1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Samstagnacht, drei Uhr dreißig.
Völlig verschwitzt erwacht, fühlte Mona sich bleischwer wie ein feuchter Zementsack. Schlagartig überfiel sie der Gedanke an die Kamera, die sie auf dem Papierberg an der Eingangstür deponiert hatte, direkt neben den schmutzigen Turnschuhen vom verregneten Spaziergang am Rhein. Sie sollte mit jemandem darüber reden. Vielleicht hätte sie doch besser noch angerufen. Womöglich hatte der Dieb noch hinter den Büschen gehockt, nachdem er einen Mann oder eine Frau beraubt hatte. Bei Simone konnte sie eigentlich zu jeder Uhrzeit durchrufen. Aber die lag entweder sektselig schlummernd neben ihrem Holger im Bett oder sie liebten sich gerade unbefangen und hemmungslos in der ersten Nacht, wo die Schwiegermutter abgereist war und nicht vom Nebenzimmer, die Rhabarberohren ausklappte zum großen Lauschangriff. Wen könnte Mona sonst noch…?
Micha fiel ihr ein, doch der war in weiter Ferne und sicherlich mit spannenderen Dingen beschäftigt bei seiner aktuellen Weltreise. Eine große Ehre, als Kameramann beim Dreh dabei zu sein am Fuße des Himalaja Massivs im kleinen, angeblich so glücklichen Königreich Bhutan, zwischen Indien und China gelegen. Die ZDF-Crew war das erste ausländische Fernsehteam, dem der Zutritt vom König gestattet wurde, wie er ihr voller Stolz gemailt hatte. Keine Ahnung, wie es dort mit einer Zeitverschiebung aussah, oder ob er noch wach war? Egal, falls er keine Störung wünschte, würde sich die Mailbox melden. Ihn durfte sie jedenfalls immer anbimmeln mit diesem Tribandhandy fürs Telefonieren nach Übersee. Eh ein Geschenk von ihm und natürlich mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis.
»Michael Berens. Hallo?«
»Micha? Gott sei Dank! Du schläfst noch nicht? Hier ist Mona.«
»Hallo Prinzessin, (SO nannte er sie immer noch!) wo brennt es denn? Ist etwas mit Troll?«
Wegen der beträchtlichen Gebühren bei Auslandsgesprächen spulte Mona die Geschichte hastig herunter.
»Den Notruf – die 110 – kannst du jederzeit anrufen. Mach’s am besten gleich, nicht so lange überlegen, dann hast du es hinter dir. Unangenehme Dinge sollte man nicht auf die lange Bank schieben, vielleicht gibt es eine ganz simple Erklärung dafür«, riet er ihr. Sein Pragmatismus war wirklich manchmal sehr hilfreich, obwohl er sie in ihrer Beziehung oft damit genervt hatte. Sicherlich entsprach es einer Tatsache, dass Mona sich immer zu viele Gedanken machte.
»Meinst du wirklich? Na gut, ich halte dich auf dem Laufenden. Wie läuft’s denn bei euch? Alles okay?«
»Alles paletti! Super, traumhaft gigantisch und ein bisschen hinterm Mond hier. Ich werde dir ausführlich berichten, wenn wir zurück sind. Was treibt Troll, benimmt er sich?«
»Klar, wie immer. Viele Grüße von ihm. Danke für deinen Rat und bis bald. Ciao.«
»Ciao Bella und viel Glück beim Anrufen.«
Oh yeah! Derart aufgekratzt und die Superlative überschlugen sich ja fast, dachte sie verwundert, war es wirklich so toll dieses Land? Troll blickte sie an, als wollte er sagen:
›Mach nicht so einen Bohai mitten in der Nacht, es ist schließlich Schlafenszeit!‹
*
Etwas nervös drückte Mona die Tasten des Telefons.
»Notruf hier. Wer spricht?«, meldete sich eine sonore Stimme.
»Hier ist Mona Blume und ich habe heute Abend eine blutige Digitalkamera gefunden, als ich mit dem Hund Gassi war.«
Sie sprach zwar sehr schnell, aber der Mann hatte alles verstanden.
»Geben sie mir bitte ihre Anschrift und beschreiben sie den Ort, wo und wann sie das Fundstück entdeckt haben. Moment, ich habe hier eine Monika Blume, Augustinerstraße 29. Sind sie das?«
»Ja, klar. Entschuldigung, aber alle nennen mich nur Mona.«
Die Studentin beschrieb detailliert den Platz nahe der Zitadelle, den Part des Hundes und die Uhrzeit. Sogleich folgte die nächste Frage.
»Wo befindet sich die Kamera momentan?«
»Ich hab sie mitgenommen.«
»Wir kümmern uns darum, sie hören von uns.«
Ihre Bürgerpflicht war getan und den klebrigen Fotoapparat würden sie sicher morgen abholen. Damit dürfte der Fall für sie erledigt sein, dachte Mona blauäugig und kuschelte sich wieder ins noch warme Bett.
Sonntagmorgen, 26. Juni
Pustekuchen! Um sechs Uhr klingelte es Sturm. Troll sprang auf, trabte an die Tür und bellte, so laut er konnte.
»Ruhig, Troll!« Obwohl es Mona sehr recht war, wenn er bei jedem Klingeln heftigst Laut gab, denn die lästigen Zeugen Jehovas hatte er irgendwann auf diese Art nachhaltig vertrieben, scheinbar für immer.
»Ja«, grummelte sie in die Sprechanlage.
»Hier ist die Polizei. Wir haben einige dringende Fragen, öffnen sie die Tür und sperren sie den Hund weg.«
Mona eilte zum Fenster und schaute hinunter. Tatsächlich, vor dem Haus warteten zwei uniformierte Polizisten in grünen Jacken, khakifarbenen Hosen, mit weißgrünen Helmen und Funkgeräten in den Händen. Schnell wickelte sie den geblümten Kimono übers Schlafshirt und betätigte den Türöffner. Troll schob sie vorher ins Bad, wo er weiter ausgelassen kläffte, knurrend und kratzend dabei seine Krallen in der Tür verewigte, als die Beamten mit gezückten Ausweisen die Wohnung betraten.
»Wo ist die Kamera, wo genau lag sie? Was haben sie gesehen? Bitte jedes kleinste Detail angeben, auch wenn es ihnen nicht wichtig erscheint. Ist ihnen jemand begegnet? Warum haben sie uns nicht sofort verständigt…«
So viele Fragen – wegen eines ordinären Taschendiebs?
Mona versuchte alles penibel zu beantworten und erkundigte sich dann leicht echauffiert nach dem Grund dieses, in ihren Augen, maßlos übertriebenen Zwergenaufstands.
»Darüber dürfen wir keine Auskunft geben. Nur so viel, wir haben dort eine weibliche Leiche gefunden und brauchen ihre Zeugenaussage. Kommen sie heute um acht Uhr dreißig ins Polizeipräsidium am Valenciaplatz zwei. Das Beweisstück nehmen wir mit.«
OH Gott! Eine tote Frau lag da oben, wo sie nachts entlang spaziert waren. Mona lief es eiskalt den Rücken herunter. Die Beamten verabschiedeten sich und gingen mitsamt der ekligen Kamera die Treppe hinunter. Ihre vollschlanke Nachbarin, Frau Liane Liderlich, geborene Frommhold, aus einem Altmainzer Clan stammend, wie sie sich vorstellte, als Mona einzog, war leider ebenfalls schon wach. Sie blickte neugierig und verschlafen hinter der spaltbreit geöffneten Tür hervor.
»Ah Frolleinche, wat’s dann los – Bollizei?! Honn se ebbes ausgefresse?«
Sie verzog das flache Mondgesicht zu ihrem typischen, breiten Pharisäerlächeln. Die Studentin bezeichnete es so, weil die Hausmeistergattin schon einige Male erfundene Gerüchte über sie in der Nachbarschaft verbreitet hatte, ihr aber nichtsdestotrotz – stets bigott und katzenfreundlich ins Gesicht lachte. Schrappnelda! Die hatte ihr gerade noch gefehlt!
Das Hausmeisterpaar Liane und Benno Liderlich
Madame hörte, sah und wusste alles, und was sie nicht wusste, das wusste sicher ihr Göttergatte Benno, ein dürrer, meist griesgrämig dreinschauender, langer Lulatsch mit strohig zottigem Schnauzbart. Seines Zeichens Hausmeister ihres Wohnhauses, wie auch im nahe gelegenen Kolpinghaus, wo er die manchmal aufsässigen Lehrlinge dort tüchtig
» …aufmische dut und dafür noch Geld kassiere dut!«
Mit geschwellter Brust hatte Liane derart geprahlt, als sie Mona zu Anfang in die gute Stube bat, um ihr stolz die, mit winzigen Kreuzstichen in rotem Garn gestickten und gerahmten Erbbilder aus Familienbesitz an der Wand zu präsentieren, welche ihren alten Stammbaum als Rhein-Adel in der ›Vilzbach‹ belegten.
Benno Liderlich wirkte ständig unzufrieden, wahrscheinlich wusste er selber nicht so genau, warum. Vielleicht war er schlichtweg ein Frauenhasser, seine Angetraute natürlich ausgenommen. Augenscheinlich ein waschechter Misanthrop und knottriger Miesepeter, über dessen Eignung zu einem Job in dieser katholischen Einrichtung, wo der Umgang mit unterschiedlichsten, auch körperbehinderten Jugendlichen vonnöten war, konnte die Studentin nur spekulieren.
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