1 ...6 7 8 10 11 12 ...17
Das überpersönliche Unbewusste C.G. Jungs
Der Psychologe Carl Gustav Jung (1875-1961), dessen Arbeiten nicht nur stark auf die Psychotherapie sondern daneben auch auf die Religions- und Mythenforschung sowie die Ethnologie wirkten, prägte nicht von ungefähr den Begriff des transpersonalen Unbewussten. Er hatte selbst durch tibetisch inspirierte Meditationsübungen und im Zug seiner Forschungsarbeiten zum Sinnzusammenhang von Natur und Seele erfahren, dass Erlebnisse in nicht alltäglichen Realitätsräumen weit über die eigene Phantasie und über das eigene Unbewusste hinausführen können.
Diese Erfahrungsräume erscheinen uns zwar zunächst fremdartig, sind aber trotzdem wirklich und objektiv. Solche Bereiche bezeichnete Jung als transpersonal, über die persönliche Erfahrung, das Unbewusste und die subjektiv empfundene Wirklichkeit hinausgehend.
Unterwegs in bekanntes Land
Wollen wir uns heute dem Schamanismus praktisch nähern, dann können wir uns die gesammelten Erfahrungen der in früheren Zeiten und heute praktizierenden Schamanen zunutze machen. Das ist von großem Vorteil. Schließlich zeigen uns diese Erlebnisse, wohin wir reisen können und was uns dort erwartet, ohne Schaden zu nehmen.
Für die europäischen Seefahrer und Eroberer des 15. und 16. Jahrhunderts beispielsweise war es weitaus schwerer und risikobehafteter, in ferne Länder wie das unbekannte Amerika, Südafrika, in arktische Gewässer oder nach Südostasien zu gelangen, als später für ihre Kinder und Kindeskinder. Schließlich mussten die Pioniere ihre Zielhäfen erst einmal entdecken und dafür eine mühevolle Reise ins Ungewisse mit Gefahren für Leib und Leben auf sich nehmen.
Auf den Schamanismus übertragen, bedeutet dies: Wenn man vor Antritt einer spirituellen Reise weiß, wo das Ziel liegt und was einen dort erwartet, wird das Reisen leichter, und man benötigt nur noch einen Bruchteil der Vorbereitungen.
In der nordischen Mythologie nimmt der Weltenbaum, die Weltesche Yggdrasil, ebenfalls eine zentrale Stellung ein. Die Weltesche breitet ihre Äste über das All, und ihre Wurzeln sind die Quellen der Weisheit und des Schicksals.
Was genau erwartet uns nun auf unserer schamanischen Reise? Dazu möchte ich mit wenigen Strichen ein Bild der schamanischen Kosmologie skizzieren.
Der Schamane versteht die Welt als viergeteilt. Es gibt eine untere Welt, die Religionen wie das Christentum oder der Islam als Hölle »umfunktioniert« haben. Und es existiert eine obere Welt, die Christen und Moslems in ihren Überlieferungen als Himmel bewerten. Auch die Naturvölker kennen eine untere und obere Welt, nur fehlt die auf Belohnung und Strafe, Gut und Böse zielende Wertung. Die eine Welt ist nicht schlechter oder besser als die andere. Beide sind notwendig und lediglich verschieden in ihrer Art und Darstellung.
Vergleichen wir dies einmal mit einem pflanzlichen Lebewesen. Ein Baum benötigt mehrere Faktoren, wie etwa Erde und Luft, zum Leben und Gedeihen. In vielen Kulturkreisen ist er daher auch ein zentrales Symbol für die schamanischen Wirklichkeitsbereiche. Und damit wird er zum Weltenbaum, dessen Wurzeln den Erdmittelpunkt erreichen und dessen Krone bis in den Himmel ragt.
Zwischen unterer und oberer Welt liegt die mittlere Welt. Das ist die Welt, in der wir in unserem irdischen Alltag leben. Die mittlere Welt in sich ist zweigeteilt: in eine alltägliche Wirklichkeit und eine nicht alltägliche. Alltäglich sind beispielsweise Schule und Finanzamt, Urlaubsreise und Zahnarzt. Nicht alltäglich sind die Zusammenhänge und Vorstellungen hinter diesen materiell und sinnlich wahrnehmbaren Fassaden. Hier ist eine Beschreibung mit Worten schwer. Lassen Sie mich diesen Bereich grob und nicht völlig zutreffend als Seelenleben bezeichnen. Ein Beispiel soll das erläutern.
In der Vorstellungswelt der germanischen Religion gibt es Midgard, den Lebensraum der Menschen, Utgard, dort wohnen die Riesen, die Unterwelt Hel sowie Asgard, das Land der Götter.
Alltägliche und nicht alltägliche Welt
Wenn ich den täglichen Weg zu meinem Arbeitsplatz zu Fuß, mit dem Auto oder mit der Straßenbahn zurücklege, dann tue ich das in der alltäglichen Realität der mittleren Welt. Wenn ich abends im Bett die Augen schließe und mir den Weg zur Arbeit Schritt für Schritt genau vorstelle, dann ist auch das noch alltägliche Realität. Wenn sich währenddessen aber vor meinem geistigen Auge plötzlich Ereignisse abspielen, die mit der erlebten Alltagswirklichkeit nicht übereinstimmen, wenn also an einer Straßenkreuzung plötzlich ein Gemüsehändler mit seinem Karren steht, der sonst niemals dort ist, dann ist das eine nicht alltägliche Realität in der mittleren Welt.
Andere Sphären - untere und obere Welt
In der unteren und der oberen Welt hingegen ist alles Erlebte nicht alltäglich. Schon ihr Aufbau macht dies deutlich. Sowohl bei der unteren Welt als auch der oberen Welt handelt es sich nicht um homogene Räume, d. h., sie sind nicht einheitlich aufgebaut und lassen sich vielfach in bestimmte Regionen unterteilen, die von uns oft auch als Sphären erlebt werden.
Alltägliche und nicht alltägliche Wirklichkeit sollten immer im richtigen Gleichgewicht zueinander stehen. Nur so erhalten wir uns unsere seelische und emotionale Gesundheit. Wenn wir also zu Reisenden zwischen den Welten werden und schamanisch arbeiten, so sollten wir unsere spirituellen Bemühungen mit Bedacht, Umsicht und Selbstbewusstsein in unser irdisches Leben einbauen, ohne jedoch die Anforderungen unseres Alltagslebens an uns als Gemeinwesen in einer vielschichtigen Gesellschaft zu vernachlässigen.
In anderen Realitätsebenen liegen die Ziele der schamanischen Reisen durch Raum und Zeit. Sie durchdringen unser alltägliches Leben spirituell und haben darauf Einfluss ,auch wenn wir nur in der Lage dazu sind, sie mit der Seele zu besuchen. Wie wir uns auf eine schamanische Reise begeben können, welche Rolle der Rhythmus dabei spielt, um uns in den schamanischen Bewusstseinszustand zu versetzen, erfahren Sie in diesem Kapitel. Auch der richtige Umgang mit den Visionserlebnissen und unseren Lehrern und Beschützern, den Krafttieren, wird hier gezeigt. Sie alle sind Wegweiser zu körperlicher und seelischer Harmonie und jener Gesundheit, die in unserem Inneren, unserer Seele angesiedelt ist.
Beginnen wollen wir unsere schamanischen Gehversuche mit einer Reise in die untere Welt. Vorausschicken möchte ich gleich hier: Es kann durchaus der Fall sein, dass sich bei Ihrer ersten Reise nichts besonders Aufregendes ereignet. Betrachten Sie sie daher wie eine Art erstes »schamanisches Sightseeing«.
Wer einen Berg besteigen will, muss allerdings zuerst einmal wissen, wo sich dieser befindet und wie er zu ihm hinkommt. Und dann sollte er auch wissen, wie und auf welchem Weg er am besten hinaufgelangt.
Wo also befindet sich unser Reiseziel, die untere Welt, und wie kommt man am einfachsten dorthin? Und schließlich: Welche Reisevorbereitungen sind notwendig, um den Weg gut zu überstehen und ans Ziel zu gelangen?
Als nützliche Begleiter empfehlen sich für spirituelle Arbeit geeignete Räucherstäbchen. Bewährt haben sich beispielsweise die Padminis, die man in Indienläden bekommt, und die sehr dicken Stäbe aus Thai-Geschäften. Schwere Duftnoten wie »Fichtennadeln« oder »Winternacht« und so erfrischende wie »Lemongras« eignen sich nicht.
Читать дальше