Für heute war die Trainingseinheit gemeistert, aber von Tag zu Tag verlangte der Übungsroboter ihm mehr ab.
Na ja, der Nachmittag würde ruhiger werden. Germanisches Recht stand auf dem Lehrplan, da kannte er sich aus, schließlich war sein Vater König der Sueben, und Sarulf hatte bei vielen Things eine ganze Menge über die Rechtsprechung lernen können!
Mit einem letzten Gedanken an Alida trat Sarulf unter die Dusche und genoss das Prasseln der heißen Wasserstrahlen auf seiner Haut.
* * *
Mit abgeblendeten Scheinwerfern schwebte die Limousine vor die Schranke neben dem Wachhäuschen. Einer der Wärter trat heran und ging zur Fahrerseite des Fahrzeugs.
Die Scheibe senkte sich lautlos, der Insasse blickte dem Wachmann in die Augen.
„Guten Abend, Herr Drachenstein! Noch so spät zu arbeiten?“
„Natürlich, sonst wäre ich ja nicht hier! Mach die Schranke hoch, Krähenzahn!“
Der so angesprochene gab seinem Kollegen im Torhaus ein Zeichen und die Schranke zum Farmgelände öffnete sich.
„Schönen Abend, Chef!“, sagte der Wächter und trat vom Wagen zurück.
„Dito, Krähenzahn, dito!“
Das Auto fuhr an, entfernte sich rasch und surrte zügig zu den Parkplätzen. Vor dem Schild „Geschäftsführung“ hielt es an.
Brunold Drachenstein stieg aus dem Wagen und begab sich in das Gebäude zur Linken. Zügig durchschritt er den Eingang und wandte sich dem Lift zu. Er fuhr in die Vorstandsetage und schritt den dunklen Gang entlang. Alles lag wie ausgestorben da!
In seinem Büro angekommen, knipste er das Licht an und zog die schweren Vorhänge zu. Man konnte ja nie wissen!
Brunold trat an einen Sockel neben seinem Schreibtisch. Er schaute sich nochmals im Raum um, griff nach einem Arm der Bronzeskulptur, die auf dem Sockel stand, und zog ihn nach vorn.
Schutz der Heimat, Leben im Einklang mit der Natur – Mann!, er konnte das nicht mehr hören! Schließlich musste er Geld verdienen und die Entsorgung der Hühnerscheiße kostete ihn jeden Monat ein Vermögen!
Und so tat er, was er an jedem Monatsersten tat. Mittels eines geheimen Ablaufrohres ließ er tausende von Litern der übelriechenden Gülle in die Elbe fließen und sparte sich somit eine Menge goldener Scheine. Mit ein bissel Cleverness konnte man eine schöne Menge Kohle scheffeln! Trottel, die!
Plötzlich öffnete sich die Tür zu seinem Büro und zwei schwarzuniformierte Männer traten ein!
Was zum Teufel …?
„Guten Abend, Herr Drachenstein! Man kann sagen, dass wir Sie auf frischer Tat ertappt haben! Und auch noch auf Film festgehalten das Ganze!“
Der schwarze Kerl, der das von sich gegeben hatte, trat nun an Brunold Drachenstein heran und hielt ihm seine Marke vor das Gesicht.
Verdammte Scheiße, Wotans Wölfe!
„Drehen Sie sich rum und nehmen Sie Ihre Hände auf den Rücken! Übrigens, Ihr ‚geheimes‘ Abflussrohr ist schon seit einiger Zeit stillgelegt! Uns fehlte zu den Verdachtsmomenten nur noch der Beweis, und den haben wir jetzt! Sie können sich in Kürze beim Thing vor unserem König erklären. Jetzt geht es erst mal in eine schöne Zelle!“
Der Wolf ließ die Handschellen zuschnappen und schob Drachenstein zum Ausgang.
* * *
Swanhild trat aus der Dunkelheit in ihr Haus ein und genoss die wohlige Wärme, die ihr entgegenschlug.
Weit war der Weg vom Nachbargehöft gewesen, durch die Dunkelheit und den Regen. Aber sie hatte helfen können, und allein das zählte!
Sie nahm den Umhang ab und hängte ihn zum Trocknen über eine Stuhllehne. Dann ging sie hinüber zum Herdfeuer, goss Wasser in den Kupferkessel und hängte ihn über die noch glimmenden Scheite. Swanhild griff sich zwei Stück Holz und legte sie auf die Glut. Sie bückte sich und pustete kräftig in das schwelende Feuer. Sofort leckten Flammen hervor und begannen sich in das Holz zu fressen.
Sie trat an das Regal und entnahm hier und da ein paar trockene Blätter und Blüten. Die gab sie in die Kanne und wartete darauf, dass das Wasser zu kochen anfing. Währenddessen band sie sich ihr Haar im Nacken zusammen und schlüpfte in ihre dicken Haussocken.
Endlich warf das Wasser im Kessel Blasen. Swanhild nahm ihn vom Feuer und goss die Teekanne voll. Sie stellte den Kessel auf den Herd, holte sich eine Tasse und ihre Zuckerdose und stellte alles auf den Tisch zur Teekanne. Dann ließ sie sich erschöpft auf den Stuhl fallen, tat etwas Zucker in ihre Tasse und frischgebrühten Tee. Sie nahm die Tasse an die Lippen, blies hinein und nahm einen kleinen Schluck. Sofort durchflutete Wärme ihren Körper. Swanhild trank noch etwas mehr vom Tee.
Wie lange ist es eigentlich her, dass ich hier mit Fenja Rabenherz gesessen habe?
Ihre Mentorin war vor einem Sommer zu den Göttern gegangen, und seitdem war sie, Swanhild Rabenfeder, die heilkundige Kräuterfrau des Rabenclans. Schon als junges Mädchen war sie zu Fenja gekommen und hatte sich deren Wissen aneignen dürfen. Es hatte vieler Jahre bedurft, bis sie sich mit jedem Kraut, jeder Wurzel und jedem Pilz auskannte und deren Wirkung im Schlaf herunterbeten konnte. Dazu kamen noch die Heilsteine, auch hier dauerte es Jahre, bis Swanhild deren Wirken kannte.
Jeden Abend hatten sie gemeinsam hier an diesem Tisch gesessen und zusammen Tee getrunken.
Wehmütig seufzte Swanhild und nahm noch einen Schluck von dem heißen Gebräu.
Langsam sollte ich mich wohl auch mal nach einer geeigneten Schülerin umsehen! Ich werde schließlich auch nicht jünger!, bei diesem Gedanken lächelte sie leise vor sich hin.
THURISAZ – Dorn (Rune des Gottes Thor, Schutz-Rune)
Ich weiß, dass ich hing |
am windigen Baum |
Neun lange Nächte, |
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Vom Speer verwundet, |
dem Odin geweiht, |
Mir selber ich selbst, |
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Am Ast des Baums, |
dem man nicht anseh’n kann |
Aus welcher Wurzel er spross. |
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Sie boten mir |
nicht Brot noch Met; |
Da neigt’ ich mich nieder |
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Aus Runen sinnend, |
lernte sie seufzend: |
Endlich fiel ich zur Erde. |
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(DIE EDDA, ODINS RUNENLIED)
Knisternd und mit hellem Schein loderte das Feuer im Kamin. Still war es im Raum und wohlig warm. Kerzen tauchten das Zimmer in ein heimeliges Licht. Riesige Regale, gefüllt mit alten und uralten Büchern und Folianten, die sämtliche Wände bedeckten, strömten eine geheimnisvolle Atmosphäre aus.
Zwei Adepten saßen auf dem Boden, der mit dicken Fellen ausgelegt war, vor ihrem Meister, der auf dem Lehnstuhl neben dem Feuer thronte. Er beobachtete Hasso Hirschhorn und Steinar Rabenfeder, die in die Lektüre eines vor ihnen liegenden Wälzers vertieft schienen, mit Argusaugen.
Weißbart Rabenzahn, Druide der Sueben, unterwies Hasso und Steinar, die, wenn man seiner Aussage glauben wollte, dumm wie Bohnenstroh waren und eine Last auf seinen alten Schultern, in der Kunst der Magie. Nun, vielleicht reden alle Meister so über ihre Lehrjungen. Aber in beiden musste doch ein wacher Verstand stecken, denn Rabenzahn nahm nicht jeden als Lehrbursche.
Der Meister war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und hellseherisch begnadet. Er wusste um die Kraft der Runen und deren Zauber, und war Meister des Orakels. In punkto germanischer Mythologie konnte ihm kaum einer was vormachen. Jede Göttin, jeden Gott kannte er quasi mit Vornamen, sämtliche Fabelwesen waren ihm so vertraut wie der Kram in seiner Hosentasche.
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