Expansion angelegt waren, eine Chance, auf Dauer zu bestehen. Andere Länder erobern, andere Völker für sich arbeiten lassen – das war das gängige Rezept. Und die Askanier, die Welfen und die Wettiner hatten das begriffen.
Seine Knappen wollten dieses Thema nicht vertiefen, sie redeten lieber von den schönen Frauen, die es auf den Burgen gab, und Cuntz, der ein begabter Minnesänger war, ließ sich animieren, ein paar Verse zu singen:
Ich wirbe umbe allez, daz ein man
ze wereltlichen fröiden iemer haben sol:
daz ist ein wîp, der ich enkan
nâch ir vil grôzem werdekeit gesprechen wol.
Bogdan-Otto winkte ab. »Immerrr, wenn ich eine Frau belegen will, schlägt sie mirrr ab. Eine Hevellerrr wille ich nücht, trrrompetet die Weiber. Von wegen Frrröiden!«
Cuntz riet ihm, es einmal in den großen Städten zu versuchen, wo man sich die körperliche Liebe kaufen konnte, und schwärmte von den Flötenmädchen, die es im alten Griechenland gegeben hatte. »Das waren die aulétides , von aulos , die Flöte. Sie unterhielten die Männer zuerst mit ihrem Flötenspiel, bevor sie mit deren Flöte spielten.«
Er wollte das gerade sich und Bogdan-Otto weiter ausmalen, als von jenseits der Nuthe ein Pfeil herangeflogen kam, seinen Rücken durchbohrte und ihm im Herzen steckenblieb. Er schrie auf, stürzte vom Pferd und verstarb noch im selben Augenblick.
Ulric von Huysburg, der seinen Knappen vorangeritten war, fuhr herum, begriff, was geschehen war, und hatte nur noch einen Gedanken: den feigen Todesschützen zu fassen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. »Los, Bogdan-Otto, mir nach!«
Damit gab er seinem Pferd die Sporen, sprengte in die flachen Wasser der Nuthe und jagte zum anderen Ufer hinüber. Was anfangs wie ein Kinderspiel erschien, wurde schnell zu einem schwer lösbaren Problem, denn bald verfingen sich die Hufe ihrer Tiere im dick verfilzten Unterholz, und sie mussten absitzen, um sich mit ihren Schwertern einen Weg zu bahnen. Der Schütze, der mit Sicherheit zu Fuß gekommen war, hatte es da wesentlich leichter. Ulric glaubte aber, dass er sich noch immer in der Nähe versteckt hielt, um seine nächsten Pfeile abzuschießen. Gute Zielscheiben boten sie ja.
»Vorsicht!«, rief Ulric von Huysburg. »Nicht auf die Lichtung!«
Bogdan-Otto zügelte sein Pferd. »Eherrr wir wünschen zu finden eine Haarrrnadel im Haufen Mist wie den Pfeilscheißerrr hierrr in die Dickicht.«
»Eine Stecknadel im Heuhaufen«, korrigierte ihn Ulric, der wusste, dass eine Integration der Slawen ins Heilige Römische Reich nur gelingen konnte, wenn sie die deutsche Sprache perfekt beherrschten. »Aber du hast recht, es ist vergebene Liebesmüh. Doch …« Er stockte und sah nach links und rechts. »Dies hier scheint eine Art Straße zu sein.«
»Eherrr was, wo sich Wild verrrwechselt«, befand Bogdan-Otto.
»Wo ist da der Unterschied?«, brummte Ulric von Huysburg. »Östlich der Elbe gibt es keine Straßen. Euer Pech, dass es die Römer nicht bis hierher geschafft haben.«
»Ritterrrn wir auf dieses Pfad hoch nach Spandow?«, wollte Bogdan-Otto wissen.
»Nein«, entschied Ulric, »wir müssen Cuntz ordentlich begraben.«
Der Slawe hob den Kopf, um besser hören zu können. »Was hat sich da verwieherrrt vor uns? Eine Pfärrrde?«
»Das wird der Gaul sein, auf dem Cuntz geritten ist.«
»Nein, hierrr auf unsrrrige Seite von die Flux.«
»Dann los, lass uns nachsehen, wer da unterwegs ist.« Ulric lenkte seinen Rappen in die angegebene Richtung. »Aber aufgepasst, vielleicht haben wir es mit einem ganzen Trupp von Sprewanen zu tun.«
Nach knapp drei Minuten trafen sie auf eine Kolonne, bestehend aus einem Frachtwagen und drei Packtieren. Ein paar Männer sprangen sofort ins Gebüsch, als sie den askanischen Ritter mit seinem Knappen hinter sich bemerkten, nur der Händler selbst, der auf dem Kutschbock des Frachtwagens saß, entschloss sich standzuhalten. Wahrscheinlich hätte er sich bei seinem Alter auch den Knöchel gebrochen, wäre er auf die Erde gesprungen.
»Bande Mörderrr ihrrriges!«, schrie Bogdan-Otto den Fliehenden hinterher.
Ulric von Huysburg hielt auf Höhe des Händlers und fragte ihn nach seinem Namen und woher er käme.
»Nebojša aus Jutribuc.«
»Aha, Jüterbog.« Ulric erinnerte sich daran, dass der Magdeburger Erzbischof Wichmann gerade ansetzte, die Stadt zu erobern, um von dort aus die Kreise der Askanier nachhaltig zu stören. Von Jüterbog aus konnte man den Fernhandel kontrollieren und hatte damit viele Trümpfe in der Hand. »Und wohin willst du?«
»Nach Poztupimi, Herr.«
»Potsdam, hm. Und auf dem Wege dorthin schwärmen deine Leute aus und schießen mit ihren Pfeilen auf askanische Ritter!«
»Nein, Herr«, beteuerte Nebojša, »wir sind friedliche Leute.«
»Und was sehe ich da an dem Lastpferd hängen? Einen Bogen! Wahrscheinlich ist es der, von dessen Sehne der Pfeil geschnellt ist, der meinen Knappen getötet hat.«
»Ich weiß von nichts«, versicherte der Händler.
»Lüge nicht so frech!« Ulric zog sein Schwert und drückte dessen Spitze so fest auf den Adamsapfel des Slawen, dass es blutete. »Wer war es? Hast du den Auftrag dazu gegeben?«
»Nein, Herr!«
Ulric mochte den Slawen, ohne sagen zu können, warum. Auch war er keiner, der jemanden ohne Gerichtsverhandlung und Schuldanerkenntnis dem Henker übergeben hätte. Hier allerdings war weit und breit kein Richter.
»Mach kurrrzes Prrrotest mit dieses Mann!«, drängte Bogdan-Otto.
»Sonst trrrifft dich nächste Feile von seine Knächte.«
»Nein«, entschied Ulric. »Ich, Ulric von Huysburg, schenke dir das Leben, Nebojša, was auch immer hier geschehen ist! Ziehe dahin und siehe zu, dass die Deinen ehrliche Menschen werden!« Damit riss er sein Pferd herum und ritt zurück in Richtung Nuthe.
Bogdan-Otto folgte ihm schimpfend. »Wie sagen du immerrr? Jede gütige Handlung gäht sich nach hinten los.«
Ulric stöhnte auf. »Jede gute Tat rächt sich einmal! Das ist aber totaler Unsinn, denn im Lukas-Evangelium steht geschrieben: Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, also tut ihnen auch. Tue ich Gutes, wird auch mir Gutes getan .«
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