Markus gönnte seinem Chef das letzte Wort und ein schelmisches Grinsen. Er war müde. Stefest fuhr in den fünften Stock, wo ein komfortables Doppelzimmer mit quietschendem Bett und Fernsehanschluss, aber ohne Fernseher auf ihn wartete.
Müller sank erschöpft auf sein Laken. An das darunter befindliche Bettgestell mochte er in diesem Moment gar nicht denken. Die Matratze war durchgelegen, was ihn nur mäßig beeindruckte. Fast schmerzlich vermisste er aber die sonst in Hotelbetten übliche Kuhle, die er diesmal als Rettung empfunden hätte. Müllers Rücken stand vor einer schweren Belastungsprobe. Über die gesamte Matratzenlänge zogen sich zwei Querwülste im Schulterblatt- und im Oberschenkelbereich. Keines der Zwischenteile war groß genug, dass er sich entspannt hätte hineinlegen können. Zwei gemeine Hügel in der Nierengegend taten ein Übriges zur peinigenden Wirkung. Müller lag und hoffte, dass er vor Übermüdung einschlafen würde. Die Matratze wollte er morgen auswechseln lassen. Aus dem Zimmer nebenan kamen eindeutige Geräusche. Unverkennbar handelte es sich um eine ausgelassene Nummer eines urlaubsgestimmten Pärchens. Müller grinste vor sich hin und dachte an seinen eigenen sexuellen Notstand, den er möglichst schnell beenden wollte. In diesem Zusammenhang kam ihm das rothaarige Blauvögelchen in den Sinn, aber sie war zu weit weg. Er wusste noch nicht einmal ihre Zimmernummer. Plötzlich beunruhigte ihn ein dumpfes Rumpeln, mit dem ein schleifendes Geräusch einherging. Aus der Entfernung anschwellende Stimmen riefen Markus ins Gedächtnis, dass sich der Fahrstuhl ganz in der Nähe befand. »Warum schalten die dieses Ding nachts eigentlich nicht ab?«, sprach er halblaut in Richtung Wand, die wie ein Sexfunk-Dauerprogramm ganz andere Geräusche wiedergab. Müller hörte eine Weile interessiert zu. »Zuhause müsste ich dafür eine teure Sex-Hotline anrufen, hier bekomme ich das gratis«, stellte er zufrieden fest. »Wenn schon all-inclusive, dann richtig.« Er hielt sein Ohr an die Wand. Die artistischen Einlagen im Appartement nebenan interessierten ihn nun doch etwas genauer. Auf das übliche Bettwippen folgte ab und an eine kleine Pause und ein gemeinsames lautes »Ooooohhhpps«, wonach ein kräftiger Aufprall zu hören war. Markus versuchte sich vorzustellen, wie die beiden jeweils die Positionen von unten nach oben in einem Schwung wechselten. Er wurde abgelenkt, denn über den Flur marschierte eine grölende Truppe junger Schalke-Fans. »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, klang aus ihren Kehlen. Müller kannte sich im Fußball nicht so aus, sonst hätte er das Gehörte mit dem Endspiel um den DFB-Pokal in Verbindung bringen können. So zuckte er nur mit den Schultern und widmete sich wieder den inzwischen regelmäßigen Rufen nach »Mehr« im Nebenzimmer. Die johlende Clique stapfte nun die Treppe hoch ins nächste Stockwerk und hatte sich nach wenigen Minuten auf ihre Zimmer getrollt. Markus schaute auf die Uhr: »Eins.« Er drehte sich um, im Nebenzimmer bekam jemand »Mehr«, und er wollte schlafen.
Mit aufgerissenen Augen schnellte Markus hoch und starrte auf die Uhr: Zehn nach zwei! Es trommelte gegen seine Tür: »Auauaaufwachen, ihr Penner, heute wird gefeiert!«
Müller wünschte sich eine Maschinenpistole. Der Trommler ging konsequent von Tür zu Tür und wiederholte die Parole. Müller sank ins Kopfkissen. Leider schien auch kein anderer Gast eine Maschinenpistole zu haben. Markus kam zu dem Schluss, dass wahrscheinlich außer ihm noch niemand um diese Zeit schlief. Der Wahnsinnige drohte nun zum Schluss nochmal lautstark: »Ich komme wiiieder!«
Müller griff zum Telefon und versuchte, den Portier zu erreichen. Wie erwartet meldete sich niemand. Er legte auf und hörte, wie sich der Fahrstuhl auf den Weg in seine Etage hochquälte. Was auch immer mit dieser Fuhre kam, er konnte es nicht mehr hören, denn wie auf Kommando startete eine Spülorgie wohl sämtlicher über ihm liegender Toiletten. Ganz Schalke war geschlossen auf dem Klo. Müller war unwohl, er blickte instinktiv zu den Fallrohren in den Zimmerecken verliefen, ob nicht womöglich die ganze Brühe hier bei ihm herauslief. Mühsam schraubte er sich aus dem Bett und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche. »Irgendwann muss doch mal Ruhe sein«, nahm er an. Er irrte sich.
Die beiden nebenan begannen anscheinend mit leicht wippenden Bettbewegungen einen weiteren Versuch, »Mehr« zu bekommen. Der Wandfunk verdoppelte sein Programmangebot, als auf der anderen Seite seines Zimmers die Tür krachte. »Der wird doch nicht einfach so schlafen wollen?«, fragte sich Müller sarkastisch. Es dauerte ein paar Schritte und das Poltern eines heruntergefallenen Aschenbechers, bis ein quäkender Fernseher die Antwort gab. Markus legte sich wieder hin. Die Geräusche schienen auf ein Fußballspiel hinzudeuten. Der überlaute, leicht verzerrte Tons ließ ihn erkennen, dass dieses Spiel im Spanischen Fernsehen lief. Der geplagte Dienstreisende ergab sich in sein Schicksal. Ein »Gooooooaaaal«-Schrei unterbrach mal kurz gegen drei Uhr vierzig seinen angestrengten Erschöpfungsschlaf. Erst das Kratzen an seiner Zimmertür ließ ihn dann richtig wach werden. Da näherte sich der kleine Zeiger seines Weckers gerade der Sechs. Müller bewaffnete sich mit einer Vase und öffnete die Tür. Mit einer Scheckkarte versuchte ein feister, kahlköpfiger Trinker seine Tür zu öffnen. »Was mmmachen S’n meim Zimm…?«, lallte der derangierte Suffkopp, dann verstummte er angesichts der sehr bedrohlich wackelnden Vase und suchte, vor sich hin brabbelnd, den Fahrstuhl.
Auf dem hinteren Teil des Flures fiel in dem Moment eine Tür ins Schloss. Markus drehte sich um, und seine Miene erhellte sich. Nina Blauvogel kam ihm im kurzen Sprinterhöschen, einem knappen Sportshirt und Laufschuhen entgegen: »Können Sie auch nicht schlafen?«
Müller ordnete sein Outfit und strich sich verlegen mit der Hand durchs Haar: »Ich versuche es seit fünf Stunden.«
»Wenn man in die Irrenanstalt geht, darf man sich nicht über die Irren wundern«, stellte Nina in herzerfrischendem Ton fest.
»Ich laufe mir jetzt meinen Frust von der Seele.«
»Tun Sie das, ich versuch’s ein letztes Mal mit Schlafen«, sagte Müller und winkte seiner Angebeteten hinterher. Er vergaß natürlich nicht, noch einen längeren Blick auf das zu werfen, was er in sexueller Hochstimmung als »Knackarsch« bezeichnet hätte. Als er die Tür hinter sich schloss, stand für ihn unumstößlich fest: Das Blauvögelchen musste er schnellstens näher kennenlernen. Erfreulich fand er, dass Nina, aus welchen Gründen auch immer, diese exzessive Trinkergegend auch nicht normal fand.
»Aber warum ist sie dann hier?«, fragte sich Markus, als er sich wieder ins Bett hineinarbeitete.
Der Fahrstuhl rumpelte schon mindestens das zehnte Mal nach oben. »Die besoffene Scheckkarte«, ging es Markus durch den Kopf, bevor er vor Erschöpfung zum letzten Mal in dieser Nacht einschlief.
*
Hugo hatte Ernie im Hotel abgesetzt, nachdem er ihn durch mehrere Karaoke-Bars gehetzt hatte, in denen er ihn gegen die Konkurrenz seines Publikums direkt antreten ließ. Ernie schleppte ich völlig erschöpft auf sein Zimmer.
»Vergiss nicht, dass ich den ganzen Aufenthalt hier trage. Was glaubst du, was das heißt? Du hast Vertrag, das heißt auch, rumvögeln is nicht, solange kein Erfolg. Ganz einfache Formel.«
»Und was ist mit der Scheißmotivation?«, wollte Ernie missgelaunt wissen.
»Man kann nicht als Goldkehlchen auf die Bühne tanzen, wenn man sich vorher als Eichhörnchen die Nüsse hat klauen lassen. Das klappt nicht. Also entweder Eichhörnchen oder Goldkehlchen. In deinem Vertrag steht Goldkehlchen. Und genau das wollen deine weiblichen Fans sehen. Die merken doch sofort, wenn dich eine andere ausgelutscht hat.«
Ernie legte sich aufs Bett.
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