Steves Blick verengte sich. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Reine Neugier.«
»Niemand wohnt da. Das ist ’ne Klapsmühle.«
»Exklusiv?«
»Oh ja«, sagte er. »Reichlich exklusiv. Sie müssten mal die dicken Kutschen sehen, die einige dieser irren Typen fahren. Schätze, reiche Leute haben ’nen Haufen Probleme, wa?«
»Genau wie alle anderen, schätz ich«, sagte Gwen.
»Ich sag Ihnen was«, fuhr er fort, »wenn ich den Zaster hätte, den einige dieser Herrschaften einsacken, würd ich mich nicht mit so ’ner Bude abgeben. Ich würde nach L.A. abzischen und mir ’n geiles Brett fischen.«
»Sie angeln gerne?«, fragte Stoner kultiviert.
Er starrte sie verblüfft an.
»Ich glaube«, erläuterte Gwen, »dieser Gentleman spricht über das Surfen.«
»’n Brett, ’nen Ghettoblaster, ’n 4x4 und ’n Sixpack abziehen, sich ’n Hintern anbrutzeln lassen und den Bienen nachsummen.«
»Übersetzung?«, bat Stoner.
»Er möchte gerne«, sagte Gwen, »ein Surfbrett, einen Radiorecorder, ein Fahrzeug mit 4-Rad-Antrieb und ein Paket mit sechs Flaschen Bier haben. Er möchte außerdem seine Tage mit Sonnenbaden und Mädchenhinterherschauen verbringen.«
»Das hab ich doch gesagt«, warf Steve ein.
»Meine Freundin ist gerade erst in diesem Land eingetroffen«, sagte Gwen. »Ihre Eltern waren Missionare in China.«
»Echt cool«, sagte Steve. Er trat einen Schritt näher an Gwen heran. »Und was machen Sie?«
»Sie ist Lehrerin.«
Steve wich zurück. »Mist.«
»Vorübergehend«, erklärte Gwen rasch. »Ich versuche, da rauszukommen. Auf Dauer … äh …«
»Lutscht es einen aus?«, sprang Steve hilfreich ein.
»Lutscht es einen aus. Vielleicht kann ich da draußen in … wie, sagten Sie, hieß es doch gleich?«
»Schattenhain.«
Gwen nickte. »Schattenhain. Was halten Sie vom Personal dort?«
»Nichts«, sagte er abrupt. Sein Gesicht wurde abweisend.
»Merkwürdig, nicht wahr? Ein abgelegenes Städtchen wie Castleton, man sollte meinen, dass sie sich mit den Einheimischen verstehen …«
»Nicht merkwürdiger, als hier seinen Urlaub zu verbringen.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging hinüber, um die Bestellung des grauen Mannes aufzunehmen.
Stoner sah ihm nach. »Kann es sein, dass du seinen Regionalstolz verletzt hast?«
»Nein«, sagte Gwen. »Ich denke eher, ich hab einen Nerv getroffen.« Sie beugte sich über den Tisch. »Merke für die Zukunft: Wenn wir von Heranwachsenden Auskünfte bekommen wollen, erzähl ihnen nicht, dass ich Lehrerin bin. Heranwachsende und Lehrer sind natürliche Feinde.«
»Mit Sicherheit wurde er nur so zugeknöpft, weil du ihn nach Schattenhain gefragt hast. Glaubst du, das hat etwas zu bedeuten?«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Ich sollte drüber nachdenken.«
Stoner grinste. »Südstaatler reden wie Viehzüchter, denen außer ihren Viechern alles egal ist.«
»Yankees haben überhaupt keine Viechah ! Geht’s dir gut?«
»Phantastisch.« Sie starrte in ihren Drink. »Gwen, ist es sehr schlimm für dich, deinen Urlaub so verbringen zu müssen?«
»Wie, so?«
»So auf der Suche nach verlorenen Krankenschwestern.«
»Würden wir uns nicht damit beschäftigen, müsste ich mich eben mit der hiesigen Geschichte befassen. Ich hab mich schon immer gefragt, was machen die meisten Leute eigentlich im Urlaub?«
»Keine Ahnung«, sagte Stoner, »aber ich bin sicher, sie machen es nicht in Castleton, Maine.«
»Warum nicht? Es hat Umland, eine gewisse Stimmung und Hummah .«
»Vermutlich grauen Hummah.«
Gwen lehnte sich zurück und nippte an ihrem Drink. »Erzähl mal, wie hast du rausbekommen, dass du lesbisch bist?«
»Gute Göttin, Gwen! Doch nicht hier!«
»Ach, hier ist doch niemand. Außer unserem kleinen grauen Freund da drüben, und ich glaube kaum, dass er besonders interessiert ist an …«
» Das interessiert sie alle.«
»Und welche Anzeichen sprechen dafür, außer Paranoia?«
»Ich denke wirklich, wir sollten das Thema wechseln.«
»Gut«, sagte Gwen. »Dann lass uns über dich sprechen.«
Ihre Schutzschilde gingen in Position. »Warum?«
»Weil es tausend Dinge über dich gibt, von denen du mir noch nichts erzählt hast.«
»Als da wären?«
»Der Name deines Hundes?«
»Scruffy.«
»Die Namen deiner Eltern?«
»Walter und Dotty.«
Gwen verschluckte sich an ihrem Drink. »Walter und Dotty?«
»Walter und Dotty.«
»Niemand heißt Walter und Dotty.«
»Deine Mutter hieß Daphne. Denk mal darüber nach.«
»Das unterlass ich tunlichst. Walter und Dotty. Jesses.« Sie lehnte sich zurück. »Wann hast du aufgehört, an den Weihnachtsmann zu glauben?«
»Ich hab überhaupt nie an den Weihnachtsmann geglaubt. Meine Eltern sind Realisten.«
»Und du Romantikerin. Wie kommt’s?«
»Ich bin keine Romantikerin.«
Gwen lächelte betont.
»Bin ich nicht .«
»Gut, also nicht.« Sie spielte mit ihrem Besteck. »Ich wette, du hattest in der Schule immer ziemlich gute Noten.«
»Klar, das war leicht. Ich hab ja nicht meine ganze Zeit damit verbracht, über Jungs nachzudenken.« Sie lachte. »Dafür verbrachte ich meine ganze Zeit damit, darüber nachzudenken, warum ich nicht über Jungs nachdachte.«
»Hat dich das beunruhigt?«
»Es hat mich tief erschüttert.«
»Tut es das immer noch?«
»Nein. Gwen, willst du auf irgendetwas Bestimmtes hinaus?«
»Ich nicht. Du hast damit angefangen.«
»Es ist manchmal furchtbar peinlich«, sagte Stoner. »Besonders, wenn ich neue Leute kennenlerne. Ich weiß doch nie, wie sie reagieren werden.« Sie trank einen Schluck. »Und dann die Frage, wann sag ich’s ihnen. Sag ich: ›Hallo, wie geht’s? Ich bin Stoner McTavish, Lesbe‹? Oder lass ich es irgendwie dezent in die Unterhaltung einfließen? Oder warte ich, bis irgendwer eine naserümpfende Bemerkung über ›die vom falschen Ufer‹ macht, und gehe wutentbrannt an die Decke?«
»Wenn ich mich recht erinnere, hast du es bei mir einfach ins Gespräch einfließen lassen. Bist du schon mal wutentbrannt an die Decke gegangen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es wäre nicht sehr höflich.« Sie blickte sich im Raum um. Der graue Mann las eine Zeitung.
»Wie war das mit deiner ersten großen Liebe?«
»Wir waren in derselben Vorlesung für Journalismus an der Bostoner Uni. Na ja, wir waren nicht wirklich ein Paar. Es war mehr eine romantische Schwärmerei. Du weißt schon, lange persönliche Gespräche, Mondscheinspaziergänge am Ufer des Charles. Nach dem Abschluss ging Laurie nach Texas an die Fach-Uni für Jura, brach bereits im ersten Jahr ab und heiratete. Hat jetzt vermutlich sechs Kinder und gelegentlich Rückenschmerzen. Texas kann dir übel mitspielen.«
»Romantische Schwärmerei«, sagte Gwen und ließ ihren Drink im Glas herumschwenken. »Ich mag das.« Sie sah hoch. »Haben wir das auch? Eine romantische Schwärmerei?«
Stoner umfasste ihr Glas fester. »Ich schätze schon.«
»Allerhand, eingedenk der Tatsache, dass du keine Romantikerin bist.«
»Ich seh’s ein, Gwen.«
Gwen griff über dem Tisch nach Stoners Hand. »Ich hoffe, wir werden immer Freundinnen sein, Stoner.«
Immer? Ich wage zu zweifeln. Eines schönen Tages wirst du einen von diesen ›reizenden jungen Männern‹ kennenlernen, die es deiner Großmutter so angetan haben. Sechs Monate nachdem du ihn geheiratet hast, beschließt er, nach Oklahoma City umzuziehen, und du folgst ihm, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Ich besuche dich fortan einmal pro Jahr in seinem Haus, esse sein Essen, von ihm zubereitet auf seinem Grill auf seiner Veranda. Nach dem Essen sitzen wir herum, wir drei, und ›klönen‹ in seinem Wohnzimmer, bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen – du mit ihm und ich ins Gästezimmer. Mit etwas Glück bleiben uns ein paar Stunden allein zusammen im Waschsalon, wo wir mit dem Baby spielen. Es dauert nicht lange und wir wissen nicht mehr, worüber wir miteinander reden sollen.
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