Hin und wieder parken LKW am Straßenrand. Die Fahrer rufen mir zu und versorgen mich bei der Gelegenheit mit weiteren Reisewarnungen. Über diese Straße rollt obendrein der Drogenexport aus Afghanistan nach Bischkek, und von dort weiter in den Westen.
Nach einiger Zeit kehre ich um, fahre ins Dorf zurück und suche abermals nach einer Schlafmöglichkeit. Ich frage im Café ,Asus‘ nach, das kommt einem Volltreffer gleich, die haben ein Zimmer; und noch dazu spricht man Deutsch – was mir heute auch nicht das erste Mal passiert. Wobei Deutsch mit „ …“, also eine Abart davon. Das dickliche Mädchen, sie heißt Sinti, ist etwas langsam im Geist und im Handeln, führt mich in eine waggoncontainerartige Bude, die mit ein paar unter Decken erstickten Liegegelegenheiten und einem mückenartig surrenden Kühlschrank ausgestattet ist. Immerhin zieren schäbige Vorhänge die kleinen, vergitterten Fenster, durch die ärmliches Gerümpel, verstreut unter buschigen Stauden, hereinlugt. Eine Tür führt direkt ins Freie, durch sie sind wir soeben mit Sack und Pack und Fahrrad hereingekommen, eine andere in die Küche. Wobei: Küche mit „ …“. Eher Kochnische. Es riecht derart penetrant nach Fleisch, dass ich mir so recht überlege, ob ich noch froh sein soll, diese Bleibe gefunden zu haben, und ob ich nicht besser mein Zelt inmitten der parkenden Opium-LKW hätte aufstellen sollen.
Prinzipiell habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn man mich interessant findet, ganz und gar nicht, aber wie’s scheint, werde ich das Mädchen heute nicht mehr los. Sowie uns der Gesprächsstoff ausgegangen ist, und das ist er bald, sitzt sie bloß da und starrt mich an – dabei bin ich so müde, dass ich mich nur mit Mühe aufrecht halten kann.
Plötzlich springt sie auf, das fördert meine Wachheit für Sekunden, und holt ein Familienalbum. Es ist voller Fotos von ihrem Bruder, der in Deutschland arbeitet. Sobald er reich und fähig sein würde, die Familie mit Wohlstand und Glück zu überhäufen, wolle er nach Kirgistan zurückkehren. Man setzt alle Hoffnung auf ihn. Ein junger Mann in schwarzer Lederjacke, mit sehnsüchtigen, in die Ferne schweifenden Augen, platziert vor verschiedenste Sehenswürdigkeiten einer biederen, deutschen Kleinstadt. Einer von vielen, die auszogen, um Arbeit zu suchen und ihr Glück zu finden. Wenn sie in die Heimat zurückkehren, haben sie womöglich beides verloren; dabei wollen sie nur schauen, ob es den festen Boden unter den Füßen noch gibt, den sie so nötig haben nach all den schwankenden, labilen Festungen fremder Kulturen und den Menschen darin. Der Verlust an Seele ist dem Gewinn an Cash geschuldet und erscheint auf den Bankauszügen nicht.
Dann kramt Sinti ihr Deutschlehrbuch hervor. Wir wiederholen ein paar Lektionen, das fördert meine Wachheit für Minuten, weit ist sie ja zum Glück noch nicht gekommen. Immer wieder huscht jemand herein, holt ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank – aha, daher also der Geruch – und beäugt mich bei dieser Gelegenheit ganz ausführlich von ganz oben bis ganz unten. Bei meiner Ankunft hatte mich das Mädchen gefragt, ob ich etwas essen wolle; wollte ich nicht. Muss mein eigenes Zeug loswerden. Nunmehr komme ich von selbst darauf zu sprechen und bestelle irgendwas, um sie vielleicht auf diesem Wege loszuwerden. Die Essenz meiner Russischvokabeln – sie beschreiben gewissermaßen meine Lebensbasis – ist schnell aufgebraucht, und ließe sich folgenderweise rückübersetzen: „Salate, Kartoffler, nicht kein Fleisch. Fisch gut ist.“
Sie scheint aber trick-immun zu sein und reagiert nicht auf meine verzweifelten Ablenkungsaktionen. Wie sie so sitzt und starrt, und ich praktisch im Sitzen, Schauen und Sprechen eingeschlafen bin, durchfährt mich ein Geistesblitz, ich springe auf, das fördert jetzt ihre Wachheit für Sekunden, und deute hektisch auf das Bett und damit an, dass ich mich schlafen legen wolle. Das hat sogar sie verstanden und verschwindet. Für eine Zeitlang ist mir noch völlig unklar, ob ich etwas zu essen bekomme oder nicht. Bis ich schließlich das Licht abdrehe, mich hinlege, sie wenig später hereinkommt und „Gutte Njachhhht“ sagt. Jetzt ist mir’s klar.
Hin und wieder halten LKW vor dem Café, und die Fahrer steigen im nebenan befindlichen Gastraum ab. Bisher mied ich den Kontakt mit ihnen, nicht dass ich wieder als exotisches Schauobjekt herhalten muss. Den Leuten hier fehlen einfach die Museen. Wie eindringlich empfohlen, versperre ich die Türen ordentlich.
Morgen. – Ich habe arge Bedenken, wie ich über den hohen Pass oder wenigstens an ihn herankommen soll. Insgesamt sind, ausgehend von Bischkek, 2 600 Höhenmeter zu überwinden. Der heutige Tag hat mich nicht gerade aufgebaut, wie ich den Asphalt entlanggekrochen bin und dabei immer an der Leistungsreserve geknabbert habe.
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