James V. Schall SJ
Friedensreligion oder
Gefahr für die Welt?
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Der Verfasser dankt den Betreibern der Webseiten Aleteia, Catholic Thing, Catholic World Report, Crisis, Ignatius Insight, MercatorNet, Homiletic and Pastoral Review, Fellowship of Catholic Scholars, Catholic Dossier und Vital Speeches of the Day für die Genehmigung, bis dato unveröffentlichtes Material abzudrucken.
Originaltitel: On Islam
A Chronicle Record, 2002–2018
© Ignatius Press, San Francisco 2018
Cover: Fotograf © Guenter Guni, iStockPhoto.com
Coverentwurf: John Herreid
DER ISLAM
Friedensreligion oder Gefahr für die Welt?
James V. Schall SJ
© Media Maria Verlag, Illertissen 2019
Übersetzung: Dr. Gabriele Stein
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-9479317-3-6
www.media-maria.de
Einleitung
Die sieben Trappistenmönche: die Welt ohne Reue
1.Hilaire Belloc über die »augenscheinlich unbekehrbare« Religion
2.Über den Islam
3.Märtyrer und Selbstmordattentäter
4.Der elfte September: fünf Jahre später
5.Politik und Physik: Stanley Jaki über die Wissenschaft im Islam
6.Die Ambivalenz des Islams
7.Eine dschihadistische Eroberung?
8.Die Brüchigkeit des Islams
9.Noch einmal Regensburg
10.Zum »Dialog« mit dem Islam
11.»Versuchen Sie zu verstehen«: Mossul
12.Der Islamische Staat
13.Lektionen aus Paris vom 7. Januar 2015
14.Christen, die enthauptet wurden
15.Dialoge ohne Lösungen
16.Über die »Ursachen des Terrorismus«
17.Ein »kriegerischer Akt«: Paris
18.Die Schießereien von San Bernardino: ein anderer Blickwinkel
19.Gedanken zum Roman Unterwerfung
20.Realismus und Islam
21.Orlando aus heutiger Sicht
22.Noch einmal: die Lehre von den zwei Wahrheiten
23.Manchester, London und die Ziele des Islams
24.Die Anschläge in Barcelona waren Teil eines sich ausbreitenden weltweiten Krieges
25.Über die Zukunft des IS
26.Was ist eigentlich der Koran?
Schluss
Nachwort
Bibliografie
Während des Philosophiestudiums hatte ich mich flüchtig mit den muslimischen Philosophen beschäftigt. Die Namen al-Fārābī, Averroës und Avicenna kamen in den Schriften des Aquinaten häufig vor. Genau genommen setzt sich die ganze Summa contra Gentiles mit der muslimischen Sicht auf Aristoteles, Plato, die Bibel und andere grundlegende Schriften auseinander. In gewisser Hinsicht wirkt es wie eine Ironie der Geschichte, dass der Voluntarismus, der für das muslimische Denken so maßgeblich werden sollte, beinahe identisch ist mit der Willensphilosophie, die dem öffentlichen Leben der westlichen Welt in großen Teilen zugrunde liegt. Der Voluntarismus vertritt die philosophisch-theologische Auffassung, dass es in den Dingen oder in der menschlichen Natur keine rationale Ordnung gibt. Hinter der gesamten Wirklichkeit steht ein Wille, der immer auch anders sein könnte. Er ist an keinerlei Wahrheit gebunden. Von jeder Position kann mit demselben Recht immer auch das Gegenteil gelten. Wenn alles, was existiert, nicht auf der Vernunft, sondern auf einem göttlichen oder menschlichen Willen basiert, dann kann das Böse gut und das Gute böse sein. Benedikt XVI. hat am 12. September 2006 in seiner Regensburger Vorlesung auf den Voluntarismus sowohl im Islam als auch im Säkularismus Bezug genommen.
Doch dass man sich in Europa ernsthaft mit der militärischen Kampfkraft der Muslime befasst hätte, schien mir Jahrzehnte zurückzuliegen. Christopher Dawson, Bernard Lewis und Arnold Toynbee allerdings – um nur einige zu nennen – waren sich über die Tragweite dieser Frage im Klaren.
Allem Anschein nach hatten sich die Wissenschaft, Philosophie, Theologie, Ökonomie und Literatur der neueren Zeit vor allem mit Fragen beschäftigt, die innerhalb der westlichen Zivilisation selbst aufkamen. Europa hatte in die übrige Welt einschließlich Chinas, Indiens, Afrikas sowie Nord- und Südamerikas expandiert. Die Schiffe der europäischen Mächte waren um das südliche Afrika herumgesegelt, das heißt, sie hatten die muslimische Welt, die die Landrouten in den Osten beherrschte, ganz einfach umgangen. Rund 200 Jahre lang waren die islamischen Gebiete von den Briten, Franzosen, Niederländern, Italienern, Portugiesen oder Russen kontrolliert gewesen. Die Deutschen hatten Interesse am Nahen Osten und an Teilen Afrikas bekundet und dort ihren Einfluss ausgeübt. Die Muslime galten größtenteils als rückständig, fanatisch und einer umfassenden Reform und Erziehung im westlichen oder gar christlichen Sinne bedürftig. Der intellektuelle Diskurs war weitgehend von den Fragestellungen der deutschen, englischen und französischen Philosophie beherrscht. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war überwiegend von Marx geprägt.
Vor diesem Hintergrund geht meine Aufmerksamkeit für den Islam als Weltmacht, mit der man rechnen muss, auf meine erste Lektüre von Hilaire Bellocs 1937 erschienenem Buch The Crusades zurück. Das Ende habe ich nie vergessen. Dort hieß es, dass der Islam, sollte er jemals wieder so mächtig werden wie einst, auch dasselbe tun würde wie damals: im Namen Allahs expandieren.
In den ersten zwei Jahrhunderten nach Mohammed eroberten muslimische Armeen Nordafrika, Spanien, den Nahen Osten und Teile Südeuropas und gelangten ostwärts bis nach Indien. Was mich – für manche vielleicht unverständlich – an Bellocs Ausführungen am meisten beeindruckte, war seine Erkenntnis, dass eine tot geglaubte Idee oder religiöse Bewegung jahrhundertelang schlafen und dann zurückkehren kann, um ihre ursprüngliche Mission zu erfüllen. In den Jahrzehnten zwischen Bellocs Buch und den Ereignissen im Vorfeld der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon (2001) war die Welt mit Kräften wie dem Nationalismus, dem Marxismus, der Demokratie und dem Sozialismus beschäftigt, die auch in den islamischen Gebieten nicht ohne Wirkung blieben.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nahmen mehrere Kommentatoren Bezug auf das, was Belloc in seinem Buch The Great Heresies geschrieben hatte: dass die christliche Zivilisation weniger als 100 Jahre vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg um ein Haar von einer muslimischen Armee überrannt und vernichtet worden wäre. »Wien […] wurde beinahe erobert und nur von der christlichen Armee unter dem Befehl des Königs von Polen gerettet – an einem Datum, das eigentlich zu den berühmtesten in der Geschichte zählen sollte: dem 11. September 1683.« 1Und – für diejenigen, die solche Geschichten mögen – noch einmal gut 100 Jahre früher konnte die Insel Malta einen massiven türkischen Flottenangriff unter dem Kommando von Sultan Süleyman des Prächtigen abwehren. Die berühmten Malteserritter unter Jean Parisot de La Valette hielten stand, töteten den algerischen Admiral Dragut und sahen zu, wie die geschlagene Flotte davonsegelte. Das war am 11. September 1565.
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