Heute bin ich allein hier, entsinne mich, dass es nicht das erste Mal ist, dass Künstler absagten.
Vieles hat sich seit 1981, als ich den ersten Studienaufenthalt für einen Monat hatte, geändert. Meine Gedanken gehen zurück zum Anfang, als Herr Arthur Langlet mich am Bahnhof in Orange abholte. Er hielt ein Passbild von mir in der Hand und fragte nach meinem Namen.
Als wir das Gepäck aus der Aufbewahrung holen wollten, war es noch nicht da. Herr Langlet tröstete mich mit den Worten: »Dafür zeige ich Ihnen den ›Arc de Triomphe‹ in Orange.« Und das am Morgen um sieben Uhr.
Der Künstler Arthur Langlet hat das Atelier im Jahr 1957 für Künstleraufenthalte gegründet. Künstler aus vielen Nationen konnte auch ich kennenlernen. Immer Stipendiaten aus Japan und zweimal im Jahr aus Münster, Letztere waren sehr gute Graphiker.
Oft konnte ich zweimal im Jahr kommen, für mich ist Séguret zur zweiten Heimat geworden, mein kleines Paradies.
Dabei fällt mir folgende Sage ein:
»Als Gott alle Erdteile mit Mensch, Tier, Pflanzen, Bergen, Wüste, Meer und Flüssen geschaffen hatte, blieb von jedem etwas übrig.
Gott dachte nicht lange nach und gab alle Reste in das Stück Land, das wir die Provence nennen. Er rief erfreut aus, das soll mein Paradies auf Erden sein!«
Der Ort Séguret ist eines der schönsten Dörfer Frankreichs, in der Provence. Es ist umgeben von Weinfeldern, Zypressenhecken, Pinien und kleinen Gärten an der Stadtmauer.
Die Burg, Häuser und die Stadtmauer wurden im zwölften Jahrhundert erbaut. Der seit Römerzeiten erbaute Ort liegt in 250 Metern Höhe über dem Rhônetal. Séguret wird von der einen Seite durch das Massiv der Dentelles de Montmirail und von der anderen Seite vom Mont Ventoux beschützt. Seit meinem ersten Aufenthalt hat sich im Ort vieles geändert.
Es gab zum Beispiel einen Laden für Brot, allerlei Lebensmittel, Schreibwaren, Kosmetikartikel, Seifenzeug, Wurstwaren und vieles mehr. Bei uns in Deutschland Tante-Emma-Laden genannt.
In diesem Lädchen holten die Einwohner und auch wir Künstler auf Zeit am Morgen das Brot und alles, was gebraucht wurde. Als dieser Laden vor einigen Jahren geschlossen wurde, übernahm das örtliche Bistro den Verkauf.
Im Bistro gab es fast alles zu unterschiedlichen Zeiten. Wie in Frankreich üblich, immer am Morgen frisches Baguette und Croissants. Lustig, in der Nacht die Einkäufe zu tätigen und Milch oder Seifenzeug zu kaufen, wenn es fehlte.
Doch nun hat dieser Besitzer gewechselt. Es gibt im Ort seither keine Möglichkeit zum Einkaufen.
Ein weiteres Restaurant und der Salon de Thé laden Touristen und die Künstler ein.
Der Geheimtipp seit Jahren: In der Ebene von Séguret besitzt Madame Monique ein Lebensmittellädchen und das Hotelchen.
In sieben Kilometern Entfernung liegt der Ort Vaison-la-Romaine. Dort sind die römischen Ausgrabungen zu besichtigen und an jedem Dienstag in der Woche ist Markt.
Der Markt ist seit vielen Jahren der schönste und älteste Markt in der Provence. Darauf freue ich mich Jahr für Jahr, auch wenn ich nichts einkaufen möchte. Auf die herrlichen Düfte, Geräusche, Blumen, Obst, Gemüse, exotischen Speisefischen, dazu Menschen, Musik und Leben in allen Gassen.
Nichts als Malerei war mein größter Wunsch, seit ich denken kann. Vorerst begnügte ich mich mit der Gestaltung in allen Variationen, denn es dauerte noch viele Jahre, bevor ich mit der Malerei und Bildhauerei beginnen konnte.
Die Ausbildung in der Gutenbergschule Leipzig zur Schriftsetzerin brachte mir erste Erfolge mit der Schrift, Gestaltung und im Umgang mit Farben, dem Zeichnen und Entwerfen.
Das Kennenlernen verschiedener Papiersorten war und ist auch in der Malerei von Vorteil. Ich liebe Papiere und habe immer einen größeren Vorrat im Atelier.
1979 – Nicht mehr ganz jung, um noch einmal ein neues Leben zu beginnen, wagte ich den Sprung einer Neuorientierung. Endlich konnte mein Traum von der Malerei und Graphik Wirklichkeit werden. Im Kurs an der Volkshochschule in Braunschweig arbeitete ich an einer Mappe für die Bewerbung zur Kunsthochschule.
1980 empfahl mir ein Lehrer, nach Frankreich in das ›Atelier Artistique International de Séguret‹ zu fahren. Er kannte den Künstler von seinen Provencereisen.
Da ich Bedenken hatte, angenommen zu werden, schrieb Herr Hinrichs an den Künstler Arthur Langlet und empfahl mich.
Ich wurde aufgefordert, Fotos meiner Arbeiten und meinen Lebenslauf zu schicken.
Im Januar 1981 kam der Brief mit der Bestätigung für den ersten Studienaufenthalt im Atelier.
Seit dem ersten Aufenthalt war ich fast jedes Jahr in der Provence, in Séguret. Heute kann ich mit Gewissheit sagen, es hat meine gesamte künstlerische Laufbahn, mein Leben überhaupt, beeinflusst. Dort konnte ich viele interessante, bekannte und auch unbekannte Künstlerinnen und Künstler aus anderen Ländern treffen, durch das Schauen lernen.
Zurück in Deutschland habe ich immer großes Heimweh nach Séguret, nach der Provence überhaupt. Nicht ohne Grund malten viele der bekannten Impressionisten und Expressionisten, Künstlerinnen und Künstler aus vielen Ländern in der Provence.
Der Hauptgrund ist das Licht.
Matisse schrieb einmal:
»Als mir klar wurde, dass ich jeden Morgen dieses Licht wiedersehen würde, konnte ich mein Glück kaum fassen.«
Dieses Gefühl hat auch mich überfallen, dazu der Duft, die Wärme, Farbigkeit, die Leichtigkeit und der Himmel der Provence.
Der Gegensatz:
Die graue und rosa Provence.
Wichtig ist für mich, diese Geschichten von Künstlern und Künstlerinnen aus verschiedenen Ländern zu erzählen – loszulassen.
Es spielt dabei keine Rolle, ob ich sie selbst erlebte.
Viele Ereignisse finden dank der Erzählbarkeit statt.
Rue des Poternes
Rohrfederzeichnung 2009
Erster Studienaufenthalt 1981
In den ersten Jahren war es nicht so einfach, einen Platz im Atelier zu bekommen. Künstler vieler Nationen nahmen Aufenthalt für mindestens einen Monat.
Ich malte erst seit einem Jahr. In der Volkshochschule kam es zu einem Gespräch mit dem Kunstlehrer Herrn W. Hinrichs. Er sah, wie gut ich mit Farben umgehen konnte, wie ernst es mir mit dem Lernen, Gestalten und Malen – nichts als Malerei – war.
Im Frühjahr 1980 erzählte ich, dass es mir endlich möglich sei, eine Reise zu unternehmen. Daraufhin erzählte Herr Hinrichs begeistert von seinen jährlichen Reisen in die Provence, schilderte Südfrankreich in den schönsten Farben und sagte: »Für Sie wäre es das Beste, einmal in ein Atelier in diese märchenhafte Landschaft zu fahren, um das besondere Licht der Provence, das Licht der Maler, einzufangen.« Er lächelte verträumt und weitere Malschüler stellten sich neben uns.
»Im vergangenen Jahr, auf meiner Fahrt durch die Vaucluse, kam ich zufällig in den Ort Séguret und konnte dort den Künstler Arthur Langlet, seine Frau und einige anwesende Künstlerinnen und Künstler kennenlernen.
Herr Langlet zeigte mir die Werkstätten und lud mich für einige Tage in das Atelier ein«, sagte der Lehrer.
»Es gibt im Atelier keinen Unterricht, Herr Langlet bietet jedoch Kurse für Lithographie und Radierung an und hilft bei dem Drucken kleiner Auflagen. Die Fotowerkstatt kann ebenfalls genutzt werden. Korrekturstunden für neu entstandene Arbeiten kann man bei dem Künstler Herrn Arthur Langlet buchen. Was meinen Sie dazu, junge Frau, ist das etwas für Sie?«
Erstaunt sah ich den Lehrer an: »Ja sicher, ich glaube aber kaum, dass ich, die Anfängerin, genommen würde. Wo könnte ich mich dafür bewerben?«
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