„Geschäfte, Geschäfte“. Das sind auch die ersten Worte, die Wilhelm Kurz von Heinrich Adler zu hören bekommt, als er sich zu ihm an den Ecktisch im Restaurant des Hotels setzt. Selbstgefällig grinst Adler und zeigt mit seinem fetten Zeigefinger auf den aus dem Hotel schreitenden Cheong.
„So macht Behn, Meyer & Co. Geschäfte. Nur mit den reichsten und einflussreichsten Leuten vor Ort“, tönt es Wilhelm Kurz entgegen. Von Anfang an ist ihm sein Gegenüber unsympathisch. Dieses feiste, von Schweiß glänzende runde Gesicht mit den kleinen Schweinsäuglein und dem selbstgefälligen Blick. Der Bierbauch des höchstens Enddreißigers Adler ist auch nicht zu übersehen.
Kurz runzelt die Stirn, zieht heftig die Augenbrauen zusammen und zögert einen Augenblick. Dann atmet er bewusst aus. Sein Gesichtsausdruck ist wieder normal, sein Tonfall ebenso. Aber was soll er machen? Adler ist nicht nur ein Landsmann, sondern auch der Kontaktmann für seinen Geheimauftrag.
Heinrich Adler lässt sich nicht lange bitten und legt Kurz die Lage dar, wobei der Kapitänleutnant nicht umhin kommt anzunehmen, dass Adler seine Rolle, die er dabei spielt, doch etwas ausschmückt.
„Vor kurzem weilte ich im Sultanat Kedah auf der gegenüberliegenden malaiischen Halbinsel zu Besuch. Da deutete der Wesir Wan Mohamed Saman an, dass das Königreich Siam, zu welchem Kedah gehört, es gerne sehen würde, wenn Deutschland an der Westküste der malaiischen Halbinsel eine Kolonie anlegen würde. In diesem Zusammenhang sei die Insel Langkawi, nördlich von Penang an der Einfahrt zur Straße von Malakka gelegen, sehr geeignet.“
„Von Kolonie oder ähnlichem ist überhaupt keine Rede“, unterbricht ihn Wilhelm Kurz im schneidenden Ton. „Streichen Sie solche Begriffe aus Ihrem Kopf. Ist das klar, Adler?“
Adler nickt eifrig und fährt gewichtig mit viel Pathos in der Stimme fort:
„Selbstverständlich, Herr Kapitän. Der Herr Kapitän müssen wissen, dass neben der hervorragenden geografischen Lage die Fruchtbarkeit der Insel sehr groß ist. Im Innern gibt es Süßwasserseen, so dass reichlich Wasser vorhanden ist. Die Produkte, die in Penang angebaut werden, wachsen auch auf Langkawi, wie Gewürznelken, Muskatnüsse und Pfeffer. Zwar habe ich die Insel nicht persönlich in Augenschein nehmen können, doch weiß ich durch meine Kontakte, dass sie an der Ostküste über einen geschützten Ankerplatz verfügt.“
„Herr Adler, schön und gut, aber wie ist es um die Besitzverhältnisse der Insel bestellt? Habe ich richtig verstanden, dass die Insel zum einen dem Sultan von Kedah gehört, das Sultanat selber aber unter der Oberhoheit des Königs von Siam steht?“
Nun klingt Wilhelm Kurz etwas gereizt.
„Sehr richtig Herr Kapitän“, antwortet Adler und fährt mit großer Überzeugung fort:
„Langkawi gehört zum Sultanat Kedah, das zwar der Souveränität Siams untersteht, aber der Sultan ist de facto ziemlich unabhängig vom König von Siam. Das Hauptproblem des Sultans ist vielmehr, dass er sehr hoch verschuldet ist. Und genau das ist der Ansatzpunkt: Geld. Doch ist der Sultan zugleich ein sehr stolzer Mann. Deshalb ist es günstig, zunächst an ihn heranzutreten und erst dann den König von Siam zu konsultieren. Übrigens hat meine Firma bereits vor geraumer Zeit einen Vertreter aus Singapur, Herrn Adolf Schönherr, nach Langkawi entsandt.“
Bei der Erwähnung des Namens zuckt Wilhelm innerlich kurz zusammen, lässt sich aber nach außen nichts anmerken. Unbeirrt setzt Adler seinen Redeschwall fort.
„Der Schönherr sollte Ihren Aufenthalt vorbereiten. Nur, er mag sich ja gut in Singapur auskennen, aber mit den speziellen hiesigen Verhältnissen ist er nun wahrlich nicht vertraut. In aller Bescheidenheit, Herr Kapitän, ich kenne die Herren von Kedah sehr gut und spreche auch malaiisch. Gegen ein kleines Entgelt, schließlich bin ich ja Kaufmann“, tönt es selbstgefällig aus Adlers Mund, „bin ich gerne bereit, die Verhandlungen wegen Langkawi zu einem schnellen Ende zu führen. Mit dem Herrn Neubrunner, dem siamesischen Konsul, mit dem ich zusammen wohne, habe ich die Sache auch schon durchgesprochen. Der wird anschließend seine Kontakte zum Königshaus in Bangkok spielen lassen. Alles kein Problem.“
Bei diesen Worten verfinstert sich Wilhelm Kurz Gesicht. Er traut seinen Ohren immer noch nicht. Ein fragender Blick breitet sich über sein Gesicht aus. Normalerweise ist Wilhelm Kurz ein eher ruhiger und überlegter Charakter. Freunde bezeichnen ihn als ausgeglichen. Aber jetzt wäre er fast aufgesprungen und hätte dem Adler am liebsten ordentlich gerüttelt. Da er aber einen klaren Auftrag hat, reißt er sich zusammen. Kurz spricht leise, aber so eindringlich wie er kann. Zischend quetscht er die Worte zwischen seinen Zähnen hervor:
„Adler, verdammt noch mal, das ist eine geheime Reichssache. Kapieren Sie das endlich und halten Sie Ihren Mund. Schlimm genug, dass es sich anscheinend schon innerhalb der Firma von Behn, Meyer & Co. herumgesprochen hat. Aber nun auch der Neubrunner. Wie mir berichtetet wurde, ist der Kerl ein Plappermaul. Da der Neubrunner von der Unternehmung Kenntnis hat, wissen es vielleicht auch schon die Hofschranzen in Bangkok und wer weiß, wer noch. Hoffentlich nicht die Engländer.“
Etwas bedröppelt schaut Adler drein, zu verblüfft, um zu antworten. Auf so eine Zurechtweisung durch den schneidigen Kapitän der kaiserlichen Marine ist er nicht vorbereitet gewesen.
Kleinlaut fragt Heinrich Adler: „Wie kann ich dem Herrn Kapitän noch zu Diensten sein?“
„Erstens: Klappe halten! Zweitens: dem Neubrunner vorerst mitteilen, dass das Zielobjekt keinen Wert für die Marine hat“, fährt Kapitänleutnant Kurz ihn militärisch kurz an und schaut Adler dabei so ernst wie nur möglich an.
„Wie sieht es mit dem Vorvertrag aus? Haben Sie den im Namen Ihrer Firma vorbereitet?“
„Jawohl“, kommt es weiterhin kleinlaut aus Adlers Mund.
„Unsere Firma ist bereit, den Hafen von Langkawi als zukünftige Kohlenstation vom Sultan von Kedah gegen eine feste Summe und eine Beteiligung des Sultans von zehn Prozent des jährlichen Nettogewinns zu pachten. Alles vertraulich natürlich. Sobald Sie den Platz der möglichen Kohlenstation in Augenschein genommen und Ihre Zustimmung erteilt haben, Herr Kapitänleutnant, ist Behn, Meyer & Co. bereit, den Vertrag zu besiegeln.“
„Das will ich auch hoffen. Gut so. Dafür ist es notwendig, dass Sie sofort Kontakt zu dem Gewährsmann des Sultans auf Langkawi herstellen. Er soll mich morgen am Ufer des besagten Ankerplatzes treffen. Ich muss mir persönlich ein Bild von der Lage machen. Schließlich geht es besonders für Ihre Firma um viel Geld. Nur wenn die kaiserliche Marine bei Ihnen auf Langkawi dann auch kohlen lässt, können Sie Geld verdienen.“
Fast hätte er noch hinzugefügt: Da wird der Engländer aber gucken, wenn wir erst einmal auf Langkawi sitzen und ihm die Vorherrschaft in der Straße von Malakka mit unserem Stützpunkt streitig machen. Aber Wilhelm Kurz hält sich zurück. Das geht den Adler gar nichts an. Dafür führt er aus:
„Wenn ich den Platz auf Langkawi als Kohlenstation für geeignet halte, halten Sie sich bereit, auf meine Anweisung hin die erste Rate der Pachtsumme dem Sultan von Kedah zu übergeben und Berlin unverzüglich per Telegrafen das vereinbarte Codewort, das ich Ihnen zukommen lassen werde, zu übermitteln. Ist das klar? Und Adler“, dabei sieht Kurz ihn eindringlich an und formuliert militärisch scharf: „HALTEN Sie fortan Ihren Mund, verstanden?“
Zunächst ist Adler zu perplex, um zu antworten. Dann aber schallt Kapitänleutnant Kurz ein militärisch knappes „Jawohl, Herr Kapitän!“, entgegen. Schließlich hat Adler gedient, wie jeder gute Deutsche.
Außerdem will er es dem Kapitänleutnant recht machen. Heinrich Adlers vermeintliches Selbstvertrauen ist nur vorgeschützt. Ihm selber wird von der Firmenleitung in Singapur nur noch eine Art Gnadenfrist gewährt.
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