Ich: „Was war auf der Rückseite?“
„Na, nichts, der Rahmen… Der Gendarm mit Pickelhaube und Seitensäbel. Der Wirt hat ihm ein Glas Schnaps angeboten. Immer. Erst hat er sich geziert, dann getrunken… Noch eins. Beim zweiten Schnaps tat er immer die Pickelhaube ab und setzte sich neben der Theke unter die Treppe. Nach dem 3.: Haube auf, Säbel an, weg war er…“
PS: Anlass für diese Geschichte war das Geschehen anno 1913 in einer Kleinstadt, die nach dem 1. Weltkrieg „Klein-Moskau“ oder „Rotes Ruhla“ genannt wurde.
Das sturmsichere Haus und die unpassende Bockwurst
Im Kindergarten war gerade Zeichenstunde, als die Sturmwarnung kam – mitten am Tag und dazu die Nachricht, dass die Kleinen in Kürze von den Eltern abgeholt und nach Hause gebracht werden.
Dazu bekam ich frei vom Chef und erfuhr von der Kindergärtnerin, dass mein Söhnchen seine Zeichnung von einem Haus sehr eigenwillig gefertigt hat. Ein Hochhaus sollte gemalt werden, mit vielen Fenstern. Und was hat er gemacht, als diese Sturmmeldung kam? Alle schönen hellen Fenster von oben bis unten am Hochhaus hat er schwarz angemalt, wie ein Trauerflor am Haus sah das aus. Auf die etwas entgeisterte Frage von Mutter und Betreuerin, was das soll, hatte der kleine Schlaumeier eine total logische Antwort: „Da kann doch der Sturm nicht reinkommen, ich hab die Fenster alle zugemacht“.
Schön und gut, aber was hat das sturmsichere Haus mit der unpassenden Bockwurst zu tun? Die Hausgeschichte erzählte ich unserer Buchhändlerin. Die meinte lachend, dass sie auch so eine Geschichte mit ihrem Sohn erlebt hat:
Er – in der ersten Schulklasse – sollte wie alle Schüler mitten im Sommer eine Bockwurst malen; so stands wohl im Lehrplan. Er aber, ein süßer schwarzhäutiger Bengel, malte eine Waffeltüte mit buntem Eis! Kriegte eine 5 von der Lehrerin, aber keine Strafpredigt von der Mutter, denn seine Begründung war eindeutig: „Ich male doch im heißen Sommer keine heiße Wurst…“
„Männer, die Bässe sind das Fundament. Ob die Tenöre darauf ein Hochhaus bauen oder aber nur im ersten Stockwerk stehen bleiben, liegt ganz an euch!“
Ist das eine freundliche Aufforderung zum Gesang, die unser Chorleiter gibt! Unser – mein Männerchor und ich, ein Männerchor mit 6Ojähriger Tradition, ohne Nachwuchssorgen, und ich – Zufallsansager zunächst und seit 4 Jahren Gast bei Proben und regelmäßigen Konzerten.
Unser Chorkonzert als Kurkonzert, einmal im Monat. Die Singestunden sind freiwillig. Freitags, auch für mich, denn wie sollte ich Sangeslust an „Waldeslu-u-ust“ verspüren, wenn nicht leibhaftig? Wer da sagt, freitags schmecke das Bier beim Wirt besonders und deshalb auch die Proben dort, der liegt schon vorm ersten Glas schief. Wirt klingt übrigens viel zu anonym, Adam heißt er, heißt sein Sohn, heißen dessen Kinder und die beiden Frauen in der Küche. Beide Tenöre. Strahlend – die Stimmen und die Gesichter aller Männer. Ich stelle sie auf der Bühne vor: Gastwirt und Landwirt, Wasserwerker und Pumpenwerker – wie Rudi, der seit mehr als 25 Jahren Vorstand ist, Gestalt und Charakter handfest, wortfest im Dialekt der Rhönheimat, Walzwerker und Elektriker, Maler und LKW-Kapitäne, Schneider und Steinmetz, Polsterer und der Lokführer, der Mundharmonika in seinen Schienenpausen spielt. Fast alle Meister ihres Faches und des Gesanges nach Feierabend. Ich stelle den Kräftigen vor, der Schäfer heißt und Kaltwalzwerker ist, und den Schmalen mit Vollbart, der Schäfer ist in dem Dorf, aus dem so gut wie alle stammen. Den lasse ich immer raten vom Publikum – wie sieht ein Rhönschäfer aus: romantisch, rotwangig, freundlich – schwer zu erraten, weil alle meine Männer so ausschauen. Viele tragen Bart, einige Vollbart, die Alten glatt rasiert. Und der Schäfermeister mit Bart – er verheimlicht nicht seinen Tipp zum Einschlafen unseren Kurgästen: ein Schäfer zählt nie Schafe – er würde glatt einschlafen dabei – er zählt die Beine seiner Schäfchen und teilt durch 4! Punkt! Schluss! Applaus für meinen Männerchor.
PS:
Der Männerchor ist jetzt 93, dirigiert von einer Frau, hat inzwischen auch Nachwuchssorgen, singt aber noch immer gut.
Gefrorener Sekt im dunklen Berlin
Eiswinter 1978/79
Erbsensuppe aus der Gulaschkanone im Oberhofer
Nobelhotel „Panorama“
Das war eine Jahreswende! Auch bei mir wurden Erinnerungen wach. Sie beginnen schon im Eisenacher Bahnhof. Mit einem Salzunger, der damals in Berlin tätig war, fuhr ich nach dem Weihnachts-Oratorium in der Georgenkirche zurück nach meinem damaligen Wohnsitz Berlin. Den kalten D-Zug hatten wir erwartet, die Mäntel ließen wir an. Eine Flasche Wein, aus Frust geöffnet, ging im Abteil reihum, wärmte aber keinen!
Es sollte schlimm kommen, denn die folgenden Tage in der Hauptstadt waren nur noch duster. Von wegen übrigens die Begründung, aller Strom sei für die DDR-Hauptstadt – strahlend hell schien Westberlin herüber. Von unserem Johannisthaler Haus sahen wir neidisch nach dem nahen unerreichbaren Britz.
Mal war der Strom zu Hause weg auf unbestimmte Zeit, die Straßenbeleuchtung sogar auf dem Alexander-Platz und Unter den Linden war längst abgeschaltet, die S-und U-Bahnen fuhren auch nur noch „auf Zuruf“, wenn der Strom mal wiederkam. Mein bisher fester Glaube an das groß propagierte verlässliche RGW-Verbundnetz von Polen und der Sowjetunion zur DDR blieb damals auf der Strecke.
Also die Silvesternacht: Gegen Abend fiel in unserer Siedlung Johannisthal nicht nur der Strom aus, auch die Gasheizung wurde zentral stark gedrosselt. Im Haus war sie nur noch lauwarm. Den Sekt für Null Uhr stellten wir innen an die Terrassentür, die aus einfachem Glas war, die Wände waren ja sowieso ungedämmt – und das bei unter 2o Grad Minus. Mitternacht im Rollkragen. Der Sekt zur Hälfte in der Flasche gefroren!!
In den nächsten Tagen wollte ich dann von Berlin nach Salzungen und von da dienstlich zum Töpferhof Römhild. Was für ein Abenteuer! Auf dem Fernbahnhof Schönefeld warteten hunderte Menschen stundenlang ohne jegliche Information auf irgendeinen Zug gen Süden oder Norden. Irgendwann kam ich bis Erfurt und hatte Glück mit einer Übernachtung in einem kleinen Bahnhofsstraßenhotel. Nach wenigen Stunden ging auf dem Erfurter Hauptbahnhof das gleiche „Glücksspiel“ weiter. Irgendwann kam ich nach zwei Tagen in Bad Salzungen an und hatte dann von Meiningen bis Römhild per Bus noch die tollsten Nachwehen der Eistage: riesige Eisbrocken an den Bäumen am Werraufer und ein total lahm gelegter Töpferhof in Römhild, der ja tagelang ohne Strom „erfroren“ war wie alle vormals bewunderten großen Grünpflanzen des Chefs.
Übrigens: mein Ex-Ehemann Manfred feierte den Jahreswechsel im Interhotel „Panorama“ in Oberhof so: In dünner Festkleidung die Frauen, in auch nicht gerade dicken Anzügen die Männer. Als das Licht ausging und die Heizung nachließ, sollte das immer hoch gepriesene Notstrom-Aggregat aushelfen. Aber – Fehlmeldung total. Nichts ging mehr. Die Silvestergäste mussten die Nottreppen, die damals außen am Hotel ungeschützt hochgingen, benutzen. Am nächsten Tag gabs im noblen Interhotel Erbsensuppe aus der Gulaschkanone.
Echt bauernmarktreif!
In dieser ersten Septemberwoche hatte ich zweimal einen Unfall. Besser gesagt, es waren zwei „Umfälle“ in des Wortes wahrstem „Un-Sinn“ …
Beim ersten mal stürzte ich über eine flache Stufe im Hof und fiel nach vorne um – mit einem unmöglichen Schrei, weil meine linke Hand und das linke Knie sofort irre schmerzten. Ich wurde aufgehoben mit den schönen Worten: „Schrei doch nicht so, was soll denn die Nachbarschaft denken …“
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