Sie, Herr Kapitänleutnant, erhalten jetzt darüber hinaus von mir persönlich die Blankovollmacht, wenn sich das Zielobjekt als ...“
Wilhelm Kurz weiß noch genau, wie er seinen Ohren nach den darauffolgenden Ausführungen nicht trauen wollte. Das könnte ungeahnte politische Verwicklungen bedeuten, ja bis hin zum Krieg, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Und das alles sollte auf seinen Schultern ruhen. Perplex blieb ihm nur mit einem „Jawohl, Herr Admiral“ dem Befehl zu gehorchen. Und nun befindet er sich hier vor Ort, um die Order umzusetzen. Welch eine Verantwortung!
Behn, Meyer & Co. aus Hamburg, kurz BMC genannt, ist das größte und mächtigste Handelshaus in ganz Südostasien. Endlich einmal sind wir die Nummer eins in der Gegend, denkt Kurz mit Genugtuung. Im Volksmund wird die Firma auch Bismarck, Moltke & Co. genannt. Das ist ihrer seit langen bestehenden, exzellenten Beziehungen zur obersten politischen und militärischen Führung, zum Reichsgründer Bismarck und zum legendären preußischen Generalstabschef Moltke, geschuldet. Was sich diese Firma in den Kopf gesetzt hat, bekommt sie auch. So auch jetzt unter Admiral Tirpitz und Seiner Majestät Höchstselbst.
Doch dann holt Wilhelm Kurz die Gegenwart wieder ein.
Er ist fasziniert von dem Anblick des wunderschönen Eastern & Oriental Hotels, das schon eine Klasse für sich ist. Die Lage direkt an der Wasserfront und westlich von Penangs äußerem Hafen, wo die größeren Schiffe festmachen, ist hervorragend. Von der Terrasse kann man ungetrübt die Esplanade und Fort Cornwallis und die zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe betrachten. Für einen Moment bleibt Wilhelm Kurz in der Lobby des Hotels stehen. Der Adler soll ruhig noch ein bisschen warten, erst einmal wandern Wilhelm Kurz Blicke im Eingangsbereich umher.
Er weiß noch ganz genau wie er von Reisenden in Kiel hörte, dass es eine beklagenswert geringe Anzahl von vernünftigen Unterkünften für Europäer im fernen Asien, von komfortableren Übernachtungsmöglichkeiten ganz zu schweigen, gebe. Als Gast musste man zufrieden sein, einen überteuerten Raum fernab von Schmutz und Staub der Straße, von Ratten und streunenden Hunden sowie Dieben und Bettlern zu bekommen. Moskitonetze galten als Gipfel des Luxus. Darüber hinaus erzählte man sich, dass die Zimmertüren der Hotels selten verschließbar seien und plötzlich stehe ein Diener unangemeldet im Zimmer. Manches Mal in einem unpassenden Moment. Das war’s dann auch, was die Qualität der Unterkünfte anbelangt. Das exotische Asien hatte nicht viel mehr zu bieten.
Hier ist es anders. Schon kommt der hochgewachsene livrierte Inder Singh dienstbeflissen auf Wilhelm Kurz zu und fragt ihn in einem komischen indischen Sing-Sang Englisch:
„Kann ich dem Herrn Offizier zu Diensten sein, Sir?“
Wilhelm Kurz in seiner weißen Marineuniform mustert den indischen Concierge für einen kurzen Augenblick. Dann siegt seine Neugierde.
„Ich bin sehr beeindruckt von diesem Hotel.“
Mehr braucht Wilhelm gar nicht zu sagen, da sprudelt es auch schon aus dem Inder mit stolzgeschwellter Brust hervor, wobei sich sein Kopf hin und her bewegt, wie es bei den Indern üblich ist, wenn sie etwas Wichtiges betonen wollen.
„Sir, wie in den Luxushotels Londons so ist auch hier das Monogramm unseres ehrwürdigen Hotels in die Bettbezüge, Kissen und Handtücher eingestickt, Sir. Dazu verzieren zierliche Porzellanfiguren die Kaminsimse. Sir, Sie werden es nicht für möglich halten, Sir, aber vierzig Zimmer verfügen über ein Badezimmer mit Badewannen und fließend heißem und kaltem Wasser, Sir. Sir, wir wissen, dass die europäischen Reisenden eine Hotellage direkt am Wasser bevorzugen, Sir. Das Hotel verfügt über dreihundert Meter Strand. Damit hat es die längste Wasserfront aller Hotels auf der Welt, Sir. Ist das nicht unglaublich, Sir?“
Allmählich geht Wilhelm Kurz dieses stolze und selbstgefällige Gerede auf die Nerven, trotz der interessanten Informationen. Und dann dieses ewig „Sir“. „Sir“ hier „Sir“ da. Und dann das Wackeln des Kopfes von der einen zu der anderen Seite. Wir sind doch nicht an Bord eines Schiffs, denkt er sich verwundert. Der Inder nimmt keine Notiz von Kurz zunehmender Ungeduld.
„Sir“, fährt der Inder unbeirrt fort und schiebt dabei seinen Kopf schon fast verschwörerisch nahe an Wilhelms heran, „unser ehrwürdiges Hotel wird unter Kennern nur kurz E & O genannt. Das reicht und jeder weiß Bescheid, Sir. Sir, ich darf Ihnen ehrerbietigst versichern, das E & O ist das beste Hotel östlich von Suez, Sir.“
Heftig mit dem Kopf hin und her wackelnd bestätigt der Inder noch einmal seine Worte.
In der Tat ist Wilhelm Kurz beeindruckt von den Neuigkeiten, bedankt sich militärisch knapp für die Ausführungen und lässt sich zu dem wartenden Heinrich Adler führen.
Auf dem Weg dorthin verharrt der livrierte Inder und verbeugt sich tief vor einem vorbeischreitenden Chinesen. Nachdem dieser den Inder und Wilhelm Kurz passiert hat, ohne sie eines Blickes zu würdigen, wendet sich Singh wieder dem deutschen Marineoffizier zu. Jedoch spricht der Inder dieses Mal leise, ja ehrfürchtig und mit veränderter Stimmlage.
„Sir, der Gentleman ist Cheong Fatt Tze, ein Chinese von unfassbarem Reichtum. Er ist der Prominenteste der reichen Chinesen unserer Insel. Nebenbei ist er auch noch chinesischer Konsul in Penang. Es heißt, er hat sich diesen ehrwürdigen Titel schlicht und einfach vom kaiserlichen Hof in China gekauft. Normalerweise muss man erst die vorgeschriebenen äußerst schwierigen Prüfungen bestehen. Sir, ich könnte Ihnen noch mehr erzählen, wenn Sie wollen, Sir!“
Nun ist Wilhelm Kurz doch gefangen von den Erzählungen des Inders. Seine Augenbrauen heben sich minimal und mit einem kaum erkennbaren Nicken bedeutet er dem Inder Singh fortzufahren.
„Sir, Cheong war früher nur ein einfacher Wasserträger“, raunt er Wilhelm Kurz hinter vorgehaltener Hand zu. „Durch harte Arbeit und familiäre Unterstützung ist er Millionär geworden. Cheong lebt mit seiner Großfamilie, mit mehreren Frauen und einer großer Dienerschaft in herrlichen Herrenhäusern in Saus und Braus. Wenn Cheong hier bei uns in Georgetown ist, wohnt er in seinem berühmtem „Blauen Herrenhaus“ in der Leith Street. Das, Sir, müssen Sie sich mit eigenen Augen einmal ansehen. Aber ich kann Ihnen auch darüber etwas erzählen, Sir.“
„In Gottes Namen, so tun Sie das“, entfährt es Wilhelm Kurz etwas unwirsch, was der Inder Singh indes gar nicht bemerkt.
„Sir, Cheongs indigoblaues Herrenhaus hat achtunddreißig Räume, fünf mit Granit gepflasterte Innenhöfe, sieben Treppenaufgänge und zweihundertzwanzig traditionelle hölzerne Fensterläden, Siiiir.“
Beim Erwähnen dieser Dimensionen zieht der Inder nicht nur das „Sir“ in die Länge und rollt mit dem Kopf noch intensiver als sonst hin und her, sondern auch seine Augen weiten sich sichtlich.
„Nun kommt es, Sir. Die hervorstechende blaue Farbe des Herrenhauses ist das Ergebnis des Zusammenmischens von Kalk mit der natürlichen blauen Farbe, die aus der Indigopflanze gewonnen wird. Die Farbe wurde extra aus Indien importiert. Die so gekalkten Mauern weisen die übliche Feuchtigkeit unseres tropischen Wetters sehr schön ab und lassen zugleich die Mauersubstanz unbeschadet. Eigentlich ist Weiß die am einfachsten erhältliche Farbe, aber da sie auch die Farbe des Todes für die Chinesen ist, hat Cheong sich für die weitaus teurere blaue Farbe entschieden.
Sir, Sie können es sich nicht vorstellen, Sir. Bei öffentlichen Anlässen treten seine Frauen und seine Töchter in ihren üppigen und verschwenderischen Kleidern mit glitzernden Juwelen behangen auf. Sir, Cheong hat bestimmt in unserem Hotel Geschäfte gemacht. Er ist Stammgast bei uns und ...“, will der Inder fortfahren. Aber Wilhelm hat genug und macht mit einer Handbewegung deutlich, dass er aufhören soll, denn mittlerweile haben sie Heinrich Adler erreicht.
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