Natürlich gab es gleichwohl dümmliche Sprüche gegen Dunkelhäutige, vor allem in den dörflichen Gegenden. Das kann man nicht wegreden. Dumme gibt es und gab es halt schon immer und überall. Es waren meiner Einschätzung und meiner Erinnerung nach jedoch eher Ausnahmen.
Es gab ja auch einen Typen aus meiner Parallelklasse, Spitzname Spinne, der stand am helllichten Tag auf dem Markt, den rechten Arm gen Himmel gestreckt und rief: „Heil Hitler.“ Nun, er war geistig nicht ganz obenauf, das ahnte oder wusste man, ich glaube, wenn er gerufen hätte: „Honecker ist ein Wichser!“, hätte man ihn mitgenommen. So wurde er als Depp einfach ignoriert.
Die Frauen im Spinnereibetrieb trugen im Sommer fast alle nur Kittelschürzen aus „DeDeRon“, weil es in der Fabrik höllisch heiß war. Man hörte, das hat so manchen der wenigen Männer in der Produktion so richtig wild gemacht. Es wurde wohl hemmungslos in der Nachtschicht „geknattert“. So weit die Sage.
Hat uns natürlich brennend interessiert, so was, hmm. Denn irgendwann muss man ja mal damit anfangen dahinterzukommen, was denn daran so fesselnd sein könnte.
Als pfiffige Jungs wollten wir das also detailliert wissen. Von Interesse waren dabei die Mädchen, die schon was „dran hatten“. Um es vorwegzunehmen, diese spektakuläre Aktion sollte sich bei mir tief und lange einprägen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Cousine meines Freundes, ein paar Jahre älter als wir, hatte also Besuch. Wohl eine weitere, noch etwas ältere Cousine aus seiner großen Verwandtschaft. Das war für uns beide reizvoll, da wir im Haus dort eh ein- und ausgingen. Denn es gab dort auch eine riesige Scheune, immer kleine Katzen und einen weißen Spitz, den wir öfters zum Gassigehen holten. Und wie erwähnt, an diesem speziellen Tag: reifere Mädchen.
Wir fackelten nicht lange, wir wollten die Mädels nackt! Und holten uns, was wir wollten. Wohlgemerkt, wir waren etwa sechs Jahre alt, unser Interesse war aber bereits immens ausgeprägt – so wie bei den Erwachsenen?
Als wir (nicht nackt) sie über kurz oder lang dann so weit hatten und sie (nackt) kichernd über die Betten jagten, hörten wir bereits die „Schritte des Grauens“ über die knarrende Holztreppe emporeilen. Das Unheil bahnte sich seinen Weg nach oben. Leider hatte das Haus auch keine weitere Fluchtmöglichkeit außer dieser einen Treppe.
Und dann stand es plötzlich vor uns, das Unheil: in der Gestalt der Mutter meines Freundes. Klatsch klatsch!
Nach diesen ersten spontanen, mehr oder weniger schmerzenden Ohrfeigen verließen wir die Stätte der Lust und verzogen uns geschwind in unser nahes Wäldchen. Dort überlegten wir, was wohl noch so alles als Strafe kommen könnte. Denn wir wussten, das war es noch nicht gewesen.
Da wir beide direkt gegenüberwohnten, war es nur eine Frage der Zeit, wann meine Erziehungsberechtigte davon erfuhr. Ich ahnte also, was folgen würde.
Irgendwann zu später Stunde mussten wir heim, mit einem riesigen Umweg näherten wir uns unseren Häusern. Dann, kaum hatte ich die Haustür geöffnet, sollte sich schon die zweite meiner Strafen einstellen: zerbrochener Kochlöffel auf dem Hintern. Es hat sich sozusagen was „eingeprägt“. So schnell konnte ich gar nicht gucken. Patsch, patsch, patsch … und meine Mutter hatte einen Holzlöffel weniger. Verschlissen. Glücklicherweise hatte ich an diesem Tag meine robuste Lederhose an, so eine wie die Bayern. Gab es auch zu unserer Zeit und war für uns Kinder äußerst praktisch, da extrem widerstandsfähig. Und in diesem speziellen Fall noch mit dämpfendem Charakter.
Obendrein nach diesem Strafpaket erhielt ich als Zugabe noch ein paar Tage Stubenarrest. Meinen Freund traf es übrigens ähnlich.
Ja, Stubenarrest war früher eine harte Strafe! Heutzutage würde man den Computerkindern damit wohl eher einen Gefallen tun. Es war furchtbar. Fernsehen? Vergiss es! Was wollte man auch gucken: DDR1 oder später einmal die Wahlmöglichkeit DDR2? Ein kurzes Kinderprogramm (außer dem täglichen Sandmann) gab es nur Samstag und Sonntag am Nachmittag. Ja, Samstag gab es nach dem Sandmann noch einen Trickfilm bis zur Aktuellen Kamera, der inhaltslosen Schwafelsendung in puncto Nachrichten. Und alleine spielen: wie langweilig. Gut, wenn mein Opa im Winter die Modelleisenbahn aufgebaut hatte. Aber wir hatten Sommer! Für mich war diese Strafe immer die strengste.
Schaden macht klug? Vorübergehend sollte das wohl reichen. Bis zum nächsten sexuell angehauchten Abenteuer musste es also etwas länger dauern.
DER STAAT – SEINE ORGANE UND ICH – TEIL 2
Da kam er. Auf seiner hellgrauen Dienstschwalbe brauste er den Berg herunter. Der neue ABV Rüdiger. Zornig blickte er aus seinem fetten in mein blasses Gesicht und tippte mit seinem Zeigefinger mehrmals in Richtung Asphalt, sodass ich mir fast in die Hosen gemacht hätte.
Was war geschehen? Hatte ich es doch tatsächlich gewagt, auf dem Weg zu meinem besten Freund, der inzwischen in die Parallelstraße gezogen war, mit dem Fahrrad durch unser sogenanntes Gässl zu fahren. Das Gässl war für Fußgänger gedacht, ein s-förmig verlaufender Weg, ein Gässchen zwischen unseren beiden Straßen. Eben nur für Fußgänger, denn auf jeder Seite stand ein Schild: Gesperrt für Fahrzeuge aller Art. Und mein Kinderfahrrad fiel wohl auch darunter.
Ich stoppte furchtsam und musste mir von diesem Arsch seine Schimpfkanonaden anhören. Wie sehr hasste ich diesen Menschen!
Später, etwa mit dreizehn, vierzehn Jahren, wurde ich doch tatsächlich Verkehrshelfer. Bei ihm! Mit weißer Schülerlotsenmütze, schwarz-weiß geringeltem Verkehrsstab, weißen Armstutzen – eben wie so ein kleiner, bescheuerter „Volks“-Polizist – albern, richtig albern. Und auch irgendwie paradox.
Gut, meine Aufgabe bezog sich auf das gelegentliche, sichere Geleit von Kindern aus dem Kindergarten oder der Schule über die ja so stark befahrenen Straßen unserer Kleinstadt und ähnlich anspruchsvolle Nebentätigkeiten. Man stand da also mehr oder weniger sinnlos rum und wartete geduldig, bis ein Auto kam, um es dann anzuhalten und die Kleinen vor dem Wartenden über die Straße zu jagen. Dadurch machte man sich nicht gerade beliebt bei den Autofahrern.
Es war alles innerhalb der schulisch geförderten AG (Arbeitsgemeinschaft) „Junge Verkehrshelfer“ organisiert. Unter der Leitung des ABV …
Allerdings war ich da nicht ganz ohne Hintergedanken Mitglied geworden, denn dort konnte man – ohne Anmeldung – sofort mit fünfzehn Lenzen den Moped-Führerschein machen, nahezu kostenlos.
Irgendwann war das mit dem Rumgammeln vorbei, nämlich dann, als ich mit sechs Jahren das erste Mal zur Schule musste.
Die erste Klasse startete an der POS, einer polytechnischen Oberschule, in unserem Heimatort.
Das Schulgebäude war ein imposanter Bau. Für zehn Klassenstufen, zum Teil pro Schuljahr mit bis zu drei Klassen ausgelegt, a bis c, je nach Geburtenrate. Im Nachhinein betrachtet zum damaligen Zeitpunkt sehr gut ausgestattet. Separate Bereiche für Chemie, Physik, Astrologie, Geologie, Werken und mit eigenem Garten zum Gemüseanbau.
Mein Favorit: Das Biologiezimmer mit Nebenräumen, darin und in den Glasschränken auf dem Flur davor sah es aus wie in Frankensteins Laboratorium: Alles Mögliche an Getier in Alkohol oder Chloroform eingelegt, in riesigen Gläsern. Selbst ein menschlicher Fötus war dabei. Oder Bandwürmer … Im Unterricht griff der Lehrer auch schon mal in ein Becken mit halben Fischen, sezierte daran weiter rum. Für uns Jungs war Bio schon was. Die Mädchen hatten sich da etwas ekliger.
Ich war auch ein guter Schüler mit recht guten Noten, selbst im Betragen. Letzteres hatte vor allem folgenden Beweggrund: Ich konnte auf die Strafen zu Hause gerne verzichten. Denn, selbst wenn auch nur das Geringste in der Schule vorfiel, an dem ich – auch nur zu einem Hauch – beteiligt war, konnte ich mich bereits auf dem Heimweg auf die mir bevorstehende Strafpredigt oder richtige Bestrafung vorbereiten. Meine Mutter war ja Lehrerin an der gleichen Einrichtung. Und die Kollegen und Kolleginnen tauschten sich sehr gerne und ausführlich aus.
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