Oliver Rathkolb - Schirach

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Das Angebot des „Führers“ an den 18-jährigen Baldur von Schirach ist verlockend: „Solche jungen Männer braucht die Partei, braucht Deutschland!“ Der angehende Student der Germanistik und Kunstgeschichte kann diesem Ruf Hitlers nicht widerstehen, es beginnt eine steile Karriere.1930 wird er zum Reichsjugendführer ernannt, als treuer Paladin seines Herrn schwört er die „Hitlerjugend“ auf die „braune Revolution“ ein. Er träumt von einem faschistischen Europa unter deutscher Führung und lässt als Gauleiter von Wien die jüdische Bevölkerung in die Todeslager deportieren.1946 wird Baldur von Schirach, inzwischen Vater von vier Kindern, in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Seine Familie muss mit den düsteren Schatten der NS-Verstrickungen leben …

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Baldur von Schirach mit Tochter Angelika Benedikta und Sohn Klaus in Urfeld am - фото 1

Baldur von Schirach mit Tochter Angelika Benedikta und Sohn Klaus in Urfeld am Walchensee, um 1937.

Foto: Heinrich Hoffmann.

Ein erfolgreiches Gespann der Führer und sein Imagestratege Baldur von - фото 2 Ein erfolgreiches Gespann der Führer und sein Imagestratege Baldur von - фото 3

Ein erfolgreiches Gespann: der »Führer« und sein Imagestratege Baldur von Schirach. Auftritt am Reichsparteitag 1933 in Nürnberg.

Inhalt

Cover

Titel

Einleitung

1. Von Bull Run zum großherzoglichen Hoftheater

Die Familie Schirach auf dem Weg nach Weimar

2. Prägungen und Brüche

Der Kampf gegen Kommunismus und Demokratie und die Suche nach dem »starken Mann«

3. High Tea mit Herrn Hitler

Von der »Knappenschaft« zur SA

4. Es geht vorwärts!

Der Aufstieg zum Studentenführer

5. Ein brauchbarer Junge, fähig und klug

Schirachs Kampf um die Vorherrschaft in der NS-Jugendbewegung und die Arbeit am Führermythos

6. Erziehung zur Revolution

Die Hitler-Jugend und der Griff nach der Schule

7. Mein Gau, mein Wien

Als Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien 1940–1945

8. »Sonderaktion«

Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Wiens

9. Sklavenarbeit

Besuch im KZ Mauthausen und wirtschaftspolitische Maßnahmen

10. Verwienert

Vom jungen »Kronprinzen« zum Ablösekandidaten

11. Kein Feldherr und kein Held

Kriegsende und Flucht aus Wien

12. Ein Cranach für den Reichsleiter

Kunstraub und »Arisierung«

13. Ich trage also auch allein die Schuld

Nürnberg 1946

14. Ich glaubte an Hitler

Der perfekte Mythos?

Anmerkungen

Auswahlbibliografie Baldur von Schirach

Ausgewählte Literatur

Namensregister

Bildnachweis

Impressum

Einleitung

Hitlers »Reichsjugendführer« Baldur von Schirach war wohl die größte Nachwuchshoffnung des NS-Terror-Regimes. Der »Führer« Adolf Hitler verdankte ihm viel, vor allem auch die medial geschickt inszenierte Massenmobilisierung der deutschen Jugend in der Hitler-Jugend und im Bund Deutscher Mädel. In kurzer Zeit brachte er das gesamte Jugendorganisationswesen im nationalsozialistischen Deutschland unter die ideologische Kontrolle des Regimes. Als Reichsleiter, Reichsstatthalter und Gauleiter in Wien forcierte er ab 1940 unter dem Schlagwort »Wiener Kultur« trotz des blutigen Aggressionskriegs und der Verfolgung von Juden und Jüdinnen und anderen Opfergruppen in ganz Europa einen überbordenden Hochkulturbetrieb, was ihm rasch die Sympathien der Eliten und vieler Künstler einbrachte. Die obrigkeitshörigen Wiener fanden schnell Gefallen an seinen antidemokratisch-völkischen Traditionen, die er aus Weimar mitgebracht hatte. Mit teilweise umstrittenen Veranstaltungen zur Gegenwartskunst kam er zwar in Konflikt mit den Berliner Zentralstellen und Adolf Hitler, aber die geplante Ablösung ließ sich doch nicht durchsetzen. Schirach war bereits einer der zentralen Satrapen des Nationalsozialismus geworden und verfügte über eine geschickte Propagandamaschinerie. Gleichzeitig steht aber Baldur von Schirach stellvertretend für eine adelig-bürgerliche Elite, die sich bereits um 1925 in Weimar, seiner Heimatstadt, mit dem Nationalsozialismus arrangierte und diesen sogar beförderte und letztlich – mit wenigen Ausnahmen im militärischen Widerstand – bis zum totalen Zusammenbruch unterstützte.

Schirachs Vater war als Intendant am Großherzoglichen Hoftheater in Weimar Teil einer bürgerlich-deutschnationalen Elite in der Stadt Goethes und Schillers, in der auch Nietzsche und Liszt verehrt wurden, die aber bereits vor dem Ersten Weltkrieg deutschnational, antidemokratisch und vielfach völkisch-antisemitisch eingestellt war. Für sie wurde die Weimarer Republik zum totalen Feindbild. Dass die Nationalversammlung seit Februar 1919 monatelang die neue demokratische Verfassung gerade in Weimar diskutierte und letztlich auch beschloss, steigerte noch die emotionale Ablehnung durch die traditionellen Eliten und prägte Baldur von Schirachs autoritäres und extrem nationalistisches Politikverständnis maßgebend. Die Sehnsucht nach der Rückkehr der Monarchie wurde rasch durch die Suche nach einer neuen starken völkischen Diktatur abgelöst – Hitler wurde ab 1925/26 zur Erlöser-Figur für die Schirachs.

Zwar lernte Baldur von Schirach Hitler 1925 zwei Mal nur flüchtig kennen, aber schon früh projizierte er eine besonders Ehrerbietung auf den ehemaligen »Gefreiten« Hitler, der zwar kein Offizier gewesen war, aber trotzdem das EKI erhalten hatte. In dieser Verehrung des Weltkriegsveteranen Hitler spiegeln sich deutlich seine Prägungen durch die Herkunft aus einer Offiziersfamilie. Schirach trat verschiedenen jugendlichen antidemokratischen und völkischen Wehrformationen bei, ehe er mit 18 Jahren Mitglied bei der NSDAP und SA wurde. Auch sein Vater, ehemals Rittmeister eines vornehmen Kaiserlichen Garde-Kürassier-Regiments in Berlin, folgte bald als NSDAP-Mitglied und Gründungsmitglied des antisemitischen »Kampfbundes für Deutsche Kultur«.

Nach einer Blitzkarriere ab 1927 im NS-Studentenbund wurde Baldur von Schirach Teil des engsten Umfelds des »Führers«. 1931 avancierte er zum Reichsjugendführer und wurde direkt der obersten SA-Führung unterstellt. Er heiratete Henriette, die Tochter des vermögenden Hitler-Leibfotografen Heinrich Hoffmann, und knüpfte dadurch das Band zum »Führer« noch enger. Geschickt brachte er seine propagandistischen Fähigkeiten ein und konnte mit dem Bildband Hitler wie ihn keiner kennt, den er zusammen mit seinem Schwiegervater herausgab, einen ersten großen Marketingerfolg landen: Schirach machte Hitler sowohl bei einem bürgerlichen als auch einfacheren Publikum bekannt. 1931 wurde er jüngster Reichstagsabgeordneter, wobei die NSDAP jene Fraktion mit dem höchsten Adeligen-Anteil darstellte, und verblüffte Hitler mit einem »Reichsjugendparteitag« in Potsdam mit 70.000 begeisterten Teilnehmern.

Schon 1936 hatte Schirach rund 6 Millionen Jugendliche in der Hitler-Jugend zusammengefasst – immer mit dem Trick der jugendlichen Selbstverwaltung, aber klaren ideologischen Zielen im nationalsozialistischen Sinn, die in teilweise spielerischer Form, aber immer in disziplinierten und kontrollierten Strukturen vermittelt wurden. Zunehmend wird die HJ durch entsprechende Rechte zu einem Überwachungsinstrument in den Schulen.

Doch Schirach wollte mehr und strebte nach der totalen Kontrolle des Jugenderziehungswesens und der Schule, verlor aber diesen Machtkampf mit der Unterrichtsbürokratie. Die Entsendung nach Wien war bereits der Beginn des politischen Abstiegs, aber Schirach baute zum steigenden Missfallen von Propagandaminister Goebbels, mit dem er sich ursprünglich gut verstanden hatte, ein Kulturimperium auf und hofierte Richard Strauss und dessen jüdische Schwiegertochter Alice ebenso wie Gerhart Hauptmann.

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