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© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-090-9
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Jan J. Moreno
Stolz nennen sie das Eiland „Elizabeth Castle“ – aber sein strategischer Wert ist gleich Null
August 1599 .
Das englische Kriegsschiff „Respectable“ war im Sturm auf ein Riff gelaufen. Die Wassereinbrüche weiteten sich aus. Inzwischen wurde rundum die Uhr gelenzt. Das Schiff hing zwar an einem Korallenblock fest, aber das Heck drohte weiter abzusacken .
In dieser Situation wurden die Boote dringend gebraucht .
Dennoch ließ der Erste Offizier zwei Jollen für einen langen Törn ausrüsten und sogar Drehbassen auf den vorderen Duchten montieren .
Er führte seinen eigenen Krieg .
Gegen Philip Hasard Killigrew, den Seewolf …
Die Hauptpersonen des Romans:
Lord Hyram Scaleby– der Erste Offizier der „Respectable“ bildet sich ein, mit zwei Jollen eine Schebecke entern zu können.
John Macleod– der Dritte Offizier schlachtet „Waldmenschen“ ab und ist auch noch stolz darauf.
Sir Godfrey Ballantine– der Zweite Offizier nimmt von einer Insel der Lakkadiven Besitz und nennt sie „Elisabeth-Castle“.
Philip Hasard Killigrew– verpaßt „Seiner Durchlaucht“ Lord Hyram einen Denkzettel, der es in sich hat.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitän Thomas Carnavon, ein hagerer Mann mit hellen Augen, spitzer Nase und dürrem Mund, vertrat seinem Ersten Offizier den Weg hinunter zur Kuhl. Herausfordernd hakte er die Daumen hinter den Waffengurt. Trotzdem wirkte er deprimiert.
„Was wollen Sie beweisen, Lord Hyram? Daß Sie ein Held sind? Oder daß Sie wider Erwarten die See nicht fürchten?“
Hyram Scaleby, zur Fülle neigend, verweichlicht und vor allem eingebildet zog indigniert die Brauen hoch.
„Ich habe gestern erklärt, was ich zu tun gedenke, und auch schon vorgestern“, sagte er mit seiner Piepsstimme. „Soll ich mich stündlich wiederholen?“
„Das Schiff wird auseinanderbrechen“, erklärte der Kommandant.
„Das glaube ich nicht.“
„Wir werden die Mannschaft, die Tiere und den Proviant auf die Insel übersetzen müssen.“
„Und natürlich die Geschütze, Sir Thomas.“ Scaleby wirkte provozierend. Er fühlte sich der Rückendeckung der anderen Offiziere sicher.
„Gerade dann brauchen wir alle drei Jollen“, widersprach Thomas Carnavon.
Der Erste lachte heiser. „Die Insel liegt eine lächerliche viertel Meile entfernt. Wissen Sie sich nicht anders zu behelfen?“
Seine Hände schossen vor und umklammerten Carnavons Oberarme. Er schob den Kommandanten einfach zur Seite.
Carnavon verfärbte sich, wurde erst bleich und dann rot im Gesicht. „Sie vergessen sich!“ rief er mit zitternder Stimme. „Dafür könnte ich Sie einsperren lassen.“
Scaleby enterte zur Kuhl ab. Innerlich schäumte er vor Wut, denn Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte die Offiziere der „Respectable“ gedemütigt, ausgelacht und betrogen, bevor er davongesegelt war. Daß die Wirklichkeit ein wenig anders aussah, verdrängte der Erste Offizier.
Inzwischen segelte Killigrews Schebecke auf Südkurs. Sie einzuholen, war unmöglich. Scaleby wollte ihr dennoch folgen – entweder mit den Jollen oder mit einem Schiff, das er unterwegs zu kapern gedachte. Vielleicht kreuzte vor der Malabarküste eine indische Pattamar seinen Kurs. Er hatte gehört, daß diese Schiffe ausgezeichnete Segeleigenschaften haben sollten.
„Lord Hyram!“ rief der Kommandant hinter ihm her. „Ich verbiete Ihnen, die Jollen für Ihre Zwecke zu mißbrauchen. Lassen Sie die Drehbassen wieder abmontieren.“
„Nein“, sagte der Erste Offizier, ohne sich umzuwenden. „Haben Sie vergessen, daß Killigrew elf Tonnen Gold und Silber mitführt? Nur sie könnten den Verlust der ‚Respectable‘ aufwiegen.“
„Ich bin für die Sicherheit der Mannschaft verantwortlich, Lord Hyram.“
Der Erste zuckte mit den Schultern. Er dachte gar nicht daran, sich zurückhalten zu lassen.
„Sergeant Beeler“, befahl der Kommandant auf dem Achterdeck, „nehmen Sie den Mann fest!“
Der Angesprochene zeigte flüchtiges Erstaunen. „Den Lord?“ fragte er.
„Habe ich mich mißverständlich ausgedrückt, Sergeant?“
„Nein, Sir.“
„Dann tun Sie Ihre Pflicht!“
„Ich bedauere, Sir, aber ich kann Lord Hyram nicht daran hindern, sein Vorhaben zu Ende zu führen.“
„Sie widersetzen sich dem Befehl Ihres Kommandanten, Sergeant.“ Carnavon sprach plötzlich gefährlich leise. „Das ist Meuterei. Ich werde …“
„Sie werden die Angelegenheit überschlafen, Sir.“ Der Zweite Offizier, Sir Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, betrat soeben das Achterdeck. Ihm folgte John Macleod of Dunvegan Castle auf dem Fuß.
„Was ist das?“ fragte Carnavon ungläubig. „Eine Verschwörung?“
„Sie verkennen die Prioritäten, Sir“, sagte Ballantine ruhig. Er war ein eitler, in teures Tuch gekleideter Stutzer, der eine weißgraue Perücke trug und mit näselnder Stimme sprach. „Wir wollen keine Veränderung in der Schiffsführung, sondern schlicht und einfach den Seewolf zur Rechenschaft ziehen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich unsere Meinungen wohl wenig voneinander.“
„Dennoch lasse ich mich vorher davon unterrichten, was meine Offiziere planen. Oder ist das zuviel verlangt?“
„Das Ergebnis wäre kaum anders. Wir wissen, Sir, daß Sie unsere Argumente würdigen.“
Der Kommandant nickte schwach. Es war sinnlos, sich vor der Mannschaft auf einen Disput mit den Offizieren einzulassen. Damit schadete er nur dem eigenen Ansehen.
Auf dem Absatz drehte er um und verließ das Achterdeck über den Niedergang zu seiner Kammer. Wieder einmal hatte er ein Stück seiner selbst verloren. Er mußte hilflos mit ansehen, wie ihm die Befehlsgewalt über die „Respectable“ wie Sand durch die Finger rann, und er konnte nichts dagegen tun. Die Lords spielten mit ihm, weil er nicht in der Lage war, sich gegen sie durchzusetzen.
Sir Thomas blieb den Oberdecks auch dann noch fern, als knapp eine Stunde später die beiden voll ausgerüsteten Jollen abgefiert wurden.
Achtzehn Seesoldaten standen bereit, in die Boote abzuentern. In ihren roten Waffenröcken mit den über der Brust gekreuzten weißen Schulterriemen, den Kniehosen und schwarzen Schaftstiefeln, die Musketen vor sich aufgepflanzt, boten sie einen imposanten Eindruck.
Lord Hyram Scaleby stand vor dem Großmast und musterte jeden einzelnen mit durchdringendem Blick.
„Wir werden den Piraten stellen“, sagte er scharf. „Und dann kämpft, als hättet ihr den Teufel vor euch. Ihr tut es für England und für euren Ruhm. Sergeant Beeler: Befehlen Sie die Männer in die Boote!“
„Aye, aye, Sir.“
Beide Jollen waren nicht voll bemannt. Zugunsten ausreichender Munitionsvorräte für Drehbassen und Musketen verzichtete Scaleby auf eine vollzählige Crew.
In der größeren Jolle, unter dem Kommando des Lords, drängten sich elf Seesoldaten und sechs Mannschaftsmitglieder auf den Duchten. Die kleinere war mit sieben Soldaten und vier Seeleuten besetzt. Der Sergeant übernahm selbst die Aufgabe des Bootssteurers.
Die Jollen lagen tief im Wasser. Aber unter Segeln und mit zusätzlicher Riemenkraft würden sie dennoch gute Fahrt laufen.
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