Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-533-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
In der Ankerbucht des spanischen Schiffsverbandes schien das Inferno ausgebrochen zu sein. Das Donnern der schweren Bordkanonen wälzte sich durch die Nacht und mischte sich mit dem Schreien der Sterbenden und Verwundeten, rollte gegen die sandigen Ufer der Bucht und schob sich breit und drohend durch das Dickicht des Urwaldes bis zu dem Pah, dem Dorf der Maoris, das geschützt hinter einem hohen, geschnitzten Holzzaun lag. Es war ein Höllengewitter, das nicht mehr enden wollte. Sein zuckendes Feuer durchbrach grellgelb und rot die Dunkelheit.
Don Victor de la Barca, der Kapitän der Zweimast-Karavelle „San Biasio“, und Ramon de Mesonero, der Bootsmann des Flaggschiffes „San Rosario“, hatten soeben die Palisade des Pahs verlassen und trieben ihre Gefangenen quer durch den Busch vor sich her.
Sechsundzwanzig Maori-Mädchen waren es, die die beiden Spanier im Frauenhaus des Dorfes überrascht und überwältigt hatten. Zuerst hatten die Mädchen sich zur Wehr setzen wollen, aber dann, als de Mesonero eine von ihnen mit dem Messer bedroht hatte, hatten sie jeden Widerstand aufgegeben und sich fesseln lassen.
Stricke aus geflochtenem Flachs und Kleiderfetzen waren jetzt um ihre Handgelenke geschlungen. Don Victor und de Mesonero hatten ihnen die Arme auf dem Rücken zusammengebunden. Außerdem hatten sie ihren Geiseln Stricke um die Fußknöchel geknotet, so daß diese nur kurze Schritte tun konnten. Schließlich hatten sie die Mädchen auch untereinander gefesselt, und somit war das Werk perfekt: Die jungen Mädchen bildeten eine lange Kolonne, die sich im Gänsemarsch durch den Wald bewegte und sich nicht auflösen konnte.
Don Victor schritt an der Spitze der traurigen Prozession und zerrte die erste Eingeborene an einem kurzen Tau hinter sich her. Die anderen Mädchen mußten ihrer Stammesschwester folgen, ob sie wollten oder nicht, aber die eine oder andere geriet immer wieder ins Straucheln und drohte auf dem Pfad, den der Kapitän und der Bootsmann entdeckt hatten, hinzufallen. Dann griff de Mesonero ein. Er ging ein paar Yards weiter hinten und achtete darauf, daß keine der Gefangenen sich allzu sehr gegen die Entführung sträubte. Hier und da half er durch grobes Zugreifen, durch Fluchen und Drohen oder durch derbe Hiebe auf die nur spärlich bekleideten Hinterteile der Mädchen nach.
Er lachte und rief: „He, Don Victor, Capitan, was haben wir doch für ein Riesenglück! Statt im Kampf gegen dieses Gesindel zu fallen wie der Rest unseres Trupps, sind wir auf ein Nest von Weibern gestoßen! Ich sage noch einmal: Das ist ein Wink des Himmels, und wir haben einen Schutzengel, der uns geholfen hat!“
Don Victor drehte sich zu ihm um und zischte: „Still! Willst du uns die Krieger durch dein Geschrei wieder auf den Hals locken?“
„Sollen sie doch kommen!“
„Ich an deiner Stelle würde das nicht auch noch heraufbeschwören.“
„Sie können uns nichts mehr anhaben, Capitan!“
„Aber sie können uns verfolgen, vergiß das nicht“, raunte Don Victor seinem Begleiter zu. „Sie können uns auf den Fersen bleiben, ohne daß wir sie bemerken. Sie können den richtigen Augenblick abpassen, um noch einmal über uns herzufallen.“
Mit drei langen Schritten schloß der Bootsmann zu dem Kapitän der Karavelle auf. „Die wagen es nicht, uns auch nur ein Haar zu krümmen, wenn wir ihren Frauenzimmern das Messer an die Gurgel halten“, sagte er. „Wir haben sie in der Hand, Capitan, glaube es mir. Fest in der Hand haben wir diese Hundesöhne.“
Don Victor warf ihm einen Blick zu, und der Bootsmann der „San Rosario“ vermochte im schwachen Mondlicht, das durch die Wipfel der Bäume drang, den zornigen Ausdruck in seinen Zügen zu erkennen.
„Eins sollte zwischen uns beiden von Anfang an klar sein“, sagte Don Victor gepreßt. „Nur einer hat das Kommando auf dem Schiff, auf das wir die Frauen als Sklavinnen verfrachten, und dieser Mann führt den Titel eines Kapitäns.“
„Si, Senor“, beeilte sich der schwarzhaarige, knebelbärtige Andalusier zu versichern. „Selbstverständlich unterstelle ich mich deinem Kommando, Capitan.“
„Also führst du auch jetzt meine Befehle aus, verstanden?“
„Si. Ja, gewiß.“
„Dann halte deinen vorlauten Mund“, sagte der Kapitän, während er die Mädchen weiter voranzerrte und sichernd nach allen Seiten Ausschau hielt.
„Ich werde mich bessern“, flüsterte der Bootsmann. „Aber in diesem Kanonendonner versteht man kaum sein eigenes Wort, und auch die Wilden werden nichts von dem hören, was wir plaudern. Senor, wenn wir die Weiber an Bord unseres Schiffes geschafft haben, wirst du mich dann befördern?“
„Ich werde dich zu meinem ersten Offizier ernennen, das verspreche ich dir.“
„Danke“, sagte de Mesonero und setzte wieder sein spöttisches, hinterhältiges Grinsen auf.
Don Victor de la Barca blieb plötzlich stehen, und fast prallte das Maori-Mädchen, das als erste hinter ihm schritt, gegen seinen Rücken. Der ganze Zug verhielt.
„Dios“, sagte Don Victor im anhaltenden Donner der Schiffsgeschütze. „Mein Gott, Ramon, es sind mehr als drei Schiffe, die da schießen. Ich meine, ich kann jetzt deutlich den Kanonenböller eines vierten Seglers hören.“
„Du meinst, diese Kannibalen haben wirklich Schiffe, wie du vermutet hast, und sie haben unseren Verband damit angegriffen?“
De la Barca versuchte, mehr aus den Schlachtgeräuschen herauszuhören, doch das Grollen und Wummern der Kanonen vermengte sich zu einem einzigen Geräusch, das wie der gewaltige Ausbruch eines Vulkanes über die Bucht fegte.
„Was ich glaube, braucht nicht zuzutreffen“, sagte er vorsichtig. „Aber wer immer sich da eingemischt hat, er Scheint unserem Verband schwer zuzusetzen.“
De Mesonero lachte leise. „Das kann uns doch nur recht sein. Wir nutzen die allgemeine Verwirrung aus und …“
„Vorausgesetzt, wir treffen noch rechtzeitig ein.“
„Weil man unsere beiden Galeonen und die Karavelle auf den Grund der Bucht schicken könnte?“
„Weil unser Verband die Flucht ergreifen könnte“, sagte de la Barca. „Der Comandante el Colmado und der Capitan las Albas wissen nicht, wie es uns beiden ergangen ist, aber notfalls lassen sie uns im Stich und gehen ankerauf, um Schlimmeres zu vermeiden.“
„Und um uns wie die anderen zu verheizen“, raunte der Bootsmann. „Sie haben ja nicht mal Verstärkung geschickt, als wir uns mit diesen verdammten Wilden herumgeschlagen haben. Da ist es nur recht und billig, daß wir auf unsere Art abmustern und uns auf eigene Beine stellen, Capitan.“
„Ja“, sagte de la Barca. „Los jetzt.“
Sie hasteten weiter, dirigierten ihre hilflosen Gefangenen durch den Busch und hielten ihre Waffen bereit, um eventuelle Angreifer sofort abwehren zu können.
Der Seewolf stand auf dem Quarterdeck der „Isabella VIII.“ und manövrierte sein Schiff an der größten Galeone des spanischen Verbandes vorbei. Dicht an Backbord hatte er sie liegen, höchstens zwanzig Yards entfernt, und dies wäre für den spanischen Kommandanten der beste Augenblick gewesen, dem so unvermittelt aufgetauchten Feind eine vernichtende Breitseite zu verpassen. Aber so sehr er sich das auch herbeisehnen mochte, die Erfüllung seines innigsten Wunsches scheiterte an der Tatsache, daß die Seeleute und Seesoldaten der Galeone die zwölf Backbordgeschütze auf der Kuhl immer noch nicht vollständig nachgeladen hatten.
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