„Navis stultorum“: Das „Narrenschiff“ wurde zur populären Metapher für das närrische Treiben der Welt. Titelblatt von Sebastian Brants Buch, 1497.
Soweit der philosophische Blick Rudolf Kassners – blickt man jedoch genauer auf die Leistung einzelner „Narren“, so zeigt sich, dass es ihnen zum Teil sehr wohl gelang, Breschen in die geschlossenen Fronten gültiger Lehrmeinungen zu schlagen. Was aber noch bedeutsamer war: Die „Narren mit der Lizenz zur geistreichen Umkehrung etablierter Meinungen und bestehender Ordnungen“ (Alexander Košenina) erreichten jene öffentliche Aufmerksamkeit, die der anerkannten akademischen Elite meist verwehrt blieb. Ihre exzentrischen Ideen, oft auch provokativ vorgetragen, befeuerten die Diskussion und setzten nachhaltige Impulse, wie immer man sie auch aus heutiger Sicht beurteilen mag.
ZWISCHEN GENIE UND WAHNSINN
Wir sind mit diesem Begriffspaar „Genie und Wahnsinn“ schnell zur Hand, wenn es darum geht, außergewöhnliche Leistungen „gelehrter Narren“ zu beschreiben. Die Formel „Genie und Wahnsinn“ erklärt zwar nichts, sie entschärft aber den „Tatbestand“, enthebt uns der Aufgabe, sich ein genial-wahnsinniges Gedankengebäude genauer anzusehen. „Genie und Wahnsinn“ ist die beliebte Metapher, um sich Fremdes, Unvertrautes im gewissen Sinne vertraut zu machen.
Der Wahnsinn, sagt Michel Foucault in seiner großen Studie über Wahnsinn und Gesellschaft , wird in der frühen Neuzeit zu einer „Bezugsform der Vernunft“, sie treten in eine „ständig umkehrbare Beziehung, die bewirkt, dass jede Wahnsinnsform ihre sie beurteilende und meisternde Vernunft findet, jede Vernunft ihren Wahnsinn hat, in dem sie ihre lächerliche Wahrheit findet“. Exakt in dem Spannungsfeld, das Foucault hier umreißt, bewegt sich die Auseinandersetzung mit den Protagonisten des Wiener Narrenkastls. Wir müssen uns daher die Frage stellen: Was bedeutet das, wenn wir jemanden einen „Narren“ nennen oder einen „Wahnsinnigen“? Kann es nicht auch sein, dass wir diesem Menschen nur deswegen Unvernunft oder „Nicht-Vernunft“ zusprechen, weil er unseren vertrauten Horizont überschreitet und wir ihn nicht auf Anhieb verstehen? Dann wäre der „Narr“ nur eine Metapher für jemanden, der unser vertrautes Bild vom Menschen transzendiert. Das Etikett „Narr“ oder „Spinner“ erspart uns auch die nähere Beschäftigung mit ihm, rückt es ihn doch an den Rand der Gesellschaft, die wie nie zuvor in der Geschichte dabei ist, eine normierte und regulierte Gesellschaft zu werden. Jemanden einen „Narr“ zu nennen, so die These dieses Buches, erspart uns jedoch nicht die Auseinandersetzung mit ihm, denn gerade er ist es, der die Zeitgenossen bewegt hat. Der viel zitierte historische „Kontext“ soll daher nicht außer Acht gelassen werden. Manche Vorstellungen entwickeln erst in der Wechselwirkung mit ihrem Publikum ihre Wirkkraft. Die Frage lautet dann: Wieso hat gerade der „Narr“ so viel Zulauf? Was ist das Faszinierende, Verlockende an den Auftritten des Unverständigen, Querdenkenden?
„Die Weisheit und der Wahnsinn“, sagt der französische Philosoph Pierre Charron in seiner Schrift Über die Vernunft , „sind sehr benachbart. Es ist nur eine halbe Umdrehung von der einen zur anderen“, es gebe keinen großen Geist, in den „sich nicht der Wahnsinn“ mischte.
Ein Wiener Beispiel sei hier vorab angeführt: der Anatom und Augenarzt Joseph Barth (1745–1818). Wien verdankt dem 1745 in La Valleta, Malta, geborenen Mediziner das erste anatomische Theater. Jene Bühne, auf der Tote die Hauptrolle spielten. Nackt zur Schau gestellt, aufgeschnitten und zerstückelt, waren sie die tragischen Helden in der vom Anatomen inszenierten Schau. Die Öffnung der menschlichen Hülle im Dienste der medizinischen Wissenschaft, die Zurschaustellung und „Entschlüsselung“ des menschlichen Inneren wurde zum Spektakel. Er wurde mit dem Titel „kaiserlicher Rat“ ausgezeichnet und was besonders zählte: Kaiser Joseph II. vertraute seinen Fähigkeiten, ab 1786 war Barth der „Leibaugenarzt“ des Herrschers und konnte diesen zum Bau des erwähnten „anatomischen Theaters“ bewegen. Barth unterstützte das Vorhaben mit einer Geldspende und stellte Bücher zur Verfügung.
Den Wienern blieb Barth durch seine „Narreteien“ in Erinnerung: So pflegte sich Barth in den Tagen der Französischen Revolution gerne als Sansculotte zu kleiden – eine provokante Geste, die im reaktionären Habsburgerstaat durchaus Mut verlangte. Und innerhalb seines Anwesens soll Barth einfach nur splitternackt herumgelaufen sein …

DER
GOLDMACHER
DER MANN,
DER SICH
SEHFELD
NANNTE
Die Alchymisten verheissen grossen
Reichtum/und haben selber nichts/
und das was sie suchen/finden sie nicht/
und was sie haben verliehren sie …
Abraham a Sancta Clara,
Goldmacher-Narr
Der Mann, der sich Sehfeld nannte, kam 1745 nach Wien. Über seine Profession machte er nur unklare Angaben – er sei eigentlich Oberösterreicher, hätte die letzten acht oder zehn Jahre im Ausland verbracht und wäre in der Herstellung von Farben und Arzneimitteln tätig gewesen. Der seltsame Fremde besaß offenbar ein überzeugendes Auftreten, denn es gelang ihm trotz des Misstrauens, das ihm entgegenschlug, von Kaiser Franz I. Stephan ein Protectorium, einen Schutzbrief, zu bekommen, der ihn berechtigte, sich weiter der Fabrikation von „chymischen Farben“ zu widmen. Doch dann tauchte ein böses Gerücht auf: Der „Wundermann“ sei eigentlich ein verkappter Goldmacher – und mit diesen Scharlatanen wollte vor allem Maria Theresia nichts mehr zu tun haben, zu oft schon war die kaiserliche Familie Betrügereien aufgesessen. Ihre und des Wiener Hofs Sorgen galten einem anderen Thema: Die Diplomaten der jungen Herrscherin konnten nach den schweren Niederlagen der habsburgischen Heere gegen Friedrich II. den Verlust Schlesiens nicht mehr verhindern, retteten aber zumindest die Kaiserwürde für ihren Gatten, der in Frankfurt als Franz I. Stephan gekrönt wurde. An der Schwelle zum Zeitalter moderner naturwissenschaftlicher Forschung bewies der Fall Sehfeld, dass der alte Traum der Alchimisten von der Transmutation der Materie noch immer gegenwärtig war.
Sehfeld, der rätselhafte Ankömmling, hielt sich denn auch nicht lange in der Residenzstadt auf, sondern begab sich, wie er verlauten ließ, zur Kur ins Badehaus von Rodaun, wo er auch Quartier bezog. Eigentümer des alten Mineralbades im Tal der Liesing am Rande des Wienerwaldes und zugleich Bademeister war zu diesem Zeitpunkt ein gewisser Friedrich, dessen Frau und drei Töchter Tun und Lassen des Fremden mit großer Neugier beobachteten. Besonders verwunderlich war, dass er Friedrich bat, in aller Stille Schmelztiegel, Kolben und andere Gerätschaften für alchimistische Versuche zu beschaffen. Nach einigen Wochen fasste Sehfeld offenbar den Vorsatz, die aufdringliche Neugier der Damen für sich zu nutzen. Er beschloss, ihnen sein vorgeblich großes Geheimnis zu entdecken: Er könne Gold machen!
Vor den Augen des verblüfften Bademeisters und seiner drei Schönen demonstrierte Sehfeld in der Küche des Badehauses seine beeindruckende Kunst: Er schmolz ein Pfund Zinn und streute dann ein rotes Pulver auf das flüssige Metall. Unter Bildung eines in allen Farben leuchtenden Schaums verwandelte sich das geschmolzene Zinn zischend und brodelnd tatsächlich in gutes Gold – daran bestand zumindest für die gutgläubigen Augenzeugen dieses Wunders kein Zweifel! Der Fremde beließ es auch nicht bei dem einen Versuch: Woche für Woche stellte er nun mindestens zweimal Gold her, das Friedrich, der keinen Argwohn schöpfte, in Wien gegen klingende Münze verkaufte. Sehfeld war mit seinem Quartiergeber zufrieden und äußerte die Absicht, für länger im Rodauner Badehaus bleiben zu wollen, für den Bademeister würde das „ansehnliche Vorteile“ bringen. Er hatte zwar die Familie Friedrich um strengste Verschwiegenheit gebeten, doch gewisse Andeutungen im Gespräch mit Freundinnen und Bekannten konnten sich die Damen des Hauses offenbar nicht verkneifen und so rankten sich bald verschiedene Gerüchte um den Fremden. Sehfeld, der befürchten musste, dass sich die Bürokraten in Wien für ihn zu interessieren begannen, versuchte möglichen Schwierigkeiten zuvorzukommen und wandte sich daher mit der Bitte um einen kaiserlichen Schutzbrief an Franz I. Stephan – mit diesem Protectorium, das er auch erhielt, wurde ihm die Produktion von Farben und anderen Chemikalien erlaubt; für einige Zeit verstummten die Gerüchte um ihn. Pünktlich bezahlte er die vereinbarten Abgaben an die Hofkammer, man munkelte von 30.000 Gulden, die Sehfeld monatlich zu leisten hätte, eine enorme Summe, die allein schon Verdacht erregte. Andere wollten wiederum wissen, dass Sehfeld eine Schutzgebühr von 30.000 Gulden pro Jahr vereinbart hätte, auch das noch immer eine ansehnliche Summe.
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