Der Schaden für die Opfer bei dieser Mobbingform besteht darin, dass sie immer abhängiger vom Urteil anderer werden und ihrem eigenen Urteilsvermögen überhaupt nicht mehr trauen, da sie ja täglich erfahren, dass mit ihnen offensichtlich etwas nicht in Ordnung ist, aber alle anderen trotzdem „nett“ sind.
Die bisher vorgestellten Mobbingformen unterscheiden sich nach der Aggressionsart. Zu einer weiteren Unterscheidung kommt man, wenn man die Menge der am Mobbingprozess beteiligten Personen betrachtet. So ist es für das Mobbingopfer wesentlich, ob es nur von einem Aggressor attackiert wird, oder von einer ganzen Gruppe. Mobbing kann schließlich auch zwischen Gruppen stattfinden. Dann spricht man von „Rudelmobbing“ 7.
Die Aggressionsform „Ausgrenzung“ kann nur im „Rudel“ erfolgen. Der Angreifer sucht sich Verbündete, mit denen er gemeinsam mobbt. Das hat für ihn zweierlei Vorteile: In der Gruppe ist man stärker und effektiver, gezielt und systematisch gegen ein Opfer vorzugehen. Darüber hinaus bietet die Gruppe eine scheinbare Rechtfertigung für die Aggression – das Feindbild wird ja von jedermann bestätigt – und in aller Regel Schutz vor Konsequenzen.
Prominentes Opfer von Rudelmobbing ist Ursula Sarrazin. Nachdem ihr Ehemann Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ einerseits großen Zuspruch, andererseits scharfe Ablehnung gefunden hatte, schoss man sich auch auf seine Ehefrau ein, die an einer Berliner Grundschule unterrichtete.
In einem Interview äußerte sich Ursula Sarrazin:
„Es scheint so zu sein, dass in einer bestimmten Klasse zwei bis drei Eltern türkischer Kinder üble Nachrede gegen mich üben, ohne dass mich je einer von ihnen aufgesucht hätte. Ebenso haben die Schulleitung und ein bestimmter Lehrer in dieser Klasse gegen mich gehetzt, indem sie vor den Kindern, ohne dass ich dabei war, Kritik an mir geübt haben. Die Schulaufsicht hat trotz mehrfacher mündlicher und schriftlicher Beschwerden meinerseits bisher nichts dagegen unternommen.“ 8
Schulleitung, Funktionäre der Bildungsgewerkschaft (GEW), einzelne Lehrer sowie Eltern türkischer Schüler intrigierten gemeinsam gegen Frau Sarrazin, um sie loszuwerden. Nachdem das nicht gelang, wurde sie mit dem Stundenplan benachteiligt. Als auch das nicht half, wurde eine regelrechte Mobbingkampagne in Gang gesetzt, um Frau Sarrazin dazu zu bringen, die Schule „freiwillig“ zu verlassen, was sie dann schließlich auch tat. 9
Formen und Taktiken unterscheiden sich, die Folgen aber sind gleich, denn egal, wie gemobbt wird, der Gemobbte wird von der Kommunikation abgeschnitten, verunsichert und am Ende verliert er sein Selbstwertgefühl und häufig auch seinen Arbeitsplatz.
3. Folgen des Mobbings
Mobbingfolgen für das Opfer
Mobbing ist eine perfide Form seelischer Gewalt, die sich meist unauffällig in Worten und Gesten nähert. Sie erniedrigt, nimmt die Selbstachtung, macht ohnmächtig, hilflos und oft auch krank.
Woran liegt es, dass Mobbing krank macht? Wir wissen, dass Kränkungen krank machen können. 10Beim Mobbing werden Kränkungen und alle anderen Formen seelischer Gewalt dauerhaft eingesetzt. Den immer wieder erfolgenden Aggressionen kann das Opfer nicht ausweichen. Es spürt seinen Kontrollverlust, seine Ohnmacht und Hilflosigkeit. Daraus folgen dann Niedergeschlagenheit, Antriebsarmut und Hoffnungslosigkeit. Können weder das Verhalten noch die Gefühle des Aggressors eingeschätzt werden, entsteht Angst, die wiederum die Immunabwehr schwächt und zu Kopfschmerzen, Verspannungen, Magen- und Darmbeschwerden führt.
Ingrid, 52:
„Nach dem Umzug habe ich einen neuen Job als Krankenschwester in einer Privatklinik gefunden. Mit einigen Kolleginnen kam ich aber von Anfang an nicht klar. Ich wurde gemieden, und hinter meinem Rücken wurde über mich permanent gelästert. Das hat mich richtig krank gemacht. Ich habe dann die Pflegedienstleiterin um Hilfe gebeten, aber die wollte sich raushalten und hat nur gesagt, dass wir die Probleme untereinander lösen sollten. Sie wolle sich da nicht einmischen. So bleibe ich den Mobberinnen weiter schutzlos ausgesetzt.
Jeden Abend weine ich mich nach Stunden erschöpft in den Schlaf. Oft wache ich nachts auf und grüble stundenlang. Morgens ist es dann eine Qual für mich, aufzustehen, mich anzuziehen und zur Arbeit zu fahren. Ich habe Angst vor neuen Angriffen, leide unter Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Übelkeit. Selbst meine Familie und meine Freunde erkennen mich nicht wieder. Sie beklagen sich darüber, dass ich mich so verändert hätte, depressiv geworden wäre und mich bei der kleinsten Kleinigkeit angegriffen fühlte. Ich will das nicht mehr. Das alles muss ein Ende haben, sonst ende ich eines Tages in der Psychiatrie. Ich habe keine Kraft mehr.“
Ingrids Beispiel macht deutlich, was Mobbing anrichten kann, obwohl es Verletzungen hinterlässt, die zunächst unsichtbar sind, die aber in sämtliche Beziehungen hineinwirken und am Ende einen Menschen seelisch und körperlich zerstören können.
Mobbing als Ursache von Krankheiten wurde inzwischen in die Lehrbücher der Psychotraumatologie aufgenommen; dies gilt aber noch nicht für die allgemeine medizinische Diagnostik – mit fatalen Folgen für Mobbingopfer bei Begutachtung und Therapie. Die Folgen des Mobbings sind schwerwiegend: In der Medizin spricht man vom „Posttraumatischen Stressyndrom“ 11.
„Mobbing hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die betroffene Person und das Unternehmen und die Gesellschaft. Die permanenten Schikanen führen in der Regel zu starker Verunsicherung, erhöhtem Misstrauen, Nervosität, Leistungsblockaden, Angst- oder Ohnmachtsgefühlen, Demotivation, innerer Kündigung oder sozialem Rückzug. Nicht selten kommt es zu Depressionen oder Suizid-Gedanken. Körperliche Symptome können Schlafstörungen, Kopf-, Magen-, Rücken-, Nackenschmerzen, Herzklopfen oder Atemnot sein.“ 12
Welche Auswirkungen Mobbing auf den Betroffenen hat, zeigt auch das Beispiel von Susanne, 27:
„Ich wurde einige Jahre in der öffentlichen Verwaltung massiv gemobbt und habe mich nach Schlafstörungen (Alpträume) und Angstattacken für einen Ausstieg entschieden, nachdem ich vergeblich versucht hatte, mir von diversen Institutionen oder Ansprechpartnern Hilfe zu holen. Nun ist es vorbei. Trotzdem bin ich immer noch damit beschäftigt, meine verwundete Seele wieder in Ordnung zu bringen. Die Mobbingerfahrungen am Arbeitsplatz waren für mich traumatisch, ich fühle mich wie nach einem langen Krieg. Ich bin fassungslos, wie Menschen sein können. Meine normalen Wertvorstellungen haben sich komplett gewandelt. Ich war immer leistungswillig und habe viel für meine berufliche Zukunft gemacht. Die Faulen sind weiter im Dienst und mobben und ich bin nun draußen. Das, was ich erlebt habe, hat mich total verunsichert. Obwohl ich meiner Arbeitsstelle schon längst den Rücken gekehrt habe, leide ich immer noch unter den Nachwehen des Mobbings. Ich bin in Therapie, um mich seelisch wieder zu stabilisieren.“
Die verheerenden Wirkungen von Mobbing werden schließlich offenbar, wenn der Mobbingprozess (s. Abschnitt: „Die Phasen des Mobbingprozesses“, S. 33) eine Eigendynamik entwickelt:
Mobbing bewirkt beim Betroffenen zunächst eine allgemeine Verunsicherung und Anspannung. Der Mitarbeiter versucht in dieser Phase, immer mehr zu arbeiten, achtet ängstlich auf Fehler, macht Überstunden und kann von seiner Arbeit auch nicht mehr abschalten. Dies wirkt sich natürlich auch auf andere Lebensbereiche aus – der Betroffene ist erschöpft, wird mürrisch, unfreundlich, misstrauisch oder sogar aggressiv. Aufgrund des systematischen und über längere Zeit andauernden Mobbings werden diese Verhaltensweisen zu typischen Reaktionen des Betroffenen. Der Gemobbte ist nicht mehr in der Lage, Kontakt zu anderen Menschen, insbesondere in seinem Arbeitsbereich, aufzunehmen. Um dies wieder zu können, bräuchte er Sicherheit und soziale Unterstützung. Immer mehr unbeteiligte Kollegen ziehen sich von ihm zurück, da er sich durch das Mobbing verändert hat und nun anders wirkt.
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