Sie betrachtete die Wunde ihres Freundes. Das Fell der Pfote war blutverschmiert. Sie musste sie reinigen und mit Eisenkraut behandeln. Während sie noch die Verletzung ihres Freundes betrachtete, vernahm sie plötzlich ein leises Rascheln direkt hinter ihrem Rücken. Blitzschnell zog Zola ihr Messer, sprang auf und drehte sich um. Der Gewehrkolben schlug wie ein Blitz auf ihre Stirn und sie verlor im Bruchteil einer Sekunde das Bewusstsein.
Als Zola wieder zu sich kam, hämmerte ein dumpfer Schmerz an ihrer Stirn, brachte in Erinnerung, dass sie ein heftiger, harter Schlag getroffen hatte. Sie lag auf einer Pritsche in einer geräumigen, aus schweren Holzstämmen erbauten Hütte. In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer. Darüber ein großer Kessel, dem ein wohlriechender Duft direkt in ihre Nase entstieg. Ihre Hände tasteten vergeblich nach ihrem Messer, als die Türe geöffnet wurde.
Zola versuchte aufzustehen, um sich dem Angreifer zu stellen, doch ihre Beine versagten den Dienst. Auch verrutschte ein nasses Tuch, welches ihre Stirn bedeckte, derart, dass es ihr die Sicht versperrte. Sie warf den feuchten Stoff auf den Boden und sah, dass zwei stämmige Beine in Fellhose vor ihr standen.
Zola sah einen Mann, dessen Gesicht nur aus zwei Augen und einem dicht gewucherten Bart zu bestehen schien. Selbst die Nase war durch den dichten Haarwuchs kaum zu erkennen. Nicht allein das Aussehen des Mannes (hatte er überhaupt einen Mund?) flößte ihr Angst ein, nein, es war seine Größe. Einen solch gigantischen Menschen hatte sie zuvor noch niemals gesehen.
Langsam beugte er sich zu ihr, hob das Tuch vom Boden und ging schweigend zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Dort stand ein großer hölzerner Trog. Er tauchte das Gewebe ein, trat schweren Schrittes zur Pritsche und reichte ihr den nassen Lappen.
»Kannst du mich verstehen?« Seine Stimme war dunkel, grollend wie die eines Donners. »Sag, kannst du meine Sprache?«
Er zog einen Schemel heran und nahm Platz. Sitzend hatte er ungefähr die Größe, die Zola für normal erachtete.
»Dann werden wir es schwer haben, wenn du nicht sprechen kannst.« Seine Augen lagen bohrend auf Zola.
»Ich …« Zolas Hals war heiser und ihre Worte klangen krächzend. »Ich kann Sie verstehen.«
»Na, das nenne ich Fortschritt. Wenigstens etwas. Hast du Hunger?«
Langsam wich die Angst. Hätte er sie töten wollen, so würde sie bestimmt nicht in dieser Hütte liegen. Zola nickte.
Der Hüne stand auf und füllte eine breiige Masse aus dem Kessel in eine Holzschale. Er reichte Zola die Schale mit einem Holzlöffel. Vorsichtig begann sie den heißen Brei zu essen. Es war seit Langem ihr erstes gekochtes Gericht.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen. Der Wumms, den ich dir verpasst habe, war heftig, oder?« Sein Lachen hatte einen dröhnenden, doch angenehmen Klang. »Natürlich war es heftig, ha, ha, du hast richtig tief geschlafen. Was hat so ein zierliches Ding wie du im Wald verloren? Und dann noch Wölfe retten. Hab so was ja noch nicht erlebt.« Er schüttelte seinen großen Kopf hin und her und sein kinnlanges, zotteliges Haar schwang mit.
»Wo ist er?«, fragte Zola vorsichtig.
»Du meinst den Wolf? Hab so was ja noch nicht erlebt.« Wieder schüttelte er sein Haupt und Zola war außerstande, selbst wenn er sprach, seine Lippen zu erkennen. Einzig der Bart bewegte sich. »Du wirst es nicht glauben. Dieser Köter ist mir den ganzen Weg hierher humpelnd gefolgt und sitzt jetzt in einiger Entfernung vor der Hütte. Sobald ich auf ihn zugehe, verschwindet er, um kurze Zeit danach wieder da zu sitzen, wo er vorher war. Das nenn ich Freundschaft. Er ist doch dein Freund, oder?«
»Wo bin ich?«
»Na, hier in meiner Hütte, nicht unweit davon entfernt, wo sich dein Freund in meiner Falle verfangen hat. Du musst doch vorsichtig sein, Kindchen, hier draußen wimmelt es vor Gefahren. Sei nur mal froh, dass du mir begegnet bist. Besser als den Cherokee oder deren Erzfeinden, den Chickasaw. Na, da hättest du nichts zu essen bekommen, das sag ich dir. Von wo bist du denn abgehauen? Sklavin, oder?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Na, wie kommt der alte Hugh da drauf? Da hier die Schwarzen nicht an den Bäumen wachsen vielleicht? Und dann hast du noch die Narbe am Unterarm. Ist mir gleich aufgefallen. Wer hat dir denn das Brandmal entfernt?«
»Ich selbst«, antwortete Zola stolz.
Hughs Blick verriet Erstaunen und Bewunderung. »Dich sollte man nicht unterschätzen! Das sag ich dir. Sei froh, dass du keinen Brand bekommen hast. Hab’s schon gesehen. Erst wird die Wunde schwarz, dann der Arm und dann, ja, dann bist du Futter für die Wölfe. Hab’s schon gesehen.« Wieder musste er lachen und dieses Mal entlockte er auch Zola ein Lächeln. »Ich bin übrigens Hugh, lebe schon länger hier draußen. Und du, wie soll ich dich nennen?«
»Zola.«
»Zola? So einen Namen hab ich ja noch nie gehört. Gefällt mir. Wenn du möchtest, kannst du bleiben. Wenn du mir nicht die Kehle durchschneidest, bekommst du auch dein Messer wieder. Du siehst müde aus. Schlaf ein wenig und dann brauche ich dich für den Wolf. Der hat ne Wunde am Bein.«
In der Küche saßen bereits Olivia und Stephen am ovalen Tisch beim Frühstück.
»So ein verdammter Scheißkerl«, hörte sich Fredrik flüstern.
»Soll ich dir noch ein paar Eier machen, Schatz?«, fragte Olivia, als Fredrik zu ihnen trat.
»Wo ist Marc?«, winkte er ab.
»Liegt noch im Bett«, gab Stephen über den Glasrand seines selbst gepressten Orangensafts Auskunft.
»Der spinnt wohl? Erst im Knast und jetzt verschläft er den Tag.« Fredrik war gerade in der richtigen Stimmung, um Marc an den Haaren aus dem Bett zu zerren.
Olivia hielt ihn davon ab: »Fred, lass ihn. Ich werde nachher mit ihm sprechen.«
»Mom«, sagte Stephen hörbar entsetzt, »du bist schon wieder nur auf Marcs Seite. Der kann doch bei dir machen, was er will. Kapierst du nicht, dass er alle nur ausnutzt?«
Ein wenig erschrocken über die heftige Reaktion ihres Sohnes blickte Olivia Hilfe suchend zu Fredrik.
»Sprich nicht so mit deiner Mutter; aber er hat schon recht, Olivia. Marc braucht eine harte Hand!«
»Marc braucht eine harte Hand«, äffte nun eine Stimme aus dem Off. Mit zerzaustem Haar sowie nur seinen Shorts bekleidet kam Marc an den Tisch. »Sorry, Dad, für gestern, wird nicht mehr vorkommen.« Anscheinend unbekümmert griff Marc nach einer Scheibe Toast und setzte sich lässig neben Stephen.
»Und du glaubst, damit ist alles gesagt und wir gehen wieder zur Tagesordnung über?« Fredrik erhob die Stimme. »So nicht, mein Junge. Du wirst die Konsequenzen dafür tragen, ist das klar?«
»Und wie sollen die aussehen?« Marc vermied es, seinen Vater direkt anzusehen, und widmete sich lieber der Erdnussbutter, die er fein säuberlich auf seinem Toast verteilte.
»Morgens zur Uni, und wehe ich bekomme raus, dass du auch nur eine Sekunde der Vorlesung verpasst. Nach dem Training bis auf Weiteres Hausarrest.«
»Dad, das ist nicht fair« versuchte Marc seine miserable Position zu verbessern. »Ich meine die Jungs und …«
»Kein Wort mehr oder ich garantiere dir, es war das letzte Mal, dass ich, Michael oder sonst wer dir aus der Patsche geholfen haben.«
Bevor Marc erneut protestieren konnte, stieß Stephen ihn unterm Tisch und zischte: »Halt jetzt die Klappe!«
»Misch du dich nicht ein«, wurde Marc laut und fuhr seinen Bruder an.
Fredrik verlor endgültig die Geduld: »Marc, noch ein Wort und ich vergesse mich. Wegen dir hab ich mächtig Ärger am Hals. Wegen dir setzt mich die USCP unter Druck – hast du auch nur den leisesten Schimmer, wie deine Schlägerei mir als Senator schadet?«
»Wie meinst du das?«, wollte nun Olivia wissen.
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