Waltraut Emma Schöning
Lebenswege eines Heimkind
Ein Kampf für Gerechtigkeit
Diese Geschichte habe ich geschrieben in erster Linie für meinen Sohn,
Siegfried / Siegfried Schöning,
der durch sein Leben, auch mit mir, schwerste Zeiten begegnen musste, aber immer alle Hürden meisterte.
Aber nicht Zuletzt, Giesela Ketelsen,
die mein lebelang immer ein Fels in meiner Brandung war!
Und, an alle die Glauben, dass die Liebe jeden Sturm besänftigen kann.
Lebenswege eines Heimking
Original: 12.05.2018
Neuste Verfassung: 07.10.2020
Copyright: © Waltraut Schöning
Mittwirkung: Edmund Schöning
Schopbachweg 2A
22527 Hamburg
E-Mail: edmundfried@gmail.com
Bilder/Fotos: Edmund Schöning und privat
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Kapitel 1
Die ersten Erinnerungen
Im Mai 1938 wurde ich, Waltraut Emma Schöning, in Hamburg Barmbek-Uhlenhorst geboren. Mein Vater ist unbekannt. Mutter war 1902 in Itzehoe, angeblich als einundzwanzigstes Kind, der alten Schönings geboren. Die um vielen Kindern aus der Ukraine kamen. Ich habe sie alle nie kennengelernt. Eben, ich war ein Heimkind. Vielleicht war ich gleich ein Heimkind, von Säugling an? Vielleicht war ich auch gleich in eine Pflegestelle gekommen? Ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich genau, dass wir immer in einen Bunker gingen, die Treppen runter, wo immer viele Leute warteten. Das war auf St. Pauli. Nach dem Bomben Alarm, wenn es ruhiger wurde, gingen wir in ein Wohnhaus, drei bis vier Treppen hoch, wo man von oben das Gefängnis, Holstenglacis sehen konnte. Ich wurde immer vom Fenster weggeschickt, das ich dort nicht herausschauen sollte. Warum wusste ich nicht. Ich wollte öfters rausschauen, weil dort so viele Menschen herumliefen. Ich hatte denen öfters zu gewunken und sie winkten dann auch zurück. Für mich hatte das etwas Spaß gemacht. Aber wenn ich „erwischt“ wurde, musste ich weg vom Fenster und musste in einer Ecke stehen. Ich wusste nie warum, bis viel später mir erzählt wurde, dass da Gefangene waren. Dort im dritten oder vierten Stock in dem großen Wohnhaus, wo ich auch auf zwei zusammen gestellten Stühlen schlafen konnte, gab es ein großartiges Puppenhaus mit richtigen Lichtschaltern. Ich durfte es immer ansehen, aber nicht anfassen und immer die Hände artig auf dem Rücken!
Dann erinnere ich mich an einen großen Saal, voller Gitterbetten. Wenn ein Kind besonders schrie, kam es oben in den Wäscheschrank für die Nacht. Es muss um Ostern gewesen sein. In meinem Bettchen stand ein Karton mit Ostereiern. Warum ein Karton gefüllt mit Ostereier in mein Bettchen stand, wusste ich nicht. Für mich gehörte das nicht dahin und ich verpasste ihm einen Tritt. Die Ostereier kullerten aus meinem Gitterbettchen und viele Kinder in dem großen Saal fingen an zu schreien. Ich auch. Prompt gab es Haue und auch ich landete oben im Wäscheschrank.
Dann ist eine Frau gekommen; meine neue Mutter? Sie besuchte mich öfters und gab mir Bonbons; toll! Das war im Säuglingsheim und Kleinkinderheim an der Feuerbergstraße, Hamburg Alsterdorf. Nachts war Flieger-Alarm und die Kleinen wurden rechts und links unter den Arm geklemmt und in den Keller gebracht. Dort waren viele Badewannen mit Brettern belegt, da drauf kamen die Kinder und schliefen weiter. Dann holte mich die „neue Mutti“ ab und ich wohnte im Eichenhorst 6 bei Frau Fischer, in Hoheneichen. Nachbarkinder waren auch da, Peterund Heidi, das waren tolle Spielgefährten.
Eines Tages sollte die ‚neue Mutti‘ mich zum Impfen nach Poppenbüttel zum Hauptgesundheitsamt bringen am 22.04.1942, an der Wellingsbütteler Landstraße. Ich war etwa vier Jahre alt. Mutti hatte ein Fahrrad und vorne dran, so ein Weidenkörbchen, mit einer Holzplatte als Sitz mit Holzfußrasten. Dafür war ich aber schon zu groß und ich ließ die Füße baumeln. Auf einmal haben wir uns überschlagen. Ich hatte den Fuß in die Speichen bekommen: Rad war hin, Fuß kaputt. Plötzlich war da ein Kübelwagen mit Soldaten auf der Straße, die das Geschrei hörten, der uns beide nach Poppenbüttel ins Kinderkrankenhaus brachte. Dort musste ich eine Zeit bleiben, aber die Mutti kam immer! Ich wurde verarztet, bekam einen dicken Verband und eine Schiene ans Bein gebunden, sprich, ein Brett. Die Mutti hatte plötzlich eine Kinderkarre für mich aufgetrieben. Ich durfte ja lange nicht Laufen. Ganz kurz danach, kam die Evakuierung von Hamburg, 1942. Ich saß noch in der Karre und wir warteten am Dammtor Bahnhof auf den Zug. Die Leute ringsherum sagten, „Die Karre nicht. Das Kind ist doch schon so groß und kann Laufen“.
Als man sah, dass ich (nur) ein Brett am Bein hatte, hoben mich einige Helfer hoch und durch ein Fenster. Dort packten mich Leute oben ins Gepäcknetz, zwischen Koffer und Kisten. Im unteren Netz lagen zwei Babys die lange wimmerten. Dann ging es Tagelang nach Freiburg im Breisgau mit dem Zug, wo wir in einem großen Hotel untergebracht wurden. Ich entsinne noch, dass wir Bohnen pulten und die Mutti dann die Bohnen geschnippelt hat! Es waren immer viele Leute zum Essen da, in dem Hotel. Wir gingen täglich viel spazieren, denn mein Fuß verheilte langsam, aber sehr gut. Wie lange wir hier genau blieben, ist mir nicht mehr bewusst. Aber mein Bein wurde immer kräftiger über diese Zeit. Bestimmt waren es Wochen, wenn nicht zwei Monate. Wir Kinder waren meistens in einen Gruppenraum verteilt, wo wir beschäftigt wurden und spielten. Es war für mich eine ruhige Zeit da es keinen Fliegeralarm gab. Wir hatten Zeit spazieren zu gehen durch die Kornfelder und im Wald hatten wir sogar Beeren gesammelt. Ich hatte natürlich keine Ahnung von der Realität, das Krieg herrschte. Ich hatte nur eine schöne Zeit in Freiburg verbringen dürfen. Irgendwann ging es aber wieder zurück nach Hamburg, Hoheneichen, wo wir lange Zeit auf den Rückzug warten mussten. Ja, als wir wieder in eine andere Eisenbahn umstiegen, in Richtung Hamburg-Poppenbüttel, und uns Hamburg näherten, habe ich sehr viele kaputte Häuser gesehen, immer mehr und mehr und ganze Straßen zertrümmert. Ich habe fürchterlich geweint. Ich dachte, dass auch unser Haus kaputt sein würde. Es waren alle sehr still ringsum in der Eisenbahn. Niemand traute sich etwas zu Sagen. Wir staunten und schwiegen. Endlich erreichten wir Hoheneichen wo ich froh war, dass unser Haus noch heil dastand.
Die Mutti hatte Freunde in Tiefstak, die auch viele Kinder hatten. Ein paar Tage später sollten wir Kinder aus der Umgebung Kamille sammeln für die Soldaten, auch Peter und Heidi waren dabei. Ich wusste nicht warum? Für Tee? Für Verbände? Ich hatte keine Ahnung, aber wir sollten sehr viel sammeln, was wir auch taten. Es machte sogar Spaß. Wer zuerst sein Körbchen voll hatte wurde gelobt und bekam wieder ein leeres Körbchen. Und so verging die Zeit. Im Winter hatten wir viel vergnügen am Bach bei den großen Wiesen und so verging die Zeit.
Dort war ich wohl eine ganze Weile, zwei oder drei Jahre mit „Mutti“. Es war eine beschwerdefreie Zeit. Ich hatte viel Spaß und viele Freunde. Es gab immer genug zu essen, zum Beispiel, Dickmilch mit Schwarzbrotkrümel, auch wenn man nicht immer alles mochte. Wir waren alle gut aufgehoben, streng erzogen aber ohne Haue. Dass ich dafür noch dankbar sein werde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Kapital 2
Beschäftigung. Die jungen Jahre.
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