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Islam und Politik
Ein schwieriger Umgang
Oliver Pink
Drei nach links unten zeigende Pfeile: Das ist das traditionelle Parteisymbol der SPÖ. Diese drei Pfeile richten sich gegen Faschismus, Kapitalismus und – Klerikalismus. Die Auseinandersetzung mit der Kirche, mit der Religion und ihren Regeln, das war lange Zeit ein Kulturkampf für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung, vor allem in ihren Anfängen. Im „Lied der Arbeit“, der Hymne der österreichischen Sozialdemokratie, heißt es etwa: „Und wie einst Galilei rief, als rings die Welt im Irrtum schlief: Und sie bewegt sich doch!“ Schon Karl Marx, der Ahnherr der Linken, hatte zuvor postuliert, Religion sei das Opium des Volkes.
Und heute? Die Linke ist, könnte man meinen, unter die Religionsversteher gegangen. Vor allem, wenn es um den Islam geht. Hier hat sich die politische Welt überhaupt in ihr Gegenteil verkehrt: Die ÖVP, jene Partei, die seit jeher am meisten für Religion übrighat, ist diesbezüglich nun überaus kritisch. Die FPÖ, von ihrer Historie her antiklerikal, hat wegen des Islams das Christentum für sich entdeckt. Zugespitzt unter anderem im polemischen Kampagnenslogan „Pummerin statt Muezzin“.
Und die Vertreter linker Parteien wiederum sind auf einmal überaus verständnisvoll. Von Kulturkampf keine Spur mehr. Muslime werden in erster Linie als Minderheit gesehen, die man vor Diskriminierung beschützen müsse. Das Tragen eines Kopftuches wird von manchem gar zum feministischen Akt umgedeutet. Denn hier gehe es doch auch um die Selbstbestimmung der Frau.
Wer auf der Linken heute von diesem Denkschema abweicht, den Islam und seine politischen Auswüchse kritisch hinterfragt – wobei die Grenze zwischen Islam und Islamismus mitunter fließend ist –, handelt sich meist Schwierigkeiten mit den eigenen Gesinnungsfreunden ein. Wie etwa Efgani Dönmez und Peter Pilz, beides ehemalige Grüne. Der der Sozialdemokratie nahestehende Soziologe und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier brachte das am 30. Juni 2017 in einem Tweet auf den Punkt: „Wenn man das Christentum ablehnt, ist man Atheist, wenn man den Islam ablehnt, Rassist. Österreich im 21. Jahrhundert.“
„Der Ton macht die Musik“, meint Omar Al-Rawi, Gemeinderat der SPÖ in Wien, über die Islamkritiker. Man könne etwa sagen, Kindergärten, die die entsprechenden Qualitätskriterien nicht erfüllen, sollten geschlossen werden. Oder man könne sagen, alle islamischen Kindergärten sollten geschlossen werden. Wieso er als gläubiger Muslim ausgerechnet der traditionell antiklerikalen SPÖ beigetreten sei? „Mich hat Bruno Kreisky geprägt, die soziale Frage hat mich interessiert – ich wollte mich um den kleinen Mann kümmern – und wegen der Anti-Diskriminierungslinie der SPÖ.“ Der Sohn eines irakischen Anwalts und einer österreichischen Ärztin, der mit 17 Jahren nach Wien kam, ist heute Betriebsratsvorsitzender des Baukonzerns Strabag.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hält es für möglich, dass die neue Toleranz der Linken gegenüber religiösen Phänomenen auch mit einer uneingestandenen Sehnsucht nach einer solchen Gesellschaft mit klaren Regeln und Rollenbildern zu tun haben könnte. Zudem eignen sich Muslime auch als (linke) Projektionsfläche für Anti-Rassismus, Anti-Kolonialismus und Anti-Kapitalismus. Denn der (politische) Islam ist auch eine soziale Bewegung. Vom „Wohlfahrtsausschuss“ der Französischen Revolution zur „Wohlfahrtspartei“ des Necmettin Erbakan, aus der dann auch Recep Tayyip Erdogans AKP hervorging, sozusagen.
Genau darin, in der Gegenbewegung zu den zuvor herrschenden säkularen, aber korrupten und undemokratischen Eliten in den islamischen Ländern, sieht Omar Al-Rawi die Ursache für die heutige Wirkmächtigkeit der Religion unter Muslimen. Die Zunahme der Kopftuchträgerinnen im öffentlichen Raum erklärt er damit, dass die Anzahl der Muslime in Österreich eben zugenommen habe. Dass viele Zuwanderer oder Asylwerber aus Gesellschaften kommen, die keine Demokratie kennen, und dass es etwa auch an Sensibilität beim Thema Antisemitismus mangle, sei natürlich ein Problem, räumt Al-Rawi ein. „Aber Demokratie muss man auch lernen.“ Er selbst habe das in der Hochschülerschaft oder als Betriebsrat getan. Prinzipiell hält er Islam und Demokratie aber für vereinbar.
„Also mit dem salafistisch-wahhabitischen Islam ist die Demokratie natürlich nicht vereinbar. Das ist eine Kampfansage“, sagt Efgani Dönmez, der frühere Bundesrat der Grünen, der mittlerweile als Quereinsteiger zur ÖVP von Sebastian Kurz gewechselt ist. Und solche Strömungen gebe es mittlerweile auch bei uns. Im Frühjahr 2017 wurde ein mutmaßlicher Salafist aus der SPÖ geworfen. Und wie ist das mit islamistischen Strömungen wie jener der türkischen AKP? Dönmez hält diese nicht für so gefährlich. „Aber sie haben ihre Agenda: den öffentlichen Raum mit Religiosität zu prägen.“ Siehe die Zunahme der Kopftücher.
Spannung zwischen Staat und Religion
Die Auseinandersetzung mit Recep Tayyip Erdogans Türkei hat in den vergangenen Monaten auch die österreichische Politik maßgeblich beschäftigt. Und die Entwicklung der AKP ist symptomatisch für die zunehmende Radikalisierung im Spannungsverhältnis zwischen Staat und Religion. Am Anfang stand die schiitische Revolution im Iran 1979: Die sunnitischen Türken empfanden diese als Bedrohung. Sie fürchteten eine Ausbreitung und versuchten den nun offensichtlich zunehmenden Islamismus einzuhegen. Dies geschah zum einen durch Repression durch das Militär und die mit ihm verbundene laizistische Staatsführung. Zum anderen durch die Entstehung eines „islamischen Liberalismus“, wie der Soziologe Cihan Tugal, Autor des Buches „Das Scheitern des türkischen Modells“, das nennt.
Aus der „Wohlfahrtspartei“ Necmettin Erbakans, die in den frühen Achtzigern gegründet worden war, ging um die Jahrtausendwende eine Reformbewegung junger muslimischer Politiker hervor, die eine Verbindung aus Demokratie, freier Marktwirtschaft und moderatem konservativem Islam anstrebte – die AKP. Als Vorbild dienten unter anderem auch die USA, wo wirtschaftlicher Erfolg und Religiosität kein Widerspruch sind. In den Medien war damals auch die Rede von einer „türkischen CSU“, wenn es um Recep Tayyip Erdogans AKP in den ersten Jahren ihres Aufstiegs ging.
Und die AKP sorgte tatsächlich für Wirtschaftswachstum, ja sogar für ein Wirtschaftswunder, an dem nun breitere Bevölkerungsschichten partizipieren konnten. Gesellschaftspolitisch begann sich die Partei jedoch zusehends zu verhärten. Zum einen verlor sie das Vertrauen zum Westen, von dem sie glaubte, dass er etwa im Kurdenkonflikt zu einseitig, nämlich pro-kurdisch sei. Zum anderen standen Erdogan und seine Leute den zunehmenden Protesten gegen die AKP-Regierung, die in den Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks einen ersten Höhepunkt fand, völlig verständnislos gegenüber. Sie betrachteten die Gezi-Bewegung als (linke) Gefahr, die man zum Wohle des Staates eindämmen müsse. Die Macht der linksgerichteten Gewerkschaften hatte die AKP schon in ihren Anfangszeiten gebrochen.
Was bedeutet das nun für Österreich? Wichtig sei es, diesen ausländischen Einfluss – ob durch ATIB (der österreichische Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet), Millî Görüs (eine türkisch-islamistische Bewegung) oder die Muslimbruderschaft – zurückzudrängen, meint Efgani Dönmez. „Das sind lauter Reaktionäre, die die Uhren zurückdrehen, den Islam nicht vorwärtsentwickeln, sondern Freiheiten demontieren wollen.“
Auch Asdin El Habbassi, den muslimischen Nationalratsabgeordneten der ÖVP, stört, dass die politische Führung der Türkei ständig versuche, Kritik an der Türkei mit Kritik an der muslimischen Welt insgesamt gleichzusetzen. Grundsätzlich hält er – wenn man von radikalen Strömungen absieht – den Islam mit der Demokratie für vereinbar: „FDP-Chef Christian Lindner hat einmal gesagt: ,Die Verfassung eines Landes ist heilig – egal an was man glaubt.‘“ Wichtig sei auch für ihn die Trennung von Staat und Religion.
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