Manche Yogīs jochten sich auch mit Göttern zusammen, drangen in diese ein, und versuchten sie, mit mehr oder weniger großem Erfolg, zu beherrschen. All diese Themen werden von White genau behandelt. Die andere Sorte Yogī der Upaniṣadenzeit ist ein Möchtegernzauberer, der mit Tricks, Betrug, Bettelei, kleinen Zaubereien und Erpressung sein Leben fristet. Manche von ihnen dienten auch als reisende Spione. Wir erleben also mit der Entstehung der Upaniṣaden eine Welle neuer, nach innen gerichteter Spiritualität, die allerdings nur von Sehern, Einsiedlern, Entsagern und Asketen ausgeübt wird. Noch hatten die Yogīs nichts damit zu tun.
Mit der Entwicklung der Upaniṣaden taucht eine dramatische Neubewertung der Existenz auf. Diese erscheint in zwei radikal neuen Ideen: Wiedergeburtund Karman.
Wie die Wiedergeburt entdeckt (oder erfunden) wurde, bleibt ungeklärtes Rätsel. Wiedergeburt ist möglich, da jedes Lebewesen eine inkarnierte Form von Brahman darstellt und daher unsterblich ist. Körper kommen und gehen, aber das eine Bewusstsein besteht durch alle Zeitalter. Bisher wurde die Idee von Indologen einfach als ein innovativer neuer Durchbruch betrachtet. Es gibt allerdings eine Reihe von neueren Studien, in denen Bronkhorst die Ansicht vertritt, diese Ideen könnten in der östlichen Gangesebene entwickelt worden sein, in einer Gegend, die er als Größeres Magadha bezeichnet. Entweder sie wurden schon recht früh erfunden, oder sie waren dort schon in der Vorzeit vertreten. Diese Ideen vermischten sich mit der späten vedischen Religion, und aus der Verbindung könnte die Denkweise der Upaniṣaden hervorgegangen sein. Im Raum um Magadha stoßen wir schon in den frühesten Überlieferungen auf Konzepte wie Karman und Wiedergeburt. Und damit betrat der offizielle indische Glauben echtes Neuland. In vedischen Zeiten gab es ein paar schlecht definierte Anderswelten, einige Paradiese der Götter und einige vage Höllen, in die manche Menschen nach dem Tod kommen konnten. Diese waren zunächst nicht besonders genau beschreiben, aber die Brāhmaṇas entwickelten das Thema weiter. An irgendeinem Punkt begann sich dies zu ändern.
Für manche Autoren blieben die Anderswelten bestehen, aber sie wurden lediglich zu Übergangspunkten. Zum Beispiel erklärt die Kauṣītakī Brāhmaṇa Upaniṣad 1, 2, dass die Seelen nach dem Tod zum Mond gehen. Jene, die den Mond als Himmelstür verstehen und wissen, ‘wie man darauf antwortet’, können zu den höheren Reichen aufsteigen. Diejenigen, die es nicht können, kehren als Regen zur Erde zurück und werden als Tiere oder Menschen wiedergeboren. Damit sind wir am Anfang eines von mehreren Wiedergeburtsmodellen. Die Upaniṣaden entwickelten das Thema immer weiter; sie hatten noch nicht den Konsens erreicht, der im frühen Hinduismus auftauchte. Wie die Idee der Wiedergeburt auch immer aufkam, sie war sicher nützlich. Einerseits nahm sie den Gläubigen viel von der Angst vor dem Tod. Andererseits stabilisierte sie die gesellschaftliche Ordnung.
In einer Gesellschaft, die immer starrer wurde, muss sich so mancher gefragt haben, was für einen Sinn das alles haben sollte. Eine feste Unterteilung in Klassen ist nun mal eine Sache, die viele ganz schön unfair trifft. Vielleicht ist die Idee, dass die Dinge im nächsten Leben besser werden, ein kleiner Trost für diejenigen, die unten am Boden sind. Dasselbe kann man über die Idee sagen, dass Dein gegenwärtiges Elend kein Schicksal, sondern Deine eigene Schuld ist. In diesem Sinne wurde die Reinkarnation zu einem bequemen Beruhigungsmittel für diejenigen, die mit dem Klassensystem unglücklich waren. Gleichzeitig fühlten sich die Reichen und Mächtigen dadurch geschmeichelt, denn schließlich hatten sie sich ihren Wohlstand ja in anderen Leben durch gute Taten verdient. Der Wiedergeburtsglauben lieferte eine Philosophie, die die Leute mehr oder weniger dort hielt, wo sie sein sollten. Diese Denkweise verringert die soziale Unruhe und wird von der Regierung allgemein gefördert.
Die älteren Upaniṣaden führten die Idee ein, dass alle Taten Auswirkungen haben. Dasselbe gilt für das Nichttun: Was immer Du tust oder zu tun vermeidest, beeinflusst die Welt. Wenn Wesen durch das Leben gehen, erzeugen sie Karman. Karman bedeutet Handeln, Tun, Wirken und die Ergebnisse von Taten. Diese einfache Beobachtung hatte einen radikalen Charakter. In der frühen vedischen Epoche hielt man das menschliche Schicksal für abhängig von angemessenen Ritualen, Opferungen, Zaubersprüchen und dem guten Verhältnis zu Göttern und Priestern. Die Menschen konnten etwas tun, um ein böses Schicksal abzuwenden, sie konnten von Unglück und Sünden der Vergangenheit durch die richtigen Rituale erlöst werden. Selbst ein grausiges Schicksal nach dem Tod, den drohenden zweiten Tod (Punarmṛtyu), konnte durch die richtigen Opferungen abgewendet werden. Karman setzte all dem ein Ende. Die erste Erkenntnis der karmischen Philosophie besagt, dass die Menschen für sich selbst verantwortlich sind. Was nach dem Tod geschieht, hängt vom richtigen Verhalten im Leben ab. Karman wurde jetzt als subtiler Einfluss betrachtet, der sich der individuellen Seele (Ātman) im Laufe des Lebens anfügt und die nächste Geburt beeinflusst. So kann einen Karman Leben um Leben verfolgen. Wenn Du jetzt ein gutes Leben genießt, dann kommt das von dem Karman, das Du in den letzten Leben entwickelt hast, abhängig von deinem Verhalten in diesen. Karman war nicht nur eine abstrakte Qualität, ein Kausalitätsgesetz, sondern es wurde manchmal auch zu einem moralischen Prinzip. Hier waren sich die Seher alles andere als einig. Manche hielten Ethik für ein bedeutendes Prinzip, und andere wollten sie so weit wie möglich ignorieren. Schauen wir uns beide Möglichkeiten an: gute und böse Taten (was auch immer das sein soll) erzeugen gleichermaßen Karman, und Karman, egal ob gut oder schlecht, impliziert Bindung an die Welt der Dinge und Illusionen. Die war natürlich ein Hindernis, wenn man sich gerne ins Brahman auflösen wollte. Nach Ansicht mancher Seher galt es also, sowohl gute wie böse Taten zu vermeiden. Das ist nicht ganz das, was moderne Hindus, ganz zu schweigen von New-Age-Anhängern oder Theosophen, unter Karman verstehen. Im Denken vieler Leute ist Karman so etwas wie ein Bankkonto. Gute Taten erhöhen den Betrag auf dem Konto, schlechte Taten verringern ihn, und wenn man genügend Bonuspunkte gesammelt hat, kann man heilig werden oder sich komplett aus der Existenz ausklinken. Der Schwachpunkt in dieser gesellschaftlichen Philosophie ist die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Taten. Gut und schlecht sind Bewertungskategorien, die vom individuellen Standpunkt abhängen und für sich keine eigene Existenz haben. Gute Taten müssen nicht unbedingt zu guten Ergebnissen führen, schlechte Taten und Sünden müssen nicht unbedingt für jeden schädlich sein. Tatsächlich ist Gutes oft die Wurzel von Schlechtem und umgekehrt: es kommt immer drauf an, für wen. Und allein, dass Deine Absichten gut sind, bedeutet nicht, dass Deine Taten Gutes bewirken. Die MuUp 1, 2, 7-11 verspottet solche Aktivitäten wie richtiges Sozialverhalten, gute Taten, Kultivierung von Wissen, Durchführung von Ritualen, Opferungen und die Erlangung von Verdiensten als nutzlos. Stattdessen erklärt sie das Leben des waldbewohnenden Bettelmönchs zum Weg der Befreiung.
In der Philosophie der Upaniṣaden wurde die Idee des Karman erst entwickelt, und unsere Quellen stimmen nicht miteinander überein. Manche sahen das Karman als ein abstraktes Prinzip (das Gesetz der Kausalität, wenn man so will), während andere es primär zu einem moralischen Prinzip machten. Wir begegnen sogar der Ansicht, dass das Karman eines Vaters auf den Sohn vererbt wird ( Kauṣītaki Brāhmaṇa Upaniṣad 2, 15), aber diese wurde nie wirklich populär. Von Bedeutung für die Epoche der Upaniṣaden ist die Idee, dass alles Karman, egal ob gut oder schlecht, zu einer Bindung an die Welt führt. Eine Befreiung von dieser Bindung war für diejenigen möglich, die es schafften, ihr menschliches Selbst (Ātman) mit dem All-Selbst, Brahman, zu verschmelzen. Diese Ansicht verwandelte die ganze religiöse Landschaft.
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