»Für einen Aufenthalt im ›Atelier Artistique International de Séguret‹ sollte man sich möglichst schon im Herbst für das kommende Jahr bewerben. Ich gebe Ihnen die Adresse, Sie legen dem Brief einen Lebenslauf und einige Fotos Ihrer Arbeiten dazu.«
Da ich zu dieser Zeit noch in keiner Weise von meinem Können oder Talenten überzeugt war, bat ich Herrn Hinrichs, für mich nach Séguret zu schreiben und mich zu empfehlen. Lächelnd versprach er es.
Im Herbst des Jahres 1980 bekam ich einen Brief aus Frankreich. Frau Langlet teilte mir mit, dass ich die besagten Fotos und eine Vita schicken möchte.
Sie und ihr Ehemann würden danach entscheiden, ob und wann ich für einen Monat kommen könnte. Meine Spannung wuchs von Tag zu Tag. Ich malte erst seit einem Jahr, es war wenig, was ich dieser Prüfung für würdig hielt.
Große Freude, im Dezember kam die Nachricht auf meine spärliche Fotodokumentation. Meiner Reise stand nichts im Weg, der erste Aufenthalt für einen Monat war reserviert. Ich war beglückt und aufgeregt zugleich.
Mit Herrn Hinrichs besprach ich, was für Material für die Reise geeignet wäre. Er sagte mir, ich müsse unbedingt eine Feldstaffelei aus Metall mitnehmen, denn der Mistral sei ein starker, kalter Wind, der aus dem Norden kommt.
Selbst Van Gogh hatte immer große Schwierigkeiten mit dem Wind, obwohl er einen mit Steinen gefüllten Jutesack an die Staffelei band. Der Wind riss sie wieder und wieder um.
Außerdem hatte ich für mein Kommen den Monat April bestätigt, ohne zu wissen, dass es dann besonders windig und kalt sein würde. In den mittelalterlichen Gebäuden kann zum Teil im Winter nicht geheizt werden, die Mauern heizen sich erst im Sommer wieder auf.
Ich machte mir ebenfalls keine Gedanken darüber, dass ich kein Wort Französisch sprach. Denn ein Wörterbuch kam mit in das Reisegepäck.
Im März des Jahres hatte ich mich von meinem Ehemann getrennt, eine erste Atelierwohnung bezogen, es begann ein neues, selbstständiges Leben voll Ungewissheiten.
Neugierig auf das Leben mit der Malerei, 44 Jahre jung, was sollte mir geschehen? Meine drei Söhne waren aus dem Haus und selbstständig.
Seit meinem fünften Lebensjahr wollte ich malen. Durch viele Widrigkeiten in meinem Leben, konnte ich damit erst jetzt beginnen. Dass die Malerei und Bildhauerei einmal mein Beruf werden könnte, dachte ich noch nicht.
Ich wollte ursprünglich Publizistik studieren und musste, wie in der DDR üblich, erst einen praktischen Beruf erlernen. In der Gutenbergschule und zeitgleich im Betrieb ›Deutsche Graphische Werkstätten Leipzig‹ wurde ich zur Schriftsetzerin ausgebildet. Auch während der Ehezeit arbeitete ich teilweise in diesem Beruf.
Wichtig war, dass ich als Schriftsetzerin den Umgang mit Farben, Papieren und Schriften beherrschte, da es mir jetzt und immer wieder zugutekommt, hilfreich in der Malerei und Graphik ist. Besonders bei dem Gestalten von Künstler-Büchern.
Zu meinem ersten Aufenthalt 1981 in Séguret
Am ersten April begann für mich die große Fahrt in eine andere Welt. In Braunschweig hatte ich mir das nötige Material, einen Malhocker und eine Feldstaffelei, gekauft. Den großen Koffer mit Farben, Leinwänden, Kleidung, Sonnenhut und Malblöcken hatte ich per Bahn vorausgeschickt, was heute leider nicht mehr möglich ist.
Ich konnte mir nur eine einfache Fahrkarte mit Sitzplatz, keinen Liegewagenplatz leisten. Das bedeutete leider ab Braunschweig 21 Stunden Zugfahrt, inklusive Umsteigezeiten.
Erstes Umsteigen in Hannover in einen Zug nach Basel. In Basel in einen Zug Richtung Marseille. Ab Basel hatte ich zum Glück eine Platzkarte, der Zug war übervoll. Eine lange Fahrt, was würde mich erwarten?
Undefinierbare Gerüche und Geräusche im Wagen ließen mich nicht einschlafen.
Gegen drei Uhr in der Nacht war der Ort Valence endlich erreicht – wieder umsteigen.
Inzwischen war es der erste April und Frühling in der Vaucluse, es wehte ein lauer Wind, roch nach Frühling und nach Frankreich.
Diese Gerüche werde ich im Leben nie mehr vergessen. Wenn ich heute in Avignon ankomme, sagt mir der Duft, ich bin wieder zu Hause.
Die Fahrt sollte erst gegen fünf Uhr weitergehen, also suchte ich den Warteraum auf.
Der Warteraum in der zweiten Klasse war überfüllt, Menschen lagen schlafend auf Bänken und Tischen. Das kannte ich so noch nicht.
Sehr müde begab ich mich in den Warteraum der ersten Klasse, er war fast leer. Sofort kam ein Bahnbeamter und verlangte meine Fahrkarte, sah sie an und verwies mich des Raumes.
Bepackt mit Mappe, Reisetasche, Hut, Schirm und Staffelei ging ich aus dem Bahnhofsgebäude hinaus auf die Straße und lehnte mich an eine Wand, das Gepäck dicht an mich gepresst.
Es dauerte nicht lange und Männer, Franzosen, kamen auf mich zu, sie sprachen mich an, wollten etwas von mir. Obwohl ich sie nicht verstand, erahnte ich ihre Wünsche.
Unweit von mir standen leicht bekleidete Frauen, sie hatten kein Reisegepäck dabei. Es blieb mir nichts anderes übrig, als wieder in den Wartesaal der ersten Klasse zu gehen, und ich wurde erneut hinausgebeten. Nach geraumer Zeit versuchte ich es wieder, um sitzen zu können.
Es ging gut, der Beamte kam nicht noch einmal. Als es heller wurde, fuhr der Zug nach Orange, meinem Endziel entgegen. Es waren nur vier Wagen und eine Menge Reisende, viele Spanier, auf dem Bahnsteig, denn es war Wochenende.
Schnell stieg ich in den ersten zu erreichenden Wagen, der Zug fuhr ab.
Keine Beleuchtung, es war dunkel im Gang. Ein Schaffner verlangte meine Fahrkarte, redete auf mich ein, nahm meine Hand und zog mich zum Ende des Wagens. Nun merkte ich, dass ich im Schlafwagen für Männer gelandet war. Der Schaffner schloss die Tür zum nächsten Wagen auf, ich freute mich, dachte, er würde mir einen Sitzplatz besorgen.
Weit gefehlt, er warf mich förmlich auf den Perron des nächsten Wagens und schloss die Wagentür hinter mir ab.
Der Perron war voll besetzt, Männer saßen auf dem Boden, ich musste auf einem Bein stehen, das andere hing zwischen Staffelei und Reisetasche.
Die Mitreisenden sahen mich mitleidig an, mir ging es schlecht. Lyon kam in Sicht, einige Reisende stiegen aus, ich konnte besser stehen.
Ich sah die Rhône, die Sonne ging auf! Sonne im Tal der Rhône, ein überwältigender Anblick, ich fieberte der nächsten Station Orange entgegen.
Kein Mensch erwartete mich am Bahnsteig in Orange, kein Schild: »Hier nach Séguret«, war zu sehen. Ich ging durch einen Tunnel, um in die Bahnhofshalle zu gelangen und … dort stand ein kleiner Mann in kurzer Hose. Er sah freundlich aus, hatte ein Bärtchen und lustige, listige Augen strahlten mich an. Arthur Langlet mit meinem Passfoto in der Hand, so war es vereinbart.
An der Gepäckausgabe erfuhren wir, dass mein großer Koffer noch nicht eingetroffen war. Herr Langlet tröstete mich mit den Worten, er werde mir nun gleich den ›Arc de Triomphe‹ zeigen, als Ersatz für den fehlenden Koffer. Und das am Morgen gegen sieben Uhr. Begeistert war ich nicht, denn er hatte einen Fahrstil, den ich nie vergessen werde.
Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, als mich Herr Langlet nach Séguret fuhr.
Entschädigt hat mich dann diese mir unbekannte, wunderschöne Landschaft, die Fahrt durch kleine Orte, vorbei an Weinfeldern und Olivenbäumen.
Es sollte ein herrlicher Frühlingstag werden und noch viele Tage und Jahre in der Provence folgen. In vergangenen Jahren konnte ich verschiedene Künstlerinnen und Künstler und oft ihre Begleiter im Atelier kennenlernen.
Immer wieder gab es Erlebnisse mit interessanten Menschen, mit der Kunst und meinen ungemalten Bildern, die noch in meiner Seele wohnen. Wann werde ich diese malen, malen können?
Traurige und lustige Geschichten konnte ich erleben, andere wurden mir erzählt, wenn ich mit Künstlern unterwegs war oder auch am Abend auf der kleinen Terrasse.
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