Manila oder Revolution und Liebe
Volker Schult, 1960 geboren, studierte Englisch und Geschichte. Er promovierte in Südostasienwissenschaften und war an verschiedenen deutschen Auslandsschulen als Lehrer und Schulleiter tätig. Schult veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Publikationen. Zuletzt erschien 2017 im Engelsdorfer Verlag „Singapur – oder tödliche Tropen. Ein Kolonialroman“.
Volker Schult
MANILA ODER
REVOLUTION
UND LIEBE
Ein Kolonialroman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2018
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Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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Titelbild: human’s face with national flag and map of philippines. © luzitanija
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
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„Neeeein!! Nicht schon wieder! Ich werde verrückt! Ich halte das nicht mehr aus! Oh Gott, hilf mir! Hilft mir denn keiner? Oh Gott, erbarme Dich meiner!!“
Mit sich überschlagender Stimme schreit er seine Verzweiflung heraus. Wie ein Echo werden seine Worte von den Wänden zurückgeworfen.
Er schlägt mit seinen ausgemergelten Händen zum wiederholten Mal gegen die unbarmherzigen Wände. Sie geben nicht nach.
Durch diesen Ausbruch aufgeschreckt fangen drei fast dreißig Zentimeter lange Ratten mit ihren langen, nackten, mit Schuppenringen versehenen Schwänzen an zu quicken. Sie wuseln um seine Beine herum, bevor sie sich in irgendwelchen kleinen, dunklen Löchern verkriechen. Sehen kann er sie nicht richtig. Manchmal nur ihre Schatten erahnen. Dunkelheit umgibt ihn.
Voller Ekel versucht er reflexartig seine Beine von diesen schrecklichen Viechern mit ihren spitzen Schnauzen und scharfen Zähnen fortzuziehen.
Vergebens.
Nur Kettengerassel. Er kann seine Beine kaum bewegen. Vielmehr schneiden die eisernen Ketten noch einmal tiefer in seine ohnehin schon wunden Knöchel. Ein scharfer Schmerz durchzuckt ihn.
Erschöpft will er sich in die Hocke begeben. Sofort fährt er aber wieder hoch und stößt mit immer heiserer werdender Stimme Laute der Verzweiflung aus. Laute der Hoffnungslosigkeit. Noch menschliche Laute?
Schwer zu sagen. Ähnliche Stimmfetzen, Schreie, Geräusche dringen an sein Ohr. Er ist seinem Schicksal nicht allein ausgeliefert. Aus dieser Tatsache sollte er eigentlich Mut schöpfen. Aber angesichts seiner ausweglosen Lage ist das kein wirklicher Trost.
Lebendig begraben. Ja, das ist der richtige Ausdruck denkt er: Lebendig begraben. Es gibt keinen Ausweg, keine Rettung, keine Hoffnung.
In der Kammer herrscht ununterbrochen eine solch feuchtheiße Luft, dass die Fetzen Kleidung, die er noch am Leib trägt, ständig klamm sind. Auch das Atmen fällt unendlich schwer. Dazu atmet er nicht nur diese stickige Luft ein, sondern zugleich dringt der schreckliche Geruch von Fäulnis und Verwesung in seinen Körper ein.
Vielleicht verfault er ja schon selbst bei lebendigem Leib.
Aber das wäre ihm mittlerweile auch egal. Hauptsache, die Qual ist endlich vorbei. Da er sich bereits in der Hölle wähnt, kann es nicht schlimmer kommen.
Doch so gut meint es das Schicksal nicht mit ihm. Stattdessen fängt alles wieder von vorne an. Das Wasser steigt und steigt. Er spürt es schon bis zu den Knien.
Von wegen Wasser. Eine fürchterliche Brühe, ja Kloake. Anders kann man diese stinkende Flüssigkeit nicht bezeichnen.
Schon werden seine Oberschenkel von ihr umspült.
Der Gestank nimmt zu. Abfall, Fäkalien und alle möglichen übelriechenden Gegenstände werden mit der ansteigenden Wasserbrühe unaufhaltsam in seine Kammer geschwemmt.
Immer wieder. Die ganze Zeit, seitdem er hier unten ist. Immer im gleichen Rhythmus. Dem Rhythmus von Ebbe und Flut gehorchend. Die Bracke kommt; die Bracke geht; die Bracke kommt; die …
Die Kammer füllt sich. Die Brühe drängt schon gegen seine Brust. Wie hoch wird sie dieses Mal steigen? Hört sie auf, wenn sein Hals erreicht ist? Geht sie bis zum Kinn?
Unwillkürlich stellt er sich auf die Zehenspitzen, um einige wenige Zentimeter zu gewinnen. Zentimeter, die über Leben und Tod entscheiden können.
Einen qualvollen Tod.
Einen sehr qualvollen Tod.
Nichts, aber auch gar nichts kann das Wasser davon abhalten, langsam, ganz langsam in seinen Mund einzudringen, dann in seine Nase. Alleine der Gedanke daran lässt ihn voller Panik mit seinen Armen um sich wedeln, um die Wasserkloake von seinem Gesicht fernzuhalten.
Vergebens.
Schon spürt er das Wasser an seiner Unterlippe. Etwas Weiches, Braunes, Stinkendes schwimmt an seinem Mund vorbei. Ein Stück seiner eigenen Scheiße. Wird er mit seiner eigenen Scheiße im Mund ersticken?
Womit hat er das nur verdient? Er zermartert sich sein Gehirn, aber ihm fällt kein schweres Vergehen ein, das eine solche Tortur rechtfertigen würde.
Seinen Augen quellen voller Todesangst förmlich aus ihren Augenhöhlen. Das ist das Ende. Voller Panik will er schreien, doch …
Er schreckt hoch. Schweißgebadet. Mit angsterfüllten Augen schaut er sich um.
Dann …
Erleichterung.
Vollkommen erschöpft fällt er wieder in seine Koje. Schließt die Augen. Hört das gleichmäßige Klatschen der Wellen an der Schiffswand. Hört das beruhigende, rhythmische Stampfen der Maschinen.
Ein Traum. Ein wahrer Alptraum.
Aber immerhin nicht Realität.
1. KAPITEL: DIE SEESCHLACHT
Eigentlich war es nicht das geeignete Wetter für eine Seeschlacht im Südchinesischen Meer. Der Monsun blies heftig aus Südwest und machte das Manövrieren selbst für größere Schiffe schwierig. Hinzu kam noch, dass ausgerechnet zu dieser Zeit die Pest in der britischen Kronkolonie Hongkong wütete und schon Tausende von Opfern gefordert hatte. Doch davon ließ sich der Commodore des amerikanischen Asiengeschwaders, George Dewey, nicht beeindrucken.
Ein drahtiger, kleiner, rotgesichtiger, fast sechzigjähriger Mann aus Vermont mit eisgrauem Haar und Schnurrbart kommandierte das amerikanische Geschwader. Sein autoritäres Auftreten duldete keinen Widerspruch, strahlte aber auch Zuversicht auf seine Männer aus.
Dewey ließ Anker vor Hongkong werfen und befahl, seine weißen Schiffe mit grauer Farbe anzustreichen. Die Farbe des Krieges. Spätestens jetzt war es auch dem letzten Kombüsenjungen und jedem blutjungen Seekadetten an Bord klar, dass die Lage ernst war.
Nach einigen Tagen stach der eindrucksvolle Flottenverband bestehend aus sieben modernen Kriegsschiffen, angeführt von dem Flaggschiff Olympia, einem imposanten Panzerkreuzer, von Hongkong aus in See.
Erst langsam, dann immer schneller setzten sich die Schiffe des Geschwaders in Bewegung inmitten einer Flutwelle, die am Bug der Schiffe begann und sich als unbegrenzter Wasserwall nach achtern ausbreitete. Sie fuhren in das Südchinesische Meer hinaus, vom immer wiederkehrenden Rhythmus der Hochseewellen getragen.
Der fünf Jahre alte Panzerkreuzer Olympia verdrängte fast sechstausend Tonnen Wasser. Seine beiden Gefechtstürme bestanden aus jeweils zwei 20,3 Zentimeter Geschützen, eingefasst in 10,2 Zentimeter dicken Barbetten. Das stark gepanzerte Deck schützte seine kraftvollen Maschinen, die das Schiff bei Volldampf auf enorme zweiundzwanzig Knoten brachten. Auf Deck verfügte er über zehn 12,7 Zentimeter Schnellfeuerkanonen und auf den verschiedenen Gefechtsständen über zahlreiche weitere Schnellfeuerkanonen kleineren Kalibers und vier schwere Gatling Maschinengewehre. Eine furchteinflößende Kriegsmaschine mit beeindruckender Feuerkraft.
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