»Harsh?«, sagte Phil. »Dass ich nicht lache. Der hört doch auch bald auf.«
»Was?«
»Ja, Eva. Du bist echt nicht mehr auf dem Laufenden. Er hat jetzt sein Diplom oder wie das heißt und geht zurück nach Hause, in irgend so ein Kanakenland.«
»Das glaubst du doch selber nicht«, sagte ich. Dabei wusste ich, dass Harsh irgendwas studiert hatte. Er ist ja auch so ein kluger Kopf. Aber deswegen würde er doch nie das Catchen aufgeben. Er würde mich nicht einfach im Stich lassen, wo ich gerade mein Comeback vorbereitete.
»Nie im Leben«, sagte ich. »Er wird mein Privattrainer.«
»Träum weiter«, sagte Phil. »Er wird persönlicher Berater von irgendeinem Wirtschaftsboss im Kanakenland.«
»Was weißt denn du?«, sagte ich.
»Jedenfalls mehr als du«, sagte Phil. »Dass Harsh aufhört, zum Beispiel, und dass er von dir nichts wissen will. Und ich weiß, was eine Schnapsidee ist.«
»Du hast echt einen Gehirnschaden«, sagte ich.
»Und du bist und bleibst eine Nulpe, Eva.« Phil wandte sich seinem Kumpel zu, den ich nicht kannte, und sagte: »Sie war schon immer heiß auf Harsh. Für sie ist er so was wie ein Zen-Meister.«
»Als Mittelgewicht ist er nicht übel«, sagte der andere, weswegen ich ihn mir ein bisschen genauer ansah. Ganz so behämmert wie Phil konnte er nicht sein, wenn er Harsh lobte.
»Langweilig«, sagte Phil. »Mit Zen-Catchen kriegst du keine Halle voll.«
»Aber irgendwer muss es machen«, sagte der Fremde. Er hatte kräuselige Haare und karamellbraune Haut. Für mich sah er wie ein Schwergewichtler aus. Normalerweise sind die Schwergewichtler meine natürlichen Feinde. Gruff und Pete zum Beispiel. Aber dieser Typ schien ein bisschen mehr im Oberstübchen zu haben als Hühnerkacke. Also sagte ich:
»Wie heißt du, wenn man fragen darf?«
»Keif«, sagte er. »Und du?«
»Das ist Eva, der dicke, fette Käfer«, sagte Phil. »Lass dich lieber nicht vom Boss dabei erwischen, dass du mit ihr redest. Sie ist irre.«
»Du redest doch auch mit ihr.«
»Ich bin ja auch ein Star. Ich bin nicht mehr auf Probezeit wie du.«
»Der Boss kann mich mal«, sagte Keif. »Bei der Arbeit hat er mir was zu sagen. Er kann auch bestimmen, wann und wo ich auftreten soll. Aber er kann mir nicht vorschreiben, mit wem ich mich auf einer öffentlichen Straße unterhalten darf. Er ist schließlich nicht der liebe Gott.«
»Das glaubt er aber«, sagte Phil. »Und deshalb kommt es auf dasselbe raus. Hör auf mich. Sie macht bloß Ärger. Wer hat dir schließlich den ganzen letzten Monat gezeigt, wo es langgeht?«
»Du.«
»Also?«
»Also was?«, sagte Keif.
»Also hast du dir von einem Affen den Zoo zeigen lassen«, sagte ich.
»Du und ein Privattrainer«, höhnte Phil. »Du könntest dir doch noch nicht mal einen privaten Pisspott leisten.«
»Du hast ja keine Ahnung«, sagte ich. »In der letzten Zeit habe ich nicht schlecht verdient.«
»Siehst du?«, sagte Phil zu Keif. »Die spinnt doch. Alles Einbildung. Die hat noch nie Kohle gehabt. Harsh würde es nie schaffen, sie wieder auf Vordermann zu bringen. Dafür braucht man einen Presslufthammer. Du hättest sie mal sehen müssen, als sie noch in Form war. Neben ihr sah Godzilla wie Miss World aus.«
»Ja?«, sagte ich.
»Ja.«
»Siehst du?«, sagte ich zu Keif. »Manche von uns tun mehr, als sich die Haare zu färben, um im Ring Erfolg zu haben.«
Damit ließ ich sie stehen und trabte locker los. Ich hatte es ihnen gezeigt. Ich hatte das letzte Wort gehabt. Man beleidigt Eva Wylie nicht ungestraft.
Meine Puste reichte nur bis zur nächsten Ecke. Ich verfluchte Harsh.
»Scheiß Zahnbürste«, sagte ich. Was für eine Enttäuschung. Aber wie als Beweis dafür, dass mich das Glück doch noch nicht verlassen hatte, stand plötzlich ein verbeulter weißer Ford vor mir. Die Fahrertür war so verzogen, dass das Schloss fast von selber aufging. Er hatte nur auf mich gewartet. Hätte ich mir die Chance etwa entgehen lassen sollen?
Als ich zu Hause war, genehmigte ich mir eine kleine Stärkung. Stimmt, ich hatte Harsh gesagt, dass ich mit dem Trinken aufgehört hatte. Sie können sich also Ihre schlauen Bemerkungen sparen. Aber es war der letzte Rest in der Flasche. Den durfte ich nicht umkommen lassen. Ich spülte mit ein paar Dosen Bier nach. Aber Bier zählt eigentlich nicht richtig als Alkohol, finde ich zumindest. Bier haut nicht stärker rein als Mückenpisse. Deshalb zählt es nicht. Ist doch so.
Aber ich konnte meine Zahnbürste nicht finden. Ich suchte sie überall, aber sie war weg. Ich stellte den ganzen Hänger auf den Kopf, bis es mir zu blöd wurde. Bevor ich ins Bett ging, konnte ich mir einen ganzen Zentner Zahnbürsten kaufen, wenn ich wollte, oder jemand anheuern, der mir die Zähne putzte. Ich konnte sagen: »He, du, Diener Nummer vier, putz mir die Zähne, aber ein bisschen plötzlich. Ich erwarte Harsh zu Besuch, wir wollen auf der Veranda Cocktails schlürfen, und du weißt ja, dass er was gegen dreckige Beißerchen hat. Er ist nämlich Mr. Vornehm vom Planeten Nobel.« Was so ein Geldsack eben sagen würde. Sie glauben doch wohl nicht, dass die Reichen sich die Zähne selber putzen? Im Leben nicht.
Es war Abend, kurz nach sechs. Auf dem Schrottplatz kehrte Ruhe ein, und es wurde Zeit, das Tor abzusperren und die Hunde aus dem Zwinger zu lassen. Es regnete, der schneidende Wind ging mir bis auf die Knochen. Normalerweise hätte ich meine wattierte Jacke angezogen, aber ich konnte sie nicht finden.
Während ich mit dem Tor zugange war, fiel mir ein kleiner Renault Clio auf, der auf der anderen Straßenseite am Bordstein stand. Ich achtete nicht besonders darauf, weil ich nass und durchgefroren war und möglichst schnell wieder ins Warme wollte. Aber das Vorhängeschloss wollte nicht, und die Kette muckte auch auf.
Als die leise Stimme aus dem Dunkeln sagte: »Eva, bist du es wirklich?«, fielen mir zum x-ten Mal die Schlüssel aus der Hand, und ich sagte: »Verpiss dich. Ich habe zu tun.«
Komische Reaktion, den einzigen Mensch auf der ganzen weiten Welt abzuwimmeln, den ich wirklich sehen wollte.
Ich sagte: »Verpiss dich, ich habe zu tun«, und sie sagte: »Entschuldigung, ich wollte nicht stören.« Sie hatte einen schicken, langen Regenmantel an und ein kleines Schirmchen in der Hand, damit ihre Frisur nicht nass wurde. Im Licht der Laterne, das von hinten auf sie fiel, schien es, als ob es Diamanten auf sie regnete. Und sie sah mich an, als ob sie schon lange gewartet hatte. Auf mich.
Sie sagte: »Bist du es wirklich?«
Und ich sagte: »Wer?« Und dann setzte ich mich in eine Pfütze, weil ich plötzlich Pudding in den Beinen hatte. Im Magen war es mir auch ganz schwummerig geworden, weil ich wusste, wer sie war.
Ich sagte: »Simone.« Ich machte die Augen zu und kniff sie ganz fest zusammen. Denn ich wusste, wenn ich sie wieder aufmachte, würde sie verschwunden sein. Es konnte nur am Schnaps liegen, dass ich sie sah. Früher hatte ich jahrelang davon geträumt, dass sie eines Nachts zu mir zurückkommen würde. Manchmal träumte ich, dass sie, als ich Ma in ihrer Räuberhöhle besuchte, im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. Ich träumte, dass sie hinter der nächsten Straßenecke vor einem Schaufenster stand und ich sie erwischen würde, wenn ich nur schnell genug lief. Ich träumte, dass sie in einem Auto an mir vorbeifuhr und ich ihr Gesicht durch die spiegelnde Scheibe nicht genau erkennen konnte.
Aber etwas war diesmal anders. Wenn ich davon träumte, dass sie zurückkam, sah sie immer noch so aus wie früher. Als sie zwölf war und ich elf. Ich weiß nicht, warum. Mir ist klar, dass sie auch älter geworden sein muss, genau wie ich. Aber ich sah sie immer nur als hübsches Mädchen. Nie als erwachsene Frau in einem schicken, langen Regenmantel.
Читать дальше