Ruckartig wandte sich der Kommandant um. „Sir Godfrey, rufen Sie die Geschützmannschaften an Deck!“
Der Zweite Offizier riß die Augen auf. Eine unbedacht heftige Bewegung ließ seine inzwischen arg malträtierte Perücke verrutschen.
„Sir“, erwiderte er verwundert, „was haben Sie vor?“
„Wir nehmen die Insel in Besitz.“
„Das ist nicht erforderlich. Sobald Lord Hyram mit einem brauchbaren Schiff zurückkehrt …“
„Womöglich gar mit der Schebecke?“ Der Kommandant winkte schroff ab. „Ich wünsche nicht, daß meine Befehle diskutiert oder in Zweifel gezogen werden“, sagte er gereizt. „Verhalten Sie sich künftig dementsprechend.“
„Oder?“ fragte Ballantine. Seine näselnde Stimme ließ erkennen, daß er eingeschnappt war. Zugleich schwang eine unmißverständliche Warnung darin mit. Keiner der Offiziere war bereit, sich vom Kommandanten abkanzeln zu lassen. Sie beanspruchten an Bord der „Respectable“ inzwischen das gleiche Recht wie der Schiffsführer. Und sie dachten sich nicht mal sonderlich viel dabei.
Carnavon wandte dem Zweiten Offizier den Rücken zu. Mit schweren Schritten ging er nach vorn an die Querbalustrade.
„Bootsmann!“ rief er über die Kuhl. „Lassen Sie die Geschütze klarieren!“
„Was hat das zu bedeuten, Sir Thomas?“ Schon war Ballantine wieder neben ihm.
Der Kommandant bedachte den Zweiten mit einem geringschätzigen Blick. „Wir erobern das Eiland für Ihre Majestät, Königin Elisabeth von England. Und außerdem …“ Er sprach nicht weiter.
„Außerdem?“ fragte Ballantine.
„… besteht die Chance, daß eine oder mehrere Breitseiten genau das bewirken, was uns bislang nicht möglich war, nämlich das Schiff von den Korallen zu lösen.“
„Ich werde John Macleod und Sir James informieren.“ In der Art, wie der Zweite Offizier das sagte, klang es beinahe wie ein Eingeständnis seiner Hilflosigkeit.
„Tun Sie das“, riet Sir Thomas. Er wandte sich wieder dem Geschehen auf der Kuhl zu, wo bereits die ersten Ladungen gesetzt wurden. „Nur die Steuerbordseite. Nehmt Vollkugeln!“ befahl er.
Hinter ihm hatte es Sir Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, plötzlich eilig, unter Deck zu verschwinden.
Nacheinander wurden die Stücke ausgerannt. Auch auf den unteren Batteriedecks rumpelten die Lafetten.
Carnavon ordnete an, die Insel anzuvisieren.
„Entzündet die Lunten! Breitseite auf meinen Befehl!“
Er ließ sich bewußt viel Zeit, bis er endlich hinter sich Schritte hörte. Die beiden Offiziere in Begleitung von Sir James Taurean, dem Overlord, traten schnell näher.
„Sir!“ rief Sir James. „Sie können nicht im Ernst verlangen, daß wir uns auf ein derartiges Wagnis …“
„Feuer!“
Dröhnend entlud sich die Steuerbordbreitseite in einem Gewitter von Pulverexplosionen. Das Rumpeln der vom Rückstoß in die Brooktaue geworfenen Lafetten folgte. Vorübergehend verstand niemand mehr sein eigenes Wort.
Die „Respectable“ wurde bis in den Kiel hinunter erschüttert. Nur die bei normaler Schwimmwasserlage einsetzende Krängung nach Feuerlee blieb aus. Immerhin saß das Vorschiff auf dem Riff fest. Der mächtige Korallenblock, der zwischen Fockmast und Vorsteven die Seitenbeplankung durchbrochen hatte, schien sich zu bewegen. Weitere Planken splitterten. Vom Vorschiff her war plötzlich ein lauter werdendes Gurgeln und Plätschern zu vernehmen.
„Wir sinken“, keuchte James Taurean entsetzt. Er sah sich im Geiste schon verzweifelt um sein Leben schwimmen, während rings um ihn die Mannschaft von blutgierigen Haien attackiert wurde.
„Das Leck hat sich vergrößert“, sagte Carnavon. „Das ist alles.“
Der Overlord schnappte nach Luft, als könne er nicht begreifen, daß jemand angesichts dieser Katastrophe noch die Ruhe bewahrte.
„Stärkere Ladung setzen!“ befahl der Kommandant.
„Mein Gott!“ Taurean verlegte sich aufs Jammern. „Wollen Sie uns alle umbringen?“
„Sie haben die Wahl, sich an Land zurückzuziehen“, sagte Carnavon. „Das gilt natürlich ebenso für die Offiziere.“
„Nein.“ Ballantine wehrte entschieden ab.
„Ausgeschlossen“, entrüstete sich Macleod.
Nur Sir James, dessen feiste Hängebacken zitterten wie Plumpudding bei Sturm, kleidete seine Bedenken in deutliche Worte: „Ich bin nicht bereit, die Sicherheit meiner Kammer mit einer unbekannten Wildnis zu vertauschen. An Land lauern vielleicht blutrünstige Raubtiere.“
„Nehmen Sie Soldaten mit, Sir James.“ Der Kommandant fand, daß ihm Hyram Scalebys Abwesenheit vieles erleichterte. Ohne den Ersten Offizier brachten die Lords keinen rechten Widerstand zustande. Zumindest nicht so schnell, daß sie ihn jetzt noch aufhalten konnten.
Abermals gab er Feuerbefehl.
Das Schiff schien in einer Orgie aus Feuer, Lärm und ätzendem Pulverdampf auseinanderzufliegen. Mit unwahrscheinlicher Wucht wurden die Lafetten zurückgeworfen.
Ein nicht enden wollendes Bersten, Splittern und Krachen folgte dichtauf. Diesmal legte sich die „Respectable“ nach Backbord über. Aber sie schwang nicht zurück, sondern verharrte in dieser Stellung. Das Leck im Vorschiff war abermals größer geworden.
Die Achtzehnpfünder-Vollkugeln schlugen am Strand ein. Die meisten ließen mannshohe Fontänen feinen Sandes aufsteigen, einige klatschten ins seichte Uferwasser, und ein paar zerfetzten das Unterholz. Kreischend und schimpfend stieg ein Vogelschwarm auf und verschwand inseleinwärts.
„Genug!“ brüllte Ballantine. „Ihr bringt uns um.“ Außer sich vor Zorn, riß er den Degen halb aus der Scheide. Herausfordernd funkelte er den Kommandanten an.
„Vielleicht schwimmt die ‚Respectable‘ bald wieder“, sagte Carnavon besänftigend.
„Einen Dreck tut sie. Das ist Ihre Schuld.“ John Macleods Worte erhielten eine tiefere Bedeutung, als das Schiff plötzlich absackte. Jeder spürte den Ruck. Es war, als wolle sich die Galeone aufbäumen, um ihrem Schicksal zu entgehen. Ein dumpfes, kratzendes Geräusch von außenbords war nicht dazu angetan, Zuversicht zu wecken.
„Wahrschau!“ Ein mehrstimmiger gellender Aufschrei hallte über die Kuhl.
Im selben Moment löste sich knirschend die Großrah. Vermutlich war das Fall schon beschädigt gewesen, und es hatte nur noch der heftigen Erschütterungen bedurft, um eins der beiden über Scheiben in den Mastwangen laufenden Taue nunmehr brechen zu lassen. Die Großrah, immerhin mehr als drei Viertel der Länge des Großmastes messend, neigte sich, das zweite Tau riß mit peitschendem Knall, und dann krachte das Unheil auf die Kuhl nieder.
Das Schanzkleid splitterte, die Rah rutschte, der Krängung des Schiffes folgend, nach Backbord und blieb schließlich, noch ehe sie ins Wasser eintauchte, hängen. Es grenzte beinahe an ein Wunder, daß keiner der wie versteinert dastehenden Decksleute erschlagen worden war.
„Ihr Verdienst ist das nicht, Sir“, sagte Taurean ächzend. „Wenn jemand schützend die Hand über unser Schiff hält, dann nur einer.“ Sein Blick wanderte zum Himmel hoch. In einer dankbaren Geste schloß er die Augen.
Wenig später erschien der Bootsmann auf dem Achterdeck und erstattete Meldung. Er hatte nichts Gutes zu berichten.
Der Korallenblock hielt das Schiff immer noch fest. Nur saß er jetzt, durch die Schräglage bedingt, ein Stück tiefer, und das Leck um ihn herum hatte sich ausgeweitet. In dickem Strahl ergoß sich das Wasser ins Vorschiff. An Backbord stand es bereits mehr als einen Yard hoch.
„Besteht die Gefahr, daß wir abrutschen?“ fragte Ballantine.
„Das Riff fällt zur Seite hin ab“, antwortete der Bootsmann. „Auszuschließen ist das nicht.“
„Sonst noch Schäden?“
„Ein Riß entlang des Hauptspants. Ursache ist vermutlich, daß das Achterschiff frei schwimmt, während der Bug aufliegt und festgeklemmt ist.“
Читать дальше