Die Niederlassung von Behn, Meyer & Co. in Penang ist besonders im Zinngeschäft sehr aktiv. Vor einiger Zeit stattete der Leiter der Firma aus Singapur, Direktor Karl Wittmann, Penang einen Besuch ab. Dabei stellte er fest, dass man in Penang ein unüblich großes Lager von Zinn unterhielt, das von der Firma bevorschusst werden musste. Dieses Zinn lagerte in engen, düsteren Godowns, wie man die Warenlager hier nennt, und war in Blöcken aufgestapelt. Wittmanns Ermahnung, festzustellen, ob tatsächlich alles Zinn noch vorhanden sei, stieß bei Heinrich Adler auf taube Ohren. Adler hatte volles Vertrauen in seinen chinesischen Vorarbeiter Low. Zudem ist Adler auch etwas träge und genießt lieber die Vorzüge eines weißen Kaufmanns in den Tropen.
Dann aber kam, was kommen musste. Die Nachricht von einem großen Manko in den Zinn-Godowns von Penang drang sogar bis zur Firmenzentrale in Hamburg. Direktor Wittmann erhielt den Auftrag, sofort wieder nach Penang zu reisen, um nach dem Rechten zu sehen. Nach der Überprüfung musste er feststellen, dass eine große Menge an Zinn im Wert von mehreren hunderttausend Dollar fehlte. Der angeblich vertrauenswürdige Vorarbeiter Low, der wie alle Chinesen zu einem weitverzweigten Familienclan gehört, entpuppte sich als regelrechter Gauner.
Low war es gelungen, von Adler die Ersatzschlüssel zu den Godowns zu erhalten, und gab dafür gefälschte Duplikate zurück. Der bequeme Adler ahnte davon nichts. Mit diesen Ersatzschlüsseln konnte Low in der Nacht zusammen mit seinen Kulis in die Godowns eindringen und das Zinn herausholen. Dabei ging er geschickt vor. Um seine Diebstähle zu verschleiern, ließ er die vorderste Reihe intakt und plünderte dafür die hinteren Reihen aus. Außerdem ersetzte er die gestohlenen wertvollen Zinnblöcke durch minderwertige. So hätte nur eine genaue Überprüfung den Betrug aufdecken können, die Adler aber nicht vorgenommen hatte.
Da sich ansonsten das Geschäft von Behn, Meyer & Co. glänzend entwickelte, wollte die Firma Negativschlagzeilen vermeiden, sodass von den Betrügereien nichts an die Öffentlichkeit drang. Davon profitierte auch Heinrich Adler, der in seinem Amt blieb, nicht zuletzt auch wegen seiner exzellenten Kontakte zu allen möglichen Leuten in der Gegend. Fortan stand Adler jedoch unter strengster Beobachtung.
Doch von all dem weiß Wilhelm Kurz nichts. Nachdem dieser das Hotel verlassen hat und in die Rikscha steigt, die ihm zu seinem Schiff bringt, muss er tief durchatmen und kann über den Landsmann Adler nur den Kopf schütteln.
Am nächsten Morgen stehen die Kessel des Kanonenboots Iltis unter vollem Dampf. Es kann losgehen. Kapitän Wilhelm Kurz brennt förmlich darauf, endlich mit seinem Schiff wieder in See stechen zu können. Für einen eingefleischten Seewolf gibt es nichts Schöneres, als wenn sich das Schiff in den Wellen des unendlichen Meeres wiegt. Das Ziel, das er ausgegeben hat, sind Schießübungen, die man nordöstlich von Penang abhalten will, um den Alltag der Bewohner nicht zu stören. Genauso hat er das dem Hafenkommandanten Jenkins versprochen. Und genauso wird er es auch machen. Ein zufriedenes Lächeln zeichnet sich in Kurz Gesicht ab.
Mit seinem Schiff, dem Kanonenboot Iltis , ist er auch zufrieden. Erst im August 1898 lief das Schiff in Danzig vom Stapel. Endlich, so jedenfalls empfindet es Kurz, hat man in Berlin auf die neue deutsche Stellung in der Welt reagiert und schließlich die Gelder für die langersehnten Kanonenboote, die extra für den Dienst in den deutschen Kolonien vorgesehen sind, bewilligt.
Noch im ersten Monat des neuen Jahres verließ Kurz mit seinem Schiff die Förde in Kiel mit dem Ziel Tsingtau, die deutsche Kolonie in Nordchina. Die Fahrt auf dem zweiundsechzig Meter langen und neunhundert Tonnen verdrängenden Schiff verlief bisher reibungslos. Auf seine acht Offiziere und einhunderteinundzwanzig Mann Besatzung ist Kapitänleutnant Kurz stolz. Tadelloses Schiff, tadellose Besatzung. Nur die vier 8,8 Zentimeter Schnellfeuerkanonen und die sechs 3,7 Zentimeter Revolverkanonen warten noch darauf, getestet zu werden.
Mit seinen zwei qualmenden Schornsteinen schiebt sich das Kanonenboot Iltis durch das ruhige tiefblaue Meer. Obwohl die Tropensonne von einem ebenso blauen Himmel erbarmungslos scheint, bringt der Fahrtwind eine leichte Abkühlung. Nur die Heizer tief unten im Rumpf des Schiffs unter der Wasseroberfläche bekommen davon nichts mit. Ihnen rinnt der Schweiß nur so vom Körper. Eine regelmäßige Ablösung und Wasseraufnahme ist im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig.
Langsam nimmt Iltis Fahrt auf. Die Hafeneinfahrt von Georgetown erstreckt sich zwischen der Nordküste Penangs und dem malaiischen Festland über eine Entfernung von fünfzehn Seemeilen. Mit einer Fahrgeschwindigkeit von mittlerweile zehn Knoten benötigt es dafür ungefähr eineinhalb Stunden. Als Iltis den äußeren Hafen verlässt, muss das Schiff zu beiden Seiten seichte Gewässer passieren. Äußerste Konzentration auf der Brücke wird beim Durchfahren der knapp drei Kilometer breiten Fahrrinne zwischen Georgetown und Butterworth verlangt. Man muss höllisch aufpassen, nicht in die flachen Gewässer zu geraten.
Ganz allmählich verschwinden die hohen Hügelrücken, die die Insel Penang in ihrer ganzen Länge durchziehen, am Horizont. Für kurze Zeit ist noch der Tanjong Puchat Muka Leuchtturm im Norden der Insel zu sehen. Dann verschwindet auch er. Von dem vor über fünfzehn Jahren fertiggestellten Leuchtturm, der aus Granit ist und sechsundzwanzig Meter über dem Meeresspiegel ragt, hat man einen fantastischen Blick. Sein Licht kann aus dreißig Seemeilen Entfernung noch gesehen werden. Aber dafür hat jetzt weder Kapitän Kurz noch einer seiner Leute ein Auge. Mit voller Konzentration wird Iltis auf Kurs gebracht.
3. KAPITEL
INSEL LANGKAWI. DIE SCHIEßÜBUNGEN
Nun wieder auf hoher See ist der Augenblick gekommen, in dem Kapitänleutnant Wilhelm Kurz seine Offiziere zu sich ruft und ihnen den Geheimbefehl verkündet.
Mit fester Stimme ruft er aus: „Meine Herren, ich weihe Sie jetzt in unseren eigentlichen Auftrag ein. Es geht nicht um die Schießübungen, wie auch alle Männer an Bord glauben. Vielmehr hat man uns von hoher Stelle den folgenden Auftrag mitgegeben.“
Stille kehrt ein, Gebannte Blicke sind auf ihren Kapitän gerichtet. Die Anspannung unter den Offizieren ist nun förmlich mit Händen greifbar. Nach einer kurzen Pause und einem Räuspern fasst Kapitänleutnant Kurz den Befehl mit einem neutralen Gesichtsausdruck und mit sonorer Stimme zusammen:
„Der Staatssekretär des Äußeren von Bülow hat geruht festzustellen, dass man nicht abgeneigt sei, der Frage der Erwerbung einer Kohlenstation in der Gegend der Straße von Malakka durch die Firma Behn, Meyer & Co. näher zu treten. Voraussetzung sei, dass die Marine dies für wünschenswert halte. Wenn das der Fall sei, dann solle ein Kriegsschiff gelegentlich und unauffällig die Gegend erkunden. Wegen der politischen Brisanz der Unternehmung sei eine unbedingte Geheimhaltung notwendig.
Der Staatssekretär des Reichsmarineamts Admiral Tirpitz hat erklärt, dass er es begrüßen würde, wenn Iltis nach der Ausreise aus Penang, die Insel Langkawi aufsuchen würde. Der Kapitän solle sich ein Urteil über den Wert der Insel als Kohlenstation und auch als Stützpunkt machen. Ein Besuch des Kapitäns oder eines Offiziers von Iltis , natürlich inkognito, sei zweckmäßig.“
Nach einer kurzen Pause fügt Kapitänleutnant Kurz hinzu:
„Und genauso machen wir es, meine Herren.“
Mehr brauchen seine Offiziere nicht zu wissen. Das reicht schon, denkt sich Wilhelm Kurz. Angespannte Stille. Die Offiziere trauen ihren Ohren nicht. Aber Befehl ist Befehl und nicht zu hinterfragen. Dann nicken sie fast zeitgleich und gehen mit entschlossenem Ausdruck in ihren Gesichtern wieder auf ihre Posten.
Читать дальше