»Frau Vastner …«, sagte er dann, und ich blickte von der Rührschüssel mit Kokosmilch auf. »Wenn Sie diesbezüglich Fragen haben, lassen Sie es mich wissen!«
»Okay«, erwiderte ich, ohne ihn anzusehen.
»Per Mail oder Telefon. Sie finden meine Kontaktdaten in dem Schreiben …«
»Ja, ist gut«, sagte ich, dachte aber: Mann, siehst du nicht, dass ich gerade keinen Kopf dafür habe?
Er stand noch einen Moment da, wohl unschlüssig, ob er meine mit veganen Backmitteln übersäte Hand schütteln sollte, die ich ihm nun hinhielt.
»Auch abends …«, setzte er nach.
»Erst mal muss ich den Brief lesen, dann rufe ich Sie an«, versicherte ich und lächelte, trotz meiner Eichhörnchenzähne, so schön ich konnte.
Er nickte und verschwand endlich.
Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, warf Pami die langen Hosen und die Bluse von sich. »Meine Fresse! Warum hast du den Ofen jetzt schon angeheizt?«
Obwohl alle Fenster und Türen geöffnet waren und ich sogar die Verglasung der Loggia zur Seite geschoben hatte, stand die Luft in der Küche. Draußen herrschten noch immer um die achtzehn Grad – für Ende September ein Traum. Nur leichter Wind pfiff durch die Häuserschluchten des Wohngebiets Springpfuhl. Aber die Temperaturen waren nichts im Vergleich zum Juli und August, als vierzig Grad im Schatten geherrscht und wir beim Backen regelmäßig in unserer eigenen Suppe gekocht hatten.
Ich hatte mich schon gewundert, warum Pami ihre schicken Kleider vom Brunch anbehalten hatte. Auch wenn mir der Typ gefallen hätte, ich hätte es keine fünf Minuten in der eleganten schwarzen Stoffhose und der schwarzen Bluse mit unserem orange-rosa Emblem ausgehalten. »Wusste ja nicht, dass Madamse noch zu flirten hat.« Ich warf die Zutaten für unseren Klassiker, vegane Waffeln, in die automatische Rührschüssel und schaltete sie ein.
Über den Krach hinweg rief Pami: »Da hatte ich keine Chance, der steht auf Vanilla, my Dear!«
Für den kommenden Tag waren fünfzig Waffeln für eine Geburtstagsrunde, dreißig herzhafte Cupcakes für ein Meeting eines Immobilienunternehmens und einmal das große Kindergeburtstagsset, das diverse süße Torten und Muffins, Schlagsahne und Karamellbonbons beinhaltete, bestellt worden. Das bedeutete, die Arbeit hielt sich für heute in Grenzen. Aber dann fiel mir ein, dass wir die neue Kreation »Pamis Pustekuchen« in Miniform herstellen und zu Werbezwecken der Lieferung beifügen wollten.
Lina hatte ihr Bild inzwischen fertiggestellt, und ich musste das Büro so weit aufräumen, dass ich an den Scanner und auf einen Sitzplatz kam, damit ich neue Flyer erstellen konnte. Während Pami backte wie eine Wahnsinnige, saß Lina auf dem Boden und machte brav ihre Hausaufgaben. Später half sie beim Verzieren der Torten und sang mit ihrer Mutter laut auf Portugiesisch. Derweil saß ich, noch immer mehlig, am Rechner. Immerhin hatte ich mir die Hände gewaschen – Teigreste waren so schwer von der Tastatur zu kriegen. Ich erstellte einen neuen Flyer, A6-Format. Nicht ohne Stolz tippte ich unter die Beschreibung unseres neuesten Kuchens die Worte:
»Vegane Waffeln«
Süße und herzhafte Backwaren mit Biss
außergewöhnliche vegetarische/vegane
Kreationen Lieferung in Berlin und Umgebung
Inhaberinnen: Aileen Vastner & Pamela Crusq
Erst seit ein paar Wochen kamen mir beim Lesen des Namens unseres Unternehmens nicht mehr die Tränen. Ich stellte den Text immer viermal auf ein Blatt Papier aus, druckte das Ganze aus und schnitt es zurecht.
Zurück in der Küche, verstauten wir die fertigen Waren und stellten die cremigen Produkte in den großen Kühlschrank im Vorratslager. Früher war die Küche winzig gewesen, sechs Quadratmeter mit typischer DDR-Durchreiche zum geräumigen Wohnzimmer. Als wir uns alle Genehmigungen eingeholt hatten, um meine Wohnung in eine Bäckerei mit Lagerräumen zu verwandeln, ließen wir die Wände einreißen und vergrößerten die Küche auf 28 Quadratmeter. Zwei lange Arbeitstische säumten die Wände, daneben hohe Schränke und Regale voller Förmchen, Teigrollen, Spritzbeutel und Tüllen, eben mit allem, was das Bäckerherz höherschlagen ließ. Ein klassischer Ofen mit vier Herdplatten, den ich noch von Oma Susi übernommen hatte, stand an der Wand zum Versorgungsschacht. Dort befand er sich seit 1995, als Oma das einzige Mal die Küche hatte renovieren lassen. Sie war im selben Jahr in dieses Haus an der Allee der Kosmonauten eingezogen, in dem es gebaut worden war: 1979.
Zwischen dem alten Ofen und einem neueren Exemplar mit Ceranfeld, das uns Pamis Vater günstig besorgt hatte, stand die Spüle. In Ermangelung eines Geschirrspülers wuschen wir alle Töpfe und Formen in dem viel zu kleinen Becken ab. Dahinter lag das kleine Bad mit Wanne und Waschmaschine. Die Kühlschränke befanden sich einen Raum weiter. Dieser war dank seiner Ausrichtung nach Norden immer etwas kühler, deshalb bewahrten wir dort auch die Dosen, Milchkartons, Früchte und alles andere Verderbliche auf.
Im Sommer 2014 hatten wir unser kleines Unternehmen gegründet und nun, ein Jahr später, machten wir uns langsam einen Namen. Vornehmlich beauftragten uns Prenzlberg-Muttis, F-Hainer Start-up-Unternehmen und ab und an auch PETA. Viele Kunden fühlten sich geil dabei, einer alleinerziehenden schwarzen Bäckerin und ihrer hässlichen weißen Freundin eine Chance zu geben. Und dann überraschte sie die Tatsache, wie verdammt lecker unsere Backwaren waren. Pami verstand es, ihre Konditorausbildung und nicht zuletzt ihr angeborenes Talent für den Backofenzauber mit dem Hipster-Wunsch nach Fairtrade und veganem Essen zu vereinen. Die meisten, die ansonsten nur Dinkelstangen und Fruchtschnitten knabberten, erlebten einen Geschmacksorgasmus, wenn sie in unsere Cupcakes, Torten oder Waffeln bissen. Ich war bei uns die Frau fürs Feine: Buchhaltung, Rechnungslegung, Bestellung, Marketing, zumeist lieferte ich auch aus.
»Hey, es ist j-ja sch-schon vier!«, rief Lina plötzlich, und wir wussten, was das hieß.
Das Kind wollte zum Wing Tsun. Die kleine Kampfsportschule lag nur zwei Tramstationen von meiner Wohnung entfernt. Also setzten wir Lina davor ab. Einmal unterwegs, nutzten Pami und ich die Gelegenheit und fuhren ins Dong Xuan Center. Wir kauften stiegenweise Kokosmilch und Mangos in Dosen und ließen uns danach auf der stylischen Terrasse des »Việt Phồ« nieder, um endlich mal wieder über Pamis Dates zu quatschen. Vor ihrem Kind unterließen wir das. Ich erfuhr alles über Kusstechniken, geschickte Finger und Zungen sowie die Regeln zum Bezahlen des romantischen Dinners und zum Anrufen am nächsten Tag.
»Wer räumt die Ware ein, wer darf in den Erwachsenenkurs?«, fragte ich schließlich, um das Gespräch wieder in seriöse Bahnen zu lenken.
»Schnick, Schnack, Schnuck, drei Runden!« Pami grinste und ballte ihre filigrane Hand zur Faust.
Da ich wusste, dass sie sich meistens für den Stein entschied, gewann ich und durfte zur Wing-Tsun-Stunde, die nach dem Kurs für Kinder stattfand.
Kaum hatten wir uns erhoben, warf Pami dem Typen am Nachbartisch einen Blick zu. Als er mitbekam, dass wir uns zum Gehen wandten, schaute er von seinem Buch auf und sah Pami direkt an. Sie schenkte ihm ein galant-cooles Lächeln, er zog interessiert eine Braue und einen Mundwinkel hoch. Dann schaukelte Pami ihren Prachtpo an ihm vorbei, ohne sich umzusehen. Sie konnte das einfach – Kerle angrinsen, flirten und so. Sie hatte es manchmal sogar drauf, die Typen anzusprechen. Ich zog die Schultern zusammen und wuselte hinter ihr her, blieb also in meiner Rolle.
Vor fünfzehn Jahren besuchten meine Freundin und ich zum ersten Mal eine Kung-Fu-Schule und wurden in einem Schnupperkurs auf Wing Tsun aufmerksam. Mittlerweile beherrschten wir die Sportart ganz passabel. Pami war von Beginn an gut darin. Das lag vermutlich erstens daran, dass sie als schwarzes Mädchen, umgeben von Faschos, einen größeren Ansporn hatte, Selbstverteidigung zu beherrschen, und zweitens daran, dass ihr alles zu liegen schien. Insofern konnte sie es verschmerzen, dass sie mich an diesem Tag mit der Sporttasche in der Meeraner Straße absetzte, ihr Kind einlud und zu mir nach Hause fuhr, um die Einkäufe auszuladen.
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