der Mutter eben erst entschlüpft
nahm man dich ihr schon weg
hat dir ein anderes Ziel geknüpft
der Staat bestimmt den Zweck.
Gelitten haben Seelen
das war dem Staat egal
wenn Peiniger auch quälen
sie waren groß an Zahl
sie wiesen dir die Richtung
die du zu gehen hast
des Willens strikte Bändigung
die hat man dir verpasst.
Die Seelen all der Kinder
die sind nun klein und krumm
doch immer noch vorhanden
die Peiniger sind stumm.
Denn in den Akten finden
die Kinder, wer es war
man will sie wieder binden
den Tätern droht Gefahr
sie sind, so meinen sie,
noch heute doch im Recht
die Meinung änderte sich nicht
IHR Staat war doch nicht schlecht!?
(Gerda Kocí)
Akteneinsicht beim BStU Dresden
Bevor ich mit der Aufarbeitung beginnen konnte, benötige ich noch weit mehr Material als nur meine Kinderheimakte. Mir fehlte noch die Einsicht in meine Stasi-Akte und die meiner Mutter. Mir war bekannt, dass das MfS und das Referat Jugendhilfe wie mit einer Axt durch den Wald durch die Familie von mütterlicher und väterlicher Seite gegangen sind.
René, nun fang an zu erzählen und halte dich nicht gleich zu Beginn mit ewigen Wortspielereien auf.
Klappe jetzt, und hör mir zu, sonst nimmt das Kapitel kein Ende. Im Jahr 2010 beantragte ich Akteneinsicht beim BStU, dem Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Außenstelle Dresden, worauf ich zunächst eine Eingangsbestätigung erhielt. Das hörte sich dann so an:
„Sehr geehrter Herr Münch, mit meinem Schreiben vom 06.05.2010 erhielten Sie die Auskunft, dass Sie in den seinerzeit vorhandenen und erschlossenen Karteien des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit Ihren Personalien auf einer Karteikarte zwar erfasst waren, aber keine Unterlagen ermittelt werden konnten.
So sieht die Karteikarte aus, wenn man bei VEB Horch und Guck registriert war.
Aufgrund Ihres erneuten Antrags auf Akteneinsicht wurden nochmals umfangreiche und aufwendige Recherchen in der Zentralstelle Berlin und der Außenstelle Dresden durchgeführt. Diese Recherchen haben keine Hinweise auf Unterlagen ergeben, die über die Ihnen bereits bekannten hinausgehen. Da die Erschließung der Archive inzwischen weit fortgeschritten ist, gehe ich davon aus, dass auch in Zukunft zu Ihrer Person keine weiteren Unterlagen aufzufinden sind.“
René, die wollen nicht, dass Dinge, die dich betreffen, ans Tageslicht kommen.
Ach, mach mich jetzt mal nicht verrückt, Richter. Wenn das so ist, muss der BStU Dresden damit klarkommen. Hier geht es um mich, meine Gesundheit und meine Familie. Ich wurde 1962 geboren und nicht 1990, als man das MfS abgewickelt hat. Da ich aufgrund der Kinderheimakte nun auch das genaue Geburtsdatum meiner Mutter und meines Vaters kannte, konnte ich nach Vorlage der Sterbeurkunden die entsprechenden Akten beantragen. Am 18.04.2013 erhielt ich folgende Mitteilung: „Mit oben genanntem Antrag haben Sie Zugang zu betreffenden Informationen in Unterlagen zu anderen Personen beantragt. Dies gilt als Antrag eines Dritten im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz.“
Andere Personen sind doch deine Eltern, René.
Ich weiß, Richter.
Am 11.06.2014 kam diese Information: „Sie haben Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beantragt, die möglicherweise zu Ihrer verstorbenen Mutter vorhanden sind. Sie werden in Kürze über Art und Umfang der zu dem Antrag aufgefundenen Unterlagen informiert. Sobald die eventuell vorhandenen Unterlagen für Sie aufbereitet sind, setze ich mich wieder mit Ihnen in Verbindung. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“ Jetzt kommt der Akt am 09.09.2014, der einen schon mit Flashbacks versorgen kann: „Die Recherchen haben ergeben, dass Informationen zu Ihrer Person als Dritter im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz vorliegen. Nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 ff. Stasi-Unterlagen-Gesetz haben Sie nur zu dem Teil der Unterlagen Zugang, der Informationen zu Ihrer Person enthält. Diese Unterlagen haben einen Umfang von 3 Seiten.“
Respekt vor dem BStU Dresden, kann ich dazu nur sagen, René!
Ich sehe das anders, du Nase. Aber Geduld bitte, der Kampf mit dem BStU Dresden ist noch nicht vorbei. Also hör hin – und Kommentare bitte zum Schluss! „Um einen schnellen Zugang zu ermöglichen, sende ich Ihnen Kopien dieser Unterlagen zu.“
Sag mal, René, hattest du nicht um Akteneinsicht gebeten?
Ja, sicher hatte ich das, und einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht habe ich auch. Die müssten sich vielleicht mal schulen lassen, die Mitarbeiter vom BStU Dresden. Ich gebe da sehr gern Tipps zum Thema „Akteneinsicht“:
Akteneinsicht für nahe Angehörige vermisster oder verstorbener Personen
Die Akten vermisster oder verstorbener Personen sind in der Regel nicht zugänglich. Für nahe Angehörige von Vermissten oder Verstorbenen gelten jedoch Ausnahmeregelungen. Nahe Angehörige sind Ehegatten, Kinder, Enkelkinder, Eltern und Geschwister; unter bestimmten Voraussetzungen zählen auch adoptierte Kinder und deren leibliche Eltern dazu. Sind keine nahen Angehörigen mehr vorhanden, können auch Verwandte bis zum dritten Grad (also Großeltern, Urenkel, Onkel, Tanten, Nichten oder Neffen) Anträge stellen.
Die genannten nahen Angehörigen müssen ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schlüssig darlegen, dass sie mit Hilfe eventuell vorhandener Stasi-Unterlagen im Zusammenhang mit dem DDR-Regime stehende Ereignisse oder staatliche Maßnahmen aufarbeiten möchten.
Die Angehörigen bis zum dritten Grad können, sofern keine nahen Angehörigen vorhanden sind, Akteneinsicht beantragen, wenn es ausschließlich um
- Fragen der Rehabilitierung,
- den Schutz des Persönlichkeitsrechts, insbesondere zur Klärung einer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst,
- die Aufklärung des Schicksals der vermissten oder verstorbenen Person geht.
Der Nachweis, dass der Angehörige vermisst oder verstorben ist und der Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses sind dem Antrag beizufügen. Angehörige bis zum dritten Grad müssen zudem den Nachweis erbringen, dass keine nahen Angehörigen vorhanden sind.
Die Unterlagen dürfen nur im Rahmen des glaubhaft gemachten berechtigten Interesses bzw. glaubhaft gemachten Zwecks zur Verfügung gestellt werden und soweit keine überwiegend schutzwürdigen Interessen des Vermissten oder Verstorbenen oder anderer Personen (z. B. anderer Angehöriger) beeinträchtigt werden.
Die Klärung gegenwärtiger vermögensrechtlicher Fragen, sonstiger Familienstreitigkeiten sowie die Klärung der eigenen Abstammung oder die Suche nach leiblichen Eltern begründen kein Recht auf Zugang zu eventuell vorhandenen Unterlagen, da es hier an dem vom Gesetzgeber geforderten Aufarbeitungszweck des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fehlt.
Richter, ich glaube, der BStU Dresden mag mich nicht. Immer dann, wenn ich persönlich dort Anträge und Unterlagen eingereicht habe, bekam die Sachbearbeiterin ein schlechtes Gewissen und einen roten Kopf. Das gibt mir schon zu denken. Warum das so sein könnte, erfährt der Leser in meinem Buch.
Ich helfe dir bei der Aufarbeitung, René.
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