Es gab aber auch bei uns noch saubere Gewässer. Forellen schwammen in der Kote, einem kleinen Bach am Stadtrand, zu dem wir jedoch immer ein ganzes Stück zu Fuß laufen mussten. Diese flinken Bachbewohner waren fast nicht zu kriegen. Mit etwas Ausdauer und Geschick fingen wir sie trotzdem manchmal.
Einfacher war es, auf Flussbarsche im Steinbruch aus zu sein. Mit einem schönen, fetten Wurm am Haken klappte es fast immer. Wir kannten die Stellen, an denen sie ziemlich rasch anbissen.
Die Barsche waren freilich recht klein, also nichts für die Pfanne. Wir taten sie wieder zurück oder nahmen sie gelegentlich mit nach Hause. Als Ersatzteich wählten wir eine große Zinkbadewanne oder das Bassin, so nannten wir den ausgedienten Schweinetrog bei uns im Garten. Die Tage der Barsche waren folglich gezählt.
Auch die Krebse, die wir zuweilen fingen, nahmen wir mit heim, die verschwanden dann spurlos – wohin auch immer.
Weitaus größeren Spaß machte jedoch das Angeln in den Zuchtteichen. Davon gab es bei uns in der Umgebung zahlreiche. Eine Handangel, das waren Sehne, Schwimmer, Blei und Haken auf ein Stück Plastik gewickelt – das Ding aus dem Sportgeschäft –, war sogar geeignet für mittelgroße Fische. Nun noch eine Gerte besorgt, saftige Regenwürmer ausgegraben, ab ging es zum Teich.
Hier holten wir auch richtige, mehrere Kilos schwere Fische raus, schöne Karpfen oder Schleien, damit konnte die Mutti schon eher was in der Küche anfangen. Die Tümpel waren so gut gefüllt, da bissen die Ersten bereits an, als der Wurm noch gar nicht richtig ins Wasser eingetaucht war. Also, immer ein voller Erfolg, ein Einkaufsbeutel voller Fische.
Das Fischen im Zuchtteich hatte allerdings einen kleinen Nebeneffekt, ein winziges Kribbeln war immer dabei. Denn: Es war verboten! So stand es zumindest auf den Schildern rund um die Gewässer … Man brauchte also gute Augen, ein gutes Gehör und flinke Beine, wenn der Fischzüchter unverhofft nahte. Aber das alles hatten wir!
Während eines Sommerurlaubs an der Ostsee durfte ich irgendwann mit einem erfahrenen Angler am frühen Morgen zum Bodden fahren. Zuvor hatte ich meine Eltern so lange genervt, bis sie mir eine kleine, aber richtige Angel mit allem Drum und Dran kauften.
Fünf Uhr früh ging’s los. Am Wasser angelangt und nach kurzer Zeit der Vorbereitung zuckte bereits der Schwimmer. Ich zog die Rute raus und ein fetter langer Aal hing am Haken. Ich war beeindruckt, mein Begleiter auch. Etwas später, wieder ein Aal, nicht mehr ganz so groß, vielleicht so sechzig Zentimeter. Aber auch nicht schlecht. Zum Abschluss verfing sich noch ein weiterer kleiner Aal an meiner Angel, den ließen wir jedoch wieder zurück ins Wasser.
Mein Begleiter war baff, denn er fing an diesem Tag nur eine kümmerliche Plötze oder so was. Für ein Mittagessen reichte es jedoch, sogar für unsere beiden Familien.
Irgendwann, später in der Schule, trat ich dem Deutschen Anglerverband bei. Mit Prüfung und Beitragszahlung. Ab dann war ich jedoch paradoxerweise nur noch selten auf Fischfang. Vielleicht fehlte der Nervenkitzel?
Gegenüber von unserem Garten, ein Grundstück weiter und nur durch eine Straße getrennt, befand sich ein riesiger Textilbetrieb, so wie es seinerzeit viele in der Oberlausitz gab. Eine Spinnerei. In regelmäßigem Zeitabstand wurden dort mannshohe Holzkisten in großer Anzahl angeliefert und direkt entlang zur Fabrik parallel zur Straße in mehreren Reihen abgestellt.
Darin waren sie, unsere Tuten. Wir holten sie uns, die Tuten. Mit Tuten konnte man eine Menge basteln, Tuten waren bunt, hart und hielten einiges aus. Wir holten sie uns aus den frisch angelieferten Kisten, denn die darin waren sauber und neu.
Tuten, das waren die harten Papphülsen, zirka zwanzig bis dreißig Zentimeter lang, mit einem konisch verlaufenden Durchmesser von in etwa zwei bis vier Zentimetern, die in dem Spinnereibetrieb als Kerne zum Aufwickeln des gesponnenen Garns benötigt wurden. Für die, die sich das mit dem Spinnen nicht vorstellen können: siehe Rumpelstilzchen.
Wollten wir ganz neue, saubere Tuten haben, mussten wir schneller sein als der Gabelstaplerfahrer, der die Lieferung ins Werksgelände bringen sollte. Bei den frisch angelieferten, noch komplett geschlossenen Kisten halfen wir etwas nach, da die bis ganz oben hin zugenagelt waren. Wir kletterten hoch und mit Hilfe eines Nageleisens (ein kleineres Brecheisen, geliehen aus Opas Schuppen) öffneten wir sie und holten uns die bunten Hülsen raus. Sie mussten aus Übersee kommen, denn innen waren die Kisten mit Ölpapier ausgeschlagen.
Man konnte unser Treiben auch vom Pförtnerhaus gut einsehen, dass wir und gelegentlich auch andere Kinder dort regelmäßig werkelten, aber interessiert hat das niemanden. Einer der Pförtner war auch unser Nachbar, ein ruhiger und netter Mensch.
Mit den Tuten, die man wunderbar ineinanderstecken konnte, bauten wir uns Schwerter, Lanzen, (Zelt-)Stangen, Wanderstöcke und alles Mögliche an temporärem Spielzeug, bis es früher oder später im Küchenherd der Oma verfeuert wurde. Es gab ja regelmäßig Nachschub.
Die Spinnerei lief im Dreischichtbetrieb, außer tagsüber am Sonntag, sonst fast rund um die Uhr. Fünfundneunzig Prozent dürfte die Frauenquote betragen haben, wie üblicherweise in der Textilindustrie. Einige Jahre lang wurden sogar Kubanerinnen beschäftigt, an deren Aussehen ich mich wieder erinnerte, als ich Jahrzehnte später in Kuba eine Zigarrenfabrik besuchte, wo kräftig gebaute Frauen die Zigarren auf ihren braunen, dicken, verschwitzten Schenkeln drehten.
(Was natürlich völliger Quatsch ist: Sie hatten hölzerne Vorrichtungen auf dem Tisch stehen, in denen die Deckblätter fein säuberlich um den geschnittenen Tabak gerollt wurden – hygienisch also einwandfrei …)
„Unsere“ Kubanerinnen hatten aufgrund der Körperfülle natürlich auch ein entsprechend ausgeprägtes Organ. Besonders vor oder nach der Nachtschicht, wenn dann zwei oder drei die Straße an unserem Haus vorbeiliefen, dachte man, ein ganzer Bus voll sei angekommen.
Mit der karibischen Mentalität in der eher verschlafenen, konservativen Oberlausitz musste man sich also zwangsläufig noch anfreunden, was bei einigen Älteren nicht immer so problemlos ging. Und diese Frauen waren ja wirklich noch harmlos.
Die Härte waren die Praktikanten aus Mosambik, die den Kubanerinnen, ein paar Jahre nach den Angolanern, folgten. Alle nannten sie nur Mosis, mal ganz ohne ausländerfeindliche Hintergedanken. Alles junge Männer, die natürlich gern auch mal nachts Party machen wollten oder richtig Action: Laute, wohl afrikanische Musik schallte aus dem Kassettenrekorder, der am offenen Fenster stand, denn sie wohnten zweckmäßigerweise gleich direkt im Fabrikgelände in den oberen Etagen über der Spinnerei. Und die stand unserem Haus nun mal sozusagen direkt gegenüber, besser gesagt schräg gegenüber dem Schlafzimmer meiner Eltern: Dort, wo mein in höchstem Maße hellhöriger Vater schlafen wollte und das nach Möglichkeit bei offenem Fenster.
Denn, wie war es denn früher zu Ostzeiten? Die Kinder gingen brav nach dem Sandmann, die restliche Familie spätestens zweiundzwanzig Uhr ins Bett. Damit war also schon der Ärger vorprogrammiert, wenn kurz vor Mitternacht im Anschluss an die Spätschicht deren Party begann. Und jemand, der den ganzen Tag an laut klappernden Maschinen stand, hört noch schlechter. Also wurde die von vornherein schon etwas höhere Kommunikationslautstärke adäquat weiter erhöht. Tja.
Manchmal reichte ein ernstes Wort oder ein Anruf beim Pförtner. Half alles nichts, wurde die „Volks“-Polizei gerufen, die dann tatsächlich auch hinzukam und für nächtliche Ruhe sorgte.
Im Großen und Ganzen lebten wir in Harmonie miteinander. Na ja, auf den Volksfesten gab es schon mitunter ein paar Prügeleien. (Grund waren die einheimischen Frauen: Um die, um die es dabei ging, hätte ich mich allerdings wirklich nie geprügelt. Die Jungs aus Afrika hatten eigentlich nur ein präferiertes Ziel im Auge: blond. Der Rest an der Frau war ihnen höchstwahrscheinlich egal. Daher hätte man ja eigentlich froh sein können …) Aber na ja, ab und zu prügeln mussten sich auch die alteingesessenen Parteien unter sich gerne mal.
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