Wir setzten uns oft nach dem großen Abendessen mit den fünf Gängen, es gab immer Brot, Wasser und Wein, an den Pinienbrunnen oder Kamin, erzählten bis in die Nacht unsere Erlebnisse.
Hier im Buch schreibe und beschreibe ich das bewegte, erfüllte und aufregende Malerleben von den anwesenden Künstlerinnen, Künstlern und von mir in Séguret. Auch die Geschichten, die mir oft erst zu später Stunde, am Brunnen sitzend, erzählt wurden.
Es war einmal …
Platane am Tor
Rohrfederzeichnung 2015
1991 – Seit einigen Wochen streifte ich täglich zum Malen durch die Lande. Wie immer mit Rucksack, Mappe und Malhöckerchen. Wenn ich am Morgen in die Landschaft lief, wusste ich oft nicht, wie lang sich der Weg bis zum Motiv erstreckte. Es sei denn, dass ich den Ort oder die bestimmte Stelle kannte. So war ich erfreut, als Gevehard im Atelier eintraf. Wir kannten uns aus vorherigen Aufenthalten. Seinen Vorschlag, mit Hans und mir zu einem Konzert in die Chartreuse de Valbonne zu fahren, nahm ich erfreut an.
Wir fuhren mit seinem Auto von Séguret aus in die Richtung St. Cécile und Bollène nach Pont St. Esprit. Weiter über die Rhône-Brücke in Richtung Ardèche. Erster Halt in St. Esprit.
Von den wunderschönen, jedoch sehr verfallenen Renaissance-Häusern mit den großen Freitreppen waren wir beeindruckt. Wir gingen staunend auf und ab und fotografierten die prunkvollen Gebäude und uns gegenseitig.
Meine Kollegen wollten unbedingt sofort zeichnen. Wie oft praktiziert, trennten wir uns für einige Stunden.
Ich war wie immer beim Erkunden neuer Landschaften und den Orten erfüllt vom Sehen, Aufnehmen und Einatmen der Atmosphäre, dass ich allein ging.
Ich spazierte die Treppen auf und ab bis zum Ufer der Rhône. Trotz der Mittagshitze war es am Wasser nicht zu heiß. Die Füße im warmen Sand, träumend konnte ich die Seele sprechen lassen. Kein Mensch war in der Nähe und störte meine Gedanken, diese gingen auch zurück in die Vergangenheit, erinnerten mich an meine große Liebe. Versunken nahm ich Stift und Papier zur Hand, das Gedicht, es schrieb sich von allein. Liebe ist der Titel.
Danach traf ich die Malkollegen, wir fuhren weiter. Noch Mittagshitze, gleißendes Licht und wenig Wind waren unsere Begleiter. Leise zitterten die Pappeln am Weg. Silbrig ihre Farben, Monet-Pappeln! Üppige Weinfelder, Rosenbüsche in der ersten Reihe leuchten auf. Der Fahrer des Wagens fuhr langsam, auch er genoss die einmalige Landschaft der Provence im Frühling. Grün, grau und rosé bis violett zeigte sich die Natur.
Es ist ein diffuses Licht, das Licht der Provence.
Valbonne liegt in einem Tal. Die Fahrt geht bergauf und bergab durch ein Waldgebiet. Gegen sechzehn Uhr haben wir unser Ziel erreicht, da das Konzert erst um zwanzig Uhr beginnen soll, haben wir Zeit, uns umzusehen.
Zuerst besichtigen wir die Klosteranlage. Im Kloster werden jetzt kranke Menschen beherbergt und betreut. Es gibt verschiedene Therapien für Alkoholiker und andere suchtkranke Menschen. Touristen können das Kloster zu bestimmten Zeiten besichtigen. Ein Café und Werkstätten befinden sich auf dem Gelände.
Voll Erwartung und Vorfreude auf das Konzert suchen wir einen geeigneten Platz zum Malen. Ich setze mich an den Rand eines riesigen Lavendelfeldes unter einen Maronenbaum. Der Lavendel ist noch nicht aufgeblüht, nur ein wenig Rosa und Blau ist zu sehen.
Es entsteht eine farbige Zeichnung der Landschaft. Später sah ich, dass Hans Hess mich bei der Arbeit gezeichnet hatte.
Es wird Abend, wir setzen uns unter die alten, mächtigen Bäume in den Klosterhof und breiten ein großes, farbiges Tuch aus. Das mitgebrachte Abendessen mit reichlich Rotwein aus der Vaucluse ist ein Genuss!
Später nehmen wir unter alten, riesigen Kastanienbäumen die Konzertplätze ein. Hunderte von Gästen finden in den Stuhlreihen einen Sitzplatz. Fast ohne Dämmerung wird es plötzlich dunkel. Doch schon nach einigen Minuten hat sich das Auge daran gewöhnt und ich sehe wieder Farben am Himmel. Auch die Chöre aus Nimes und die Interpreten treffen langsam ein.
Es ist still, nur die Rufe einiger Nachtvögel sind zu hören. Im lauen Nachtwind suchen Insekten das Licht der wenigen Lämpchen auf.
Erst um 21 Uhr beginnt das Konzert. Wir hören die Messe von Schubert und zum Schluss das Ave Verum von Mozart.
Lange, lange war es still, bevor der Beifall erklang. Für mich war es das Konzert des Jahres. Nie vordem und nachdem habe ich ein Konzert in dieser Art so intensiv gehört, erlebt und in mich aufgenommen.
Die Atmosphäre unter den großen, alten Bäumen, die stillen Menschen in der Nacht, es war himmlisch. Ein ganz besonderer Zauber, der anhielt, bis wir weit nach Mitternacht wieder in Séguret eintrafen. Tagelang ließ mich das Konzert nicht los.
Noch immer aufgewühlt mit all den Gefühlen und der Liebe in mir malte ich das Bild …
›Erinnerung an die Chartreuse‹
Bizarre Landschaft der Provence
Tuschezeichnung 2015
Ausflug in die Camargue
Der Brunnen plätschert seine Melodie, es ist nicht zu warm und angenehm, dem gleichmäßigen Tröpfeln zu lauschen.
Die Glocke vom Uhrturm läutet, vereinzelt gehen Touristen durch unsere Gasse. Nicht so viele wie im Sommer, denn der Herbst zeigt sich in den Weinfeldern. Die Blätter der Bäume und Büsche werden von Tag zu Tag farbiger. Zuerst vereinzelte Weinstöckchen, dann ist plötzlich die perfekte Farbtabelle zu sehen, wie in jedem Jahr.
Theo tritt neben mich, spricht mich an: »Hast du Lust, mit mir nach Vaison-la-Romaine zu fahren? Ich bin nicht gern allein unterwegs.«
Er schaut mich erwartungsvoll an, verzieht den breiten Mund zu einem Lächeln.
Sein Lächeln sieht aus, als wollte er sogleich in Tränen ausbrechen.
Theo kommt aus Reute in Tirol, ist von Beruf Graphiker und viel älter als ich. Einige der anwesenden Künstlerinnen und Künstler im Atelier konnten ihn bereits in vorhergehenden Aufenthalten kennenlernen.
Da ich neu im Atelier bin, war es mir bisher nicht vergönnt. Theo sagt, in jedes Bild, in jede Arbeit gehören drei rote Pünktchen. Er hält sich immer daran. Bei »Pünktchen« fällt mir eine lustige Episode ein.
Als vor einigen Jahren mein französischer Freund Robert in der deutschsprachigen Schweiz zum Hotelfachmann ausgebildet wurde, musste er auch in der Küche helfen. Es war schrecklich heiß und er sagte laut und deutlich: »Ist das schwul hier«, damit hatte er seinen Spitznamen ›Pünktchen‹ für die Zeit der Ausbildung weg. Na, und mit Theos Pünktchen ist es eine andere Sache.
Mit seiner Meinung bin ich nicht einverstanden. In eine Schwarz-Weiß-Zeichnung gehören für mich keine roten Pünktchen.
Was nun, da ich ohne ein Auto selten nach Vaisonla-Romaine kommen kann, nehme ich sein Angebot wahr. Theo fährt über die Römerbrücke nach oben in die imposante Altstadt und wir schauen uns den mittelalterlichen Ort an. Später sitzen wir bei guter Aussicht gemütlich auf der Terrasse des ›Hotel Beffroi‹. Obwohl es noch am Nachmittag ist, bestellt Theo ein kleines Menü für sich.
Ich erfahre, dass er im Atelier nicht alles isst, am Essen mäkelt. Alles, was weiß aussieht, lehnt er ab, ohne es zu verkosten, auch die köstlichen Käsesorten, Kuchen und Desserts. Dabei ist das große Abendessen immer ein köstliches Erlebnis.
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