»Nichts weiter«, entgegnete Fredrik resigniert. »Willson und die gesamte USCP sind mit der Entscheidung des Bundesrichters nicht einverstanden. Du weißt schon, im Fall des Schwarzen, der den Polizisten erstochen hat.«
»Ja, und?«, Olivia blickte stirnrunzelnd.
»Willson hat vorhin angerufen. Er verlangt, dass ich mit dem Bundesrichter spreche.«
»Aber das ist doch nicht dein Bier«, warf Stephen ein. »Was wollen die von dir?«
»Was die wollen? Dass ich den Bundesrichter überzeuge, doch die Todesstrafe für diesen Sanders durchzudrücken.«
»Wäre aber auch korrekt, Dad«, meinte Stephen. »Der hat’s doch verdient! Ein schwarzer Killer mehr oder weniger.«
Marc blickte von seinem Sandwich auf und schüttelte sein blondes, zerzaustes Haar: »Du bist echt bescheuert!«
»Klar, Bruderherz, unser barmherziger Marc. Stehst ja auf die Schwarzen. Womöglich vögelst du noch eine.«
»Hört beide auf«, fuhr Fredrik dazwischen.
»Was willst du jetzt tun?« Olivia blickte besorgt.
»Ich muss mit dem Richter sprechen oder ich gehe zur Washington Post und liefere aus erster Hand die Story meines völlig verblödeten Sohns.«
Das war Marc zu viel. Nicht ohne Schuldgefühl, dennoch sauer, Fredriks und Stephens Äußerungen wegen, stieß er den Stuhl zurück, der laut zu Boden krachte, und verschwand in sein Zimmer.
»Klar, hau nur ab, wie du es immer machst, du Pfeife!«, rief Stephen ihm hinterher.
»Hör sofort auf«, fuhr Olivia Stephen an.
»Ja, das kennen wir. Ist immer dieselbe Leier. Marc baut Scheiße und du? Hast du dich jemals so vor mich gestellt?« Stephen tat es Marc gleich und verschwand mit Gepolter.
Dieser Vorwurf traf Olivia. So hatte sie es noch nie gesehen. »Aber Stephen, das ist doch …«
Columbia, South Carolina, 1732
Ihr Entschluss war gefasst. Sie würde einige Zeit bei Hugh bleiben, der sich als anscheinend vertrauenswürdig herausstellte. Weder machte er anzügliche Bemerkungen noch verhielt er sich respektlos Zola gegenüber. Ganz im Gegenteil hatte Zola mit der Zeit das Gefühl, Hugh sähe in ihr mehr eine große Tochter als die Frau, die sie war.
Hugh richtete Zola eine Schlafstätte ein und hatte in ihr eine Hilfe, sowohl bei der Hausarbeit als auch bei der Trocknung und Gerbung der Felle und Lederhäute. Letzteres war ein aufwendiger Prozess, den sie von Hugh erlernte. Um nötige Salze für das Einlegen der Felle zu erwerben sowie für den Verkauf der ledernen Ware, begaben sie sich zur nahe gelegenen Siedlung Columbia. Mit Erstaunen stellte Zola fest, wie nahe sie auf ihrer Flucht als Einsiedlerin des Waldes einer Stadt gekommen war.
Der Ortskern Columbias bestand aus einer langen, niedergewalzten, staubigen Hauptstraße, an der sich zu beiden Seiten hölzerne Wohnhäuser und Ladengeschäfte reihten. Kleinere Gassen, seitlich entlang der Hauptgebäude, führten nach hinten zu einigen wenigen, teils windschiefen Hütten. Neben mehreren Geschäften und einem Saloon gab es die Schmiede, den Barbier, einen Krämerladen sowie ein Gefängnis, dessen Vorsteher ein gewählter Sheriff war. Der friedvolle Ort war trotz zahlreicher Bewohner überschaubar, jeder kannte jeden, sodass der Ordnungshüter, wenn überhaupt gefordert, lediglich manchmal Betrunkene des Saloons nachts in seiner Zelle ausschlafen ließ. Dennoch erfüllte diese Zivilisation Zola mit Furcht. Würde man ihr gegenüber misstrauisch werden, sie erkennen, gar zurückschicken?
Hugh genoss Ansehen unter den Einwohnern und keiner stellte unangenehme Fragen über die Schwarze mit dem Wolf an ihrer Seite. Sie standen gerade im Laden des Krämers, der neben Lebensmitteln auch Werkzeuge sowie Holz für die Farmer und Tabakbauern vorrätig hielt.
»Na, Hugh, was hast du heute Schönes dabei?« Ein kleiner, schmächtiger Mann mit Halbglatze und gezwirbeltem Oberlippenbart trat hinter seiner Theke hervor.
»Wie immer, John, wundervoll gegerbte Felle und Leder. Wirst ein Vermögen verdienen. Ich mach dich noch reich.« Hugh lachte donnernd.
»Dann lass mal sehen.«
Während Hugh den Sack öffnete, betrachtete John Zola als auch den neben ihr sitzenden Wolf. »Ich bin übrigens John. Hab dich hier noch nie gesehen.«
Bevor Zola etwas antworten konnte, ergriff Hugh das Wort: »Das ist Zola, John. Geht mir gut zur Hand; ein liebes Mädchen. Muss endlich nicht mehr selbst kochen. Ha, ha, hab sie so nem Halsabschneider abgekauft, den Köter gab’s umsonst dazu.«
»Versteht sie unsere Sprache?«
»Und wie, John. Die flucht schlimmer als wir beide zusammen.« Wieder brach Hugh in schallendes Gelächter aus und John stimmte mit ein, während Zola verlegen blickte.
Sie erzielten einen guten Preis für ihre Ware und tauschten einen Teil des Erlöses gegen Salz.
Bis Zola den Mut aufbrachte, alleine Columbia zu besuchen, sollte ein weiteres halbes Jahr vergehen.
Columbia, South Carolina, 1733
Sie saßen am klobigen Holztisch und aßen. Zola hatte auf dem einzigen Holzschemel in der Hütte Platz genommen, Hugh schob wie immer eine schwere Holzkiste an die Tafel. Neben Zola lag der Wolf, der ebenfalls in der Hütte wohnen durfte. Mangels Kreativität sowie der Tatsache, dass er auf den Namen hörte, hieß er einfach nur »Wolf«.
»Hast du fein gekocht, wirklich fein.« Hugh schmatzte und führte den voll beladenen Löffel an seinen Bart, der genau an der Stelle, wo Zola seinen Mund vermutete, verschwand. Obwohl Hugh, wie Zola mit der Zeit erkannte, seinen Bart durchaus pflegte, war er von solcher Fülle, dass keine Lippen zu sehen waren. Haare an der Oberlippe verschmolzen mit denen der Unterlippe.
Zola hatte einen Eintopf zubereitet. Ihr Rezept: Heißes Wasser, angereichert mit Speck sowie einem Hüftknochen, der mit reichlich Fleisch bestückt war. Anschließend schnitt sie Rüben in den Topf und würzte mit ein wenig Salz und Kräutern aus dem Wald.
»Wirklich fein, wirklich fein.« Hugh schlürfte den nächsten Happen und biss sodann in eine geschälte, rohe Zwiebel. Wie immer, wenn er Zwiebeln aß, hielt er sie hoch und referierte: »Hält den alten Hugh gesund, weißt du?«
Zola gewöhnte sich an den Zwiebelgeruch und nahm ihn nach einiger Zeit nicht mehr wahr.
»Wir haben heute was zu feiern.« Hugh mampfte, während seine Augen zwinkerten. Zola sah ihn verwundert an, jedoch wollte ihr nicht in den Sinn kommen, was es zu feiern gäbe. »Na, Mädchen, genau vor einem Jahr haben wir uns kennengelernt. Ho, ho, und wie wir uns kennengelernt haben, was, Zola?« Dabei schlug Hughs flache Hand geräuschvoll auf seinen Oberschenkel.
»Ist das schon so lange her?«
»Aber natürlich, natürlich. Der alte Hugh hat so bei sich gedacht, das sollten wir feiern und einen kräftigen Schluck darauf trinken.«
Zola kannte den Fusel, welchen Hugh des Abends trank, um dann samt Kleidung schnarchend ins Bett zu fallen. Bevor sie etwas wie »Oh, nein« oder »Lass mal gut sein« erwidern konnte, stand Hugh plötzlich auf und verschwand aus der Hütte. Wo geht er hin?, überlegte Zola, indes sie zur tönernen Flasche Schnaps auf dem Wandregal sah.
Noch während sie grübelte, trat Hugh wieder in die Hütte. In seiner Hand hielt er stolz einen Schemel in die Höhe. »Ich kenne ja deinen Geburtstag nicht«, er wirkte etwas verlegen, »du hast ihn mir nie verraten, daher hat der alte Hugh so bei sich gedacht, na ja, jedenfalls ist der heutige Tag für mich dein Geburtstag.« Mit diesen Worten stellte er den Hocker neben Zola.
»Was ist das?«, fragte Zola zögerlich.
»Na, was wird das schon sein? Ein Schemel, damit ich nicht laufend die Kiste durchs Zimmer rücken muss. Zum Geburtstag macht man doch Geschenke, oder?«
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