Für Marianne
IMPRESSUM
ISBN 9783990401941
© 2013 by Molden Verlag
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien · Graz · Klagenfurt
Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop
Lektorat: Rainer Lendl
Buchgestaltung: Bruno Wegscheider
Covermontage: Manfred Kostal/Pixelstorm, Wien unter Verwendung eines Photos von iStockphoto/wwing
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
Alle Rechte vorbehalten
Cover
Widmung Für Marianne
Titel
Impressum IMPRESSUM ISBN 9783990401941 © 2013 by Molden Verlag in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien · Graz · Klagenfurt Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop Lektorat: Rainer Lendl Buchgestaltung: Bruno Wegscheider Covermontage: Manfred Kostal/Pixelstorm, Wien unter Verwendung eines Photos von iStockphoto/wwing 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013 Alle Rechte vorbehalten
Zitate Obwohl diese Geschichte von tatsächlichen Ereignissen inspiriert wurde, ist sie ein reines Produkt der Phantasie. Aber lässt sich das nicht über den größten Teil der Wirklichkeit sagen? M.K. Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. Georg Büchner „Woyzeck“ Nichts hält die Seele so gefangen, wie die Aussicht auf den Tod. Samuel Johnson
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
Weitere Bücher
Obwohl diese Geschichte von tatsächlichen Ereignissen inspiriert wurde, ist sie ein reines Produkt der Phantasie.
Aber lässt sich das nicht über den größten Teil der Wirklichkeit sagen?
M.K.
Jeder Mensch ist ein Abgrund;
es schwindelt einem,
wenn man hinabsieht.
Georg Büchner „Woyzeck“
Nichts hält die Seele so gefangen,
wie die Aussicht auf den Tod.
Samuel Johnson
Ich hätte weiterschlafen sollen, mir die Decke über den Kopf ziehen und einfach weiterschlafen, nachdem mich mein Bruder kurz vor drei Uhr früh mit seinem Anruf geweckt hatte, um mir mitzuteilen, dass Tanja nach einem Selbstmordversuch in die Notfallambulanz gebracht worden sei, wo die Ärzte um ihr Leben kämpften.
Fast zwei Jahre lang hatte ich nichts mehr von Thomas und seiner Frau gehört, wenige Wochen nach ihrer Hochzeit hatten sie den Kontakt zu mir abgebrochen, wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, obwohl wir in derselben Stadt lebten. Ich hatte ihre Entscheidung akzeptiert, mich aus ihrem Leben auszuschließen. Warum sollte ich mich also ausgerechnet jetzt dafür interessieren?
Keine Ahnung, was mich davon abhielt, Thomas zu erklären, er solle mich mit seinen Problemen gefälligst in Ruhe lassen und dass ich nicht einmal im Traum daran dächte, mitten in der Nacht zu ihm in die Unfallchirurgie zu kommen, sondern jetzt sofort wieder genau das machen würde, was jeder vernünftige Mensch um diese Zeit tut, nämlich schlafen.
Es wäre besser gewesen, wirklich besser für uns alle, wenn ich ihm gesagt hätte, dass er sich zum Teufel scheren solle und dass sie mir völlig egal seien, er und Tanja, und dass er mich nie wieder anrufen solle, nie wieder. Wenn ich das Gespräch wenigstens abgebrochen und wortlos aufgelegt hätte, auch das wäre besser gewesen. Ich weiß nicht, warum ich es nicht getan habe, ich weiß nur, dass meine Entscheidung falsch war.
Ich bin sicher, wenn ich mich anders entschieden hätte, gäbe es einen Toten weniger. Wenigstens ein Mensch wäre nicht Opfer des Irrsinns geworden, der mich mehr als mein halbes Leben lang begleitet hat. Ein Toter weniger. Einer, der verschont geblieben wäre. Gleichgültig, ob er es verdient hätte oder nicht.
Aber damals konnte ich einfach nicht anders. Vielleicht lag es daran, dass Thomas in meinen Augen eben immer noch der kleine Bruder war, fast zehn Jahre jünger als ich, und dass sich seine Stimme am Telefon angehört hatte, als würde ihm jemand den Hals zudrücken oder als wäre er völlig besoffen, während er mir irgendwas über einen Medikamentencocktail, haufenweise leere Pillenpackungen, aufgeschnittene Pulsadern und blutgetränkte Bettwäsche erzählte. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass ich den Fehler beging, sofort aufzustehen, mich anzuziehen, ins Auto zu setzen und loszufahren, statt mein Handy auszuschalten und weiterzuschlafen, notfalls mit einer Schlaftablette und einem Schluck Weinbrand.
Am Abend zuvor war in der Wettervorhersage von einer arktischen Kaltfront die Rede gewesen, von nächtlichen Regenschauern und einem unmittelbar darauf folgenden Temperatursturz. Doch als ich mich daran erinnerte, war es bereits zu spät. Jetzt waren die Straßen spiegelglatt, und schon in der ersten, leicht abschüssigen Kurve ein paar hundert Meter nach unserer Garagenausfahrt machte mein Wagen nicht mehr, was ich von ihm wollte. Er reagierte auf nichts, alle meine Lenkmanöver, Brems- und Beschleunigungsversuche waren vergeblich. Andere Kräfte hatten das Kommando übernommen und bestimmten, was geschah.
Ich hatte immer gedacht, in so einer Situation würde mich Angst überfallen, Entsetzen oder Panik. Aber es war ein ganz anderes Gefühl, das sich wie in einer lautlosen Explosion in mir ausbreitete. Eine Mischung aus Fremdheit und Neugier, die mich in einen Zustand hellster Wachheit katapultierte und zum ungerührten Beobachter werden ließ. Als hätte ich alles, was in einem Zeitraum von wenigen Sekunden geschah, präzise protokollieren und auf einer Checklist Punkt für Punkt abhaken müssen:
Das Blockieren der Räder. Das immer schneller werdende Seitwärtsgleiten über das Eis. Das Ausbrechen des Hecks, zuerst nach rechts, dann nach links, dann wieder nach rechts. Das ruckartige Anschlagen an der Gehsteigkante, den Rückstoß und die halbe Drehung um die eigene Achse. Das kurze Aufjaulen des Motors. Die rasende Rückwärtsbewegung, als säße ich verkehrt herum in einer Hochschaubahn. Den dumpfen Aufprall an der Reihe von Mülltonnen am Straßenrand. Den Schlag auf meinen Hinterkopf, der meinen Oberkörper nach vorn schleuderte. Den Rückspiegel, der immer größer und größer wurde. Die schneidende Kälte von Glas und Metall auf meiner Stirn. Und dann die Stille.
Möglich, dass ich für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Ich weiß es nicht. Dafür erinnere ich mich umso genauer an den ersten Gedanken, der mir durch den Kopf schoss: Gut, dass ich nicht den Lexus genommen habe.
Es klingt verrückt, aber genau so war es. Ich saß da und war erleichtert, dass mein wunderbarer, mitternachtsblauer Lexus unversehrt in der Garage stand. Nicht darüber, dass ich offenbar unverletzt geblieben war, weil ich keine Schmerzen spürte, empfand ich Erleichterung. Auch nicht darüber, dass ich kein anderes Fahrzeug gerammt hatte und von den Mülltonnen davor bewahrt worden war, ungebremst und mit voller Wucht gegen eine Betonmauer zu prallen. Und schon gar nicht über das Glück, dass um diese Zeit kein Fußgänger unterwegs gewesen war, den ich über den Haufen hätte fahren können, oder sogar töten. All diese Gedanken stellten sich erst viel später ein. Jetzt drehte sich alles nur um meinen Lexus, meine geliebte, nagelneue Limousine, die ich mir vor ein paar Wochen selber zu Weihnachten geschenkt hatte.
Читать дальше