Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-534-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
An der Ostspitze der Känguruhinsel, nur ein paar Meilen von Australien entfernt, lag in einer versteckten, fast unzugänglichen Bucht ein merkwürdiges Schiff.
In der Form ähnelte es einer schwedischen Kravel, nur der Bug war etwas schlanker, fast dünn gebaut.
Am Heck stand verwaschen, dunkel auf dunklem Grund und kaum leserlich der Name „sin nombre“, was soviel bedeutete wie „Schiff ohne Namen“.
Selbst aus einer Entfernung von nur einer Kabellänge war das Schiff kaum zu erkennen, denn es schien von Dickicht und Mangroven überwuchert zu sein und war scheinbar zu einem festen Bestandteil der Landschaft geworden, in die es sich integriert hatte.
Das stehende Gut, Stagen, Wanten und Pardunen, war kunstvoll mit dürren Lianen, Luftwurzeln der Mangroven, Zweigen und Ästen verflochten.
Ein Wrack also, das der Küstenstrich gefressen und überwuchert hatte, so schien es auf den ersten Blick. Die Kravel sah verkommen, verschmutzt und verwahrlost aus, und niemand hätte geglaubt, sie sei noch seetüchtig.
Das Gegenteil war der Fall, denn das Schiff lag auf der Lauer, und die Mannschaft besserte im Schutz der Bucht die Schäden aus, die vom letzten Gefecht mit einem Spanier stammten, den der Sturm bis weit in den Süden Australiens verschlagen hatte.
Die spanische Dreimastgaleone war entkommen, und die Piraten der „sin nombre“ hatten das Nachsehen gehabt und eine Menge Blessuren davongetragen.
Während die Sonne heiß herabbrannte, schufteten acht halbnackte Männer im Schweiße ihres Angesichts, zogen vier neue Decksplanken ein, besserten den Besan aus und überdeckten die Schäden am Rumpf.
Ein anderer Mann stand am Großmast, als wäre er dort angenagelt. Seine Hände waren um den Mast gebunden, ein Strick hielt seinen Hals am Mast fest, und ein weiteres dünnes Tau war um seine Beine verknotet.
Der Mann konnte sich kaum bewegen, er war bestenfalls in der Lage, seine Blicke nach rechts oder nach links wandern zu lassen.
Niemand kümmerte sich um ihn, und wenn einer dicht an ihm vorbeiging und er leise um Wasser bat, so hörte es keiner.
Seit zwei Tagen stand er da, braungebrannt mit nacktem Oberkörper und nur einer wadenlangen Leinenhose bekleidet.
„Wasser – nur einen Schluck“, bettelte er flüsternd, und in seinen Augen lag ein unsteter, irrender Blick, als er den Mann vor sich anschaute.
Der Mann vor ihm, der ihn gleichgültig ansah, sah fürchterlich aus. Auch er hatte, wie das Schiff, keinen Namen, er wurde nur der Schwarze Pirat genannt – oder Kapitän. Er war sechs Fuß groß, breit und stark und hatte fast pechschwarzes langes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Wegen der Hitze trug er ein zusammengewundenes rotes Tuch um seinen Kopf. Auch sein Oberkörper war nackt. Wenn er sich bewegte, spielten die Muskeln an seinen Oberarmen. Seine dunkelblaue Leinenhose wurde von einem breiten Ledergürtel gehalten, in dem zwei Pistolen steckten. Ein langes breites Messer steckte in einer Lederscheide an seiner rechten Hüfte.
„Du sollst dein Maul halten und nicht wie ein Hund winseln“, sagte der Schwarze Pirat gleichgültig. „Du kriegst kein Wasser, du weißt ja, warum.“
„Es war nicht meine Schuld, Kapitän. Du weißt das genau.“
Der Schwarze Pirat wandte ihm jetzt das Gesicht voll zu, und der Mann am Mast begann krampfhaft zu schlucken, denn er blickte in eine Fratze, die der Teufel persönlich geschaffen hatte. Das war, weiß Gott, kein menschliches Gesicht mehr, dachte er schaudernd, obwohl er es schon lange kannte und auch die Geschichte dazu. Doch dieses Gesicht flößte ihm immer wieder aufs neue Angst ein.
Vor vier Jahren hatte jener Mann, den sie den Schwarzen Piraten nannten, einen Brander gesteuert, auf dem etliche Fässer voller Schießpulver standen. Als er den Brander ins Ziel steuern wollte, traf ihn ein Schuß in die linke Schulter, der ihn so lähmte, daß er nicht mehr rechtzeitig das brennende Schiff verlassen konnte.
Da ging das erste Faß Schießpulver hoch und verwandelte den Brander in eine lichterloh brennende Fakkel. Das hochgehende Schießpulver löste eine Kettenreaktion aus, und auch die anderen Fässer flogen in die Luft.
Eine grelle Stichflamme schoß dem Schwarzen Piraten ins Gesicht und verbrannte die Haut. Seitdem hatte er keine Augenbrauen mehr, keine Wimpern, Lippen, die übergangslos in die Haut übergingen, und eine Nase, die so aussah, als wäre sie nicht mehr fertig geworden.
Seit jener Zeit war sein Gesicht schwarz, narbig und von unzähligen Wunden entstellt. Kein Feldscher, Knochenbrecher oder umherziehender Wunderheiler hatte es geschafft, ihm sein früheres Aussehen auch nur annähernd wiederzugeben.
Mit der Verwandlung seines Gesichtes hatte sich auch sein Charakter zum Schlechten geändert. Er war ein unberechenbarer, grausamer, heimtückischer und haßerfüllter Mann geworden.
„Kapitän!“ bat der an den Mast gefesselte Mann noch einmal.
Der Schwarze Pirat ging an ihm vorbei, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Er drehte sich um und sah zu dem riesigen Eukalyptusbaum hinüber, der hinter der Bucht stand. Der Baum war annähernd achtzig Yards hoch. Fast in seiner Spitze hockte ein weiterer Pirat als Ausguck, der von der Insel aus einen Blick weit über das Meer hatte.
Kein Schiff konnte sich der Känguruhinsel unbemerkt nähern. Der Ausguck sah es schon aus einer Entfernung von mehr als zwanzig Meilen. Doch es war auch nicht sehr wahrscheinlich, daß sich ein Schiff in diese Gegend verirrte, es sei denn, es wäre vom Kurs abgekommen oder hätte sich versegelt wie jener Spanier, der ihnen eine Breitseite verpaßt hatte und dann geflüchtet war.
Das hatte der Mann am Mast verschuldet, der als Rudergänger fungierte, jedenfalls nach Ansicht des Schwarzen Piraten. Er hatte dem anderen unklugerweise die Luvposition überlassen, und damit hatte die „sin nombre“ ihren anfänglichen Vorteil verspielt und die Breitseite des Spaniers schlucken müssen.
Die Beute war entwischt, eine leichte Beute, wie sie alle gehofft hatten, und dazu gesellte sich die Schmach der Niederlage.
Mehr als eine Woche Aufenthalt kostete es, um das Schiff wieder instandzusetzen. Um unvorhersehbare Zwischenfälle künftig zu vermeiden, war die „sin nombre“ so gut getarnt worden.
Diese Bucht und die Tarnung boten aber noch einen weiteren strategischen Vorteil. Sollte wirklich ein fremdes Schiff hier aufkreuzen, dann würde es an der Bucht vorbeisegeln müssen und somit in den Bereich der zwanzig Siebzehn-Pfünder gelangen, die auf der Backbordseite feuerbereit standen. Die Culverinen waren ausgerannt und jederzeit feuerbereit. Außerdem waren sie so vorzüglich getarnt, daß man sie erst sah, wenn sie Rauch und Feuer spien.
Der Schwarze Pirat überzeugte sich durch den Kieker, daß der Mann im Eukalyptusbaum Ausguck hielt, dann schob er den Kieker wieder zusammen und wandte sich an einen hageren Burschen, dem der Schweiß in Strömen vom Körper rann und der gerade damit beschäftigt war, eine der neuen Decksplanken zu kalfatern.
„Drei Stunden sind um“, sagte er. „Du kannst den Kerl da oben jetzt ablösen, Chico. Und halte deine verdammten Klüsen offen, sonst holt dich der Teufel!“
„Aye, Kapitän. Mir entgeht nichts. Was geschieht nun mit Pedro? Ich meine, sollen wir ihn hängen?“
Er deutete auf den Mann am Mast, der dumpf vor sich hinstarrte und apathisch in seinen Fesseln hing.
„Hängen, Chico? Nein, ich glaube nicht, ich werde mir das noch überlegen. Er soll noch ein bißchen austrocknen, dann werden wir ihn zum Teufel jagen.“
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