Tino Hemmann - Vogelgrippe

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Holger Hinrich, Chef der Leipziger Mordkommission, sucht Ruhe und Erholung im winzigen Ort Zellerau in Mecklenburg-Vorpommern. Die Idylle wird jäh zerstört. Von den gerade sieben noch im Dorf lebenden Kindern, verschwinden innerhalb weniger Stunden zwei. Eine fünfundzwanzigköpfige Sonderkommission der Polizeidirektion Schwerin beginnt die Suche nach den beiden Jungen Kevin und Matti. Hinrich hält sich nicht zurück und ermittelt auf eigene Faust. Der Leipziger findet heraus, dass die Opfer einen mutmaßlichen Mörder beobachtet haben. Als dieser Mörder und dessen Schwester tot aufgefunden werden, von den Jungs aber weiterhin jede Spur fehlt, bleibt Hinrich nichts übrig, als sich Einsatzleiter Feldmüller zu offenbaren. Gemeinsam kommen die äußerst gegensätzlichen Kripobeamten einer furchteinflößenden Macht auf die Spur, bis sie selbst zu Opfern und Mitwissern werden. Hemmanns dritter Kriminalroman handelt in einem Geschwür aus Korruption und Hoffnungslosigkeit, Kapitalsucht und Macht der Arzneimittelindustrie.

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Tino Hemmann

VOGELGRIPPE

Der Krimi

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel Tino Hemmann VOGELGRIPPE Der Krimi Engelsdorfer Verlag Leipzig 2015

Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de

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Epilog

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1

Ein schwülwarmer Sonntagmorgen. Verlassen und brach lag das Dorf Zellerau in Mecklenburg. Wie ausgestorben wirkte der Ort, keine Regung, nur ein böiger Windhauch trieb Müll-Fetzen durch die Straße. Die Sonne trat den erfolgversprechenden Versuch an, über den nebligen Horizont zu steigen und verkündigte drückende Tagestemperaturen. Wolken gab es nicht am Himmel.

Es war fünf Uhr morgens. Kevin schlich dahin, in der Hand zusammengerollt die gelbe Einkaufstüte, in der sich die vom Vortag noch etwas klamme Badehose befand, schaute sich immer wieder um, als hätte er Angst, jemand könnte ihn verfolgen. Wer aber mochte um diese Zeit munter sein? Der Junge trug lediglich T-Shirt und Bermudas. Seine Schultern litten unter einem leichten Sonnenbrand. Barfüßig, manchmal hüpfend, lief er am Straßenrand entlang und wich unbewusst Hundehäufchen aus.

»Mama wird mich schlagen«, flüsterte der blondgelockte, dürre Zwölfjährige zu sich selbst. »Wenn sie nicht schon die Polizei gerufen hat.«

Er hat sich am Vortag abgemeldet.

Mama hielt das neue Baby in den Armen, weil es nicht schlafen wollte. »Wohin gehst du?«, fragte sie. »Du sollst doch deinem Vater helfen!«

Alles – nur das nicht! Kevin kannte die Launen des Vaters gut. In Wirklichkeit war Papa nicht sein richtiger Vater. Er war der richtige Papa von Kevins vier Geschwistern, aber nicht der von Kevin.

»Ich bin gleich zurück«, sagte Kevin. »Matti wartet, wir wollen zum See, Mama. Nur mal ganz kurz.«

»Das ist typisch. Der Herr Faulenzer geht baden und dein Vater schuftet. Das ist typisch.«

»Ich habe Ferien, Mama«, rechtfertigte sich der Junge. »In einer Stunde bin ich zurück. Versprochen.«

»Dass du mir bloß keinen toten Vogel anfasst!«

Kevin verleierte die Augen. »Mama, am See liegen keine toten Vögel rum.«

»Man kann nicht vorsichtig genug sein, wer weiß, was mit der Vogelgrippe noch auf uns zukommt. – Wenn da einer liegt, dann wird er nicht berührt, hast du verstanden, Kevin?« Die Mutter gab ihrem Sohn einen sanften Kuss auf die Stirn.

»Ja, Mama. Aber da sind bestimmt keine.« Kevin wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.

Am See kamen Kevin und sein Freund Matti nicht an. »Bleibst du zum Abendessen, Kevin? – Wir wollen grillen«, hatte Matti gefragt.

»Ich weiß nicht … – Gehen wir nicht zum See?«

»Keine Lust«, murrte Matti. »Wir können im Pool baden, wenn du willst.«

Baden im Pool war cool. Es gab ein Sprungbrett und immer etwas zum Trinken. Am See war mehr Platz für Fußball, aber notfalls ging das auch in Mattis Garten.

»Okay, wenn du meinst … – Ja, ich bleibe.«

Nach dem Abendessen zeigte Matti dem Freund das neue Zelt. Es stand am Waldrand, weitab vom Haus seiner Eltern.

»He, willst du mit hier schlafen? Los, Kevin, wir haben Ferien!«, rief der dunkelblonde, kurzhaarige und zehnjährige Junge.

Kevin überlegte einen Moment. »Okay, Matti. Schlimmer kann’s nicht werden. Mama ist so oder so stinksauer auf mich.«

Sie rauften im Spaß miteinander und irrten verschwitzt durch den dunklen Wald. Sie genossen ihre Freiheit.

Irgendwann erwachte Kevin im Zelt, ein Bein von Matti lag über ihm.

Leise kroch er hinaus und machte sich aus dem Staub.

Kevin lief am Rand der breiten Straße. Sie zog sich durch den gesamten Ort. Die meisten Autos, die diese Bundesstraße nutzten, nahmen die vierunddreißig Häuser nicht wirklich wahr. Sie bremsten nur, wenn ein Blitzer am Straßenrand stand, denn der sprach sich schnell herum.

Jockey, der Hund vom alten Kramer, kam schwanzwedelnd angelaufen. Eine erbärmliche Kreatur, klein, schwarz, verlaust und selten bei seinem Herrn.

»Hey, Jockey, was machst du so früh hier draußen?« Kevin kniete sich auf den Boden und kraulte dem Hund das Fell. Jockey ließ sich sofort auf den Rücken fallen. »Na, du Schmusemaus.« Der Junge lachte und streichelte den Bauch des Hundes.

Kevin sah erschrocken auf. Ein bekanntes Geräusch näherte sich. Ein roter Kombi fuhr in den Ort, zog eine Staubwolke hinter sich her. ›Wahrscheinlich ein Frühaufsteher, der am Wochenende zur Schicht muss‹, dachte Kevin. Im gleichen Moment bekam es Jockey mit der Angst zu tun. Er rappelte sich auf und lief zur Straßenmitte, wo er wie angewurzelt stehen blieb und in die Richtung sah, aus der das Fahrzeug rasch näher kam.

»Jockey!«, schrie Kevin. »Komm her, du blöder Hund!« Der rote Kombi wuchs rasch. »Jockey, verdammt!«, Kevins Stimme überschlug sich. »Los, komm endlich her!« Wütend stampfte der Junge auf den Boden. Der Hund rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Bedrohlich wuchsen die Dimensionen des Autos. »Jockey!«, brüllte der Junge erneut, ließ die gelbe Plastiktüte fallen und rannte los.

Im gleichen Moment lief der Hund von der Straße. Kevin stolperte, strauchelte und fiel auf den Asphalt. Hektisch atmend lag er auf dem Boden und hörte das Quietschen der Bremsen. Eine Tür öffnete sich, ein Schatten tauchte über Kevin auf, da war noch ein Stechen in seinem Kopf …

Finsternis umgab ihn.

2

»Hallo?« Kevin bewegte einen Arm. Die Augen hatte der Junge geöffnet. »Hallo?« Flüsternd die Frage. Es war dunkel, als wäre wieder Nacht. Kevin fühlte mit der flachen Hand um sich. Er lag in einem Bett. Es war schmal und das Kopfende ragte nach oben. ›Das Auto!‹, durchfuhr es den Jungen, ›Ich bin in einem Krankenhaus!‹– »Ich wurde überfahren!« Kevins Hand glitt über die eigene Haut. Da waren keine Wunden. Er setzte sich auf das Bett, die Füße berührten einen kalten Boden. »Hallo!«, rief er lauter. »Mir tut nichts weh! – Hallo!?« Kevin kratzte sich den Kopf, drehte mit einem Finger neue Locken in die Haare. Dann stand er auf.

Dieses verdammte Zimmer hatte kein Fenster. Und der Boden war eisig. Der Junge streckte die Arme aus und setzte einen Fuß vor den anderen. Wie blind bewegte er sich. Drei Schritte, dann berührte seine Hand eine glatte, kalte Wand. Vorsichtig ließ Kevin die Handfläche über die Wand gleiten, bis er die Zimmerecke erreicht hatte. Wieder folgte die Hand einer Wand, sieben Schritte, bis zur nächsten Ecke. Kevin fror und zitterte erbärmlich. Erneut lief er sieben Schritte und fühlte die dritte Zimmerecke. Nacheinander rieb er die Fußsohlen an der Wade des jeweils anderen Beines. Noch immer berührte seine Handfläche jene Zimmerwand. Und noch einmal ging Kevin sieben Schritte.

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