»so etwas wie ein pädagogisches Modell« sei,
»um Kernkraftgegner zum wahren Glauben zu bekehren«. Weil von vornherein – unbewusst oder bewusst? – fehlerhaft konzipiert, konnte die Anlage niemals bei voller Leistung betrieben werden. Die meiste Zeit stand sie wegen technischer Probleme und Reparaturbedarfs still. Im Sommer 1988 wurde der GROWIAN – der während seines Testbetriebes von fast vier Jahren lediglich 420 Stunden Betrieb aufweisen konnte – endgültig stillgelegt und wieder abgerissen. Nach der Energiekrise 1973/74 erfolgte aber ein erneuter Startschuss, um die Erdölabhängigkeit zu reduzieren. In der Folge der ersten kleineren, hier und dort aufgestellten Windräder wurden diese Bemühungen später vor allem durch die Bundesregierung mit dem neuen Gesetz für den Vorrang Erneuerbaren Energien vom März 2000 forciert. Immer mächtiger wurden seitdem die hohen Masten, umfangreicher deren Flügel, gewaltiger die Leistung, zahlreicher die Windparks sowohl auf dem Lande als auch in unseren Küstengewässern. So rasch und offensichtlich planlos wuchsen diese, dass man es bis heute noch nicht schaffen konnte, all die erzeugten Wind-Energiemengen auch dorthin zu befördern, wo sie gebraucht werden.
Diese GROße WIndenergieANlage (GROWIAN) entstand 1987 als einer der ersten Versuche zur alternativen windangetriebenen Energieerzeugung im schleswig-holsteinischen Kaiser-Wilhelm-Koog. Ihr war kein gutes Omen beschieden: Wegen grundsätzlicher Fehlkonzeption hatte sie mehr Pannen und Stillstand als brauchbare Funktionszeiten und wurde 1988 abgewrackt. Der Turm sowie eines der Rotorblätter werden im Technik-Museum in Sinsheim ausgestellt. Das Foto wird mit freundlicher Genehmigung von Mr. Paul Gipe – weltbekannter US-amerikanischer Spezialist für Regenerative Energien – wiedergegeben (Photo by Paul Gipe – All rights reserved).
Ungeahnte Hindernisse bauten sich da auf: Den einen sind die riesigen Strommasten, den anderen die um ein Vielfaches kostspieligeren unterirdischen Kabeltrassen ein Dorn im Auge. Die derart entstandenen Staus bei Stromerzeugung und -transport verschlingen Unsummen, und diese gehen schamlos – den Letzten beißen bekanntlich die Hunde – zu Lasten der Verbraucher-Portemonnaies. Schade! Natürlich kann die Menschheit auf Dauer nicht ohne alternative – und vor allem auch absolut verbrennungslose – Arten der erneuerbaren Energiegewinnung überleben. Dennoch kann sich der Autor beim Anblick der pausenlos rotierenden Giganten sowie der während der Nacht unaufhörlich blitzenden oder rot blinkenden Umgebung nicht der nostalgischen Sehnsucht nach den ehemals von harmonischen Landschaften gesäumten formschönen und sanften Windmühlen erwehren.
Manfred Eisner, im Herbst 2016
»Nichts ist mehr so, wie es früher einmal war!« Oma Clarissa legt mit einem tiefen Seufzer des Bedauerns den Courier beiseite und setzt die Lesebrille ab.
»Wie meinst du das, Abuelita?« Nili sitzt mit ihrer Mutter Lissy und der Omi vor dem wohlige Wärme ausstrahlenden Kamin im Wohnzimmer vom Onkel Suhls Haus in Oldenmoor, der kleinen Stadt in den Elbmarschen. Der Februar hat bisher relativ wenig Niederschlag gebracht, bedingt durch das stabil herrschende Hochdrucksystem über Norddeutschland mit seinen rekordverdächtigen Niedrigtemperaturen. Draußen ist es eisig kalt und das Thermometer zeigte in der letzten Nacht minus 15 Grad Celsius an. Deswegen machen es sich die drei Frauen an diesem späten Samstagnachmittag auf Sofa und Sessel dicht vor dem Kamin gemütlich.
»Ach, Kindchen! Ich meine ja nur so. Als ich noch ein Kind war, war das Lebenstempo viel gemächlicher. Man ließ alles ruhiger angehen, die Leute hatten – oder besser gesagt nahmen sich – für sich selbst und ihre Familien und Freunde viel mehr Muße, obwohl die tägliche Arbeitszeit doch erheblich länger war als heute. Ich möchte nicht das Gezeter hören, wenn man auf eine 48-Stunden-Woche zurückkehren wollte. Die alltäglich geläufigen Begriffe ›Stress‹ und ›Burn-out‹ waren absolut unbekannt, das Leben verlief in ruhigeren Bahnen. Obwohl – das muss ich fairerweise einschränken – dieses Idyll mit dem Aufkommen der Nazis und schließlich der Machtergreifung Hitlers ein abruptes Ende fand.«
»Nun ja, liebe Oma, die Zeiten ändern sich, das ist nun mal so. Immerhin arbeiten viele Leute auch heute weit über das vorgegebene Maß hinaus. Sieh mal, ich muss erst wieder am nächsten Donnerstag zum Dienst, weil ich so viele Überstunden abzufeiern habe.«
»Ja, ja, ich weiß! Die Zeit lässt sich eben nicht zurückdrehen. Aber das, was jetzt hier um uns herum passiert, ist auch nicht gerade beruhigend. Die eskalierenden Auseinandersetzungen von Befürwortern und Gegnern der Windkrafträder in unserer Region machen mir doch Sorgen. Heute berichtet Maddes Neffe, Jan-Jürgen Ploog, in seinem Leitartikel des Courier von den kontroversen Argumenten der heftig aufeinanderprallenden Eiferer auf beiden Seiten. Da wird mit echt harten Bandagen gerungen.«
»Wat dem eenen sin Uhl, is dem anneren sin Nachtigall!«, zitiert Ima Lissy auf Plattdeutsch. 1
»Ja, Ima, stimmt! Aber es muss doch möglich sein, auch hier einmal Vernunft walten zu lassen und den realen Bedarf an erneuerbaren Energiequellen nüchtern und etwas leidenschaftsloser zu erörtern. Es ist wahr, dass die von der Bundesregierung als Reaktion auf die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima – zwar leider ohne die gebotene Vorausplanung – verordnete Kehrtwende mit Ausstieg aus der Atomenergie eher populistischer Natur war und sozusagen aus Frau Merkels Bauch heraus erfolgte, um von vornherein den Atomgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ebenso wahr ist aber, dass wegen der hierdurch verursachten Kluft in der Stromerzeugung für die nach und nach stillgesetzten Kernkraftwerke schnellstmöglich Ersatz geschaffen werden muss. Hier im Norden haben wir als alternative Energiequellen nur bedingt etwas Sonne, dafür jedoch Wind im Übermaß zu bieten. Eine weitere Verschmutzung der Umwelt durch CO 2- Emissionen von mit Gas, Kohle oder Erdöl betriebenen Kraftwerken können wir uns überhaupt nicht mehr leisten, im Gegenteil: Diese müssen ebenfalls nach und nach abgeschafft werden.«
»Bravo, Nili, besser konnte es selbst unser Jan-Jürgen in seinem Plädoyer nicht formulieren«, bestätigt Clarissa. »Doch leider steht der menschlichen Vernunft meist die maßlose Geldgier im Wege. Dadurch werden gelegentlich intime Freundschaftsbande und familiäre Verbindungen zunichtegemacht. Im Artikel wird erwähnt – allerdings ohne Nennung der Namen –, wie sehr die Mitglieder einer gewissen Bauernfamilie wegen der Errichtung dreier Windräder auf ihrem Acker ernsthaft zerstritten, ja sogar verfeindet sind.«
»Das erinnert mich an den alten Witz vom Josele«, kommentiert Lissy mit einem verschmitzten Lächeln.
»Welchen meinst du denn, mein Kind?«, fragt Oma Clarissa.
»Ach, Ima, erzähl doch bitte!«, bettelt Nili.
»Also gut.« Lissy räuspert sich. »Eines Tages kommt der Josele zum Rabbi. Fragt der Rabbi: ›Nu, Josele, was hast du?‹ Der antwortet: ›Rebbe, ich versteh die Welt nicht mehr!‹ Fragt der Rabbi: ›Wieso? Was ist passiert?‹ – ›Nun ja‹, antwortet Josele, ›der Moischele und ich sind gewesen wie Brüder. Wir kennen uns seit der ersten Kindeszeit. Wir waren zusammen im Kindergarten, dann in der Schule. Wir haben geheiratet zusammen ein Zwillingspaar, hatten eine gemeinsame Hochzeit. Alles war wunderbar bis letzte Woche, da hat der Moischele plötzlich gewonnen im Lotto, sechs Richtige mit Zusatzzahl. Hat gemacht zweieinhalb Millionen. Und jetzt plötzlich tut er so, als ob er mich nicht kennt. Ich bin für ihn ein Fremder, hat er mir gesagt. Rebbe, ich versteh die Welt nicht mehr!‹ – ›Mm…‹, überlegt der Rabbi und streichelt seinen langen weißen Bart. Dann sagt er: ›Josele, geh zum Fenster und schau hinaus. Was siehst du?‹ Josele blickt hinaus und sagt: ›Nun ja, Rebbe, was man soeben auf der Straße sieht: die Leute, die Autos, die Bäume.‹ – ›So, Josele, und jetzt geh hinüber zum Spiegel und sag mir, was du siehst.‹ Josele folgt dem Rabbi und antwortet: ›Nu, was schon soll ich sehen? Mich selbst!‹ Sagt der Rabbi: ›Ja, mein lieber Josele, das Leben ist eben wie eine Glasscheibe. Normalerweise kann man durch sie hindurch alles sehr gut sehen. Aber kaum kommt ein bisserle Silber dazwischen, sieht man nur noch sich selbst!‹«
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